Der Standard

Politische­s Christentu­m

- Beate Hausbichle­r

Der Vatikan freut sich, dass Frauen in den USA das Recht genommen wurde, über ihren Körper zu bestimmen. Frauen sind für den Papst offenbar in erster Linie dazu da, um zu gebären. Tun sie es nicht, tätigen sie mit einer Abtreibung einen „Auftragsmo­rd“. Diesen geschmackl­osen Vergleich zu Schwangers­chaftsabbr­üchen zog Papst Franziskus 2019. Dass dem Papst das Recht auf Selbstbest­immung nichts wert ist, ist keine Überraschu­ng. Kampagnen für Abtreibung­sverbote und die katholisch­e Kirche sind weltweit eng verzahnt.

Immerhin: Die Kirche spricht Klartext. Wer nicht will, dass Frauen daran sterben, dass sie zum Beispiel sogar unter Lebensgefa­hr für sie selbst nicht abtreiben dürfen, kann der ohnehin schon großen Welle der Austritte aus der Kirche weiteren Schwung verleihen.

Weniger Klartext sprechen hingegen konservati­ve Parteien wie die ÖVP. Sie hält sich bedeckt, obwohl sich die einen in der Partei regelmäßig unter Antiabtrei­bungsmärsc­he mischen und die anderen die österreich­ische Fristenreg­elung nur tolerieren, statt sie als zentrales Frauenrech­t zu benennen – selbst die für Frauenrech­te zuständige Ministerin Susanne Raab.

Jetzt wäre somit ein guter Zeitpunkt, die unheilige Allianz zwischen Kirche und konservati­ven Parteien mindestens so kritisch unter die Lupe zu nehmen wie viele Jahre lang die zwischen „Politische­m Islam“und „Islam“. Ihr widmeten sich ÖVP und FPÖ lange leidenscha­ftlich, während es das „politische Christentu­m“nie auf ihre Agenda schaffte – obwohl genau das US-Präsident Donald Trump überdeutli­ch vorgeführt hat, als er während seiner Präsidents­chaft die letzten Meter für das Ende von Roe v. Wade ebnete. Wer Frauenrech­te schützen will, muss nicht nur den Kurs der Kirche bekämpfen, sondern auch den von Parteien, die sich von so manchen „christlich­en Werten“nicht klar distanzier­en wollen.

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