Der Standard

Wien lässt sich pflanzen

Wo dürfen die Wienerinne­n und Wiener im öffentlich­en Raum eigentlich garteln? Zum Glück an immer mehr Orten, wie eine kurze Erkundung ergeben hat.

- Julia Beirer und Sascha Aumüller gruenstatt­grau.at und www.gbstern.at

Wie schnell ein Lavendelto­pf zur Anzeige führen kann, weiß Bernhard Fleischman­n genau. Zwei Tage nachdem er drei – seiner Meinung nach – nicht rechtmäßig­e Parkplätze mit der violetten Pflanze blockiert hat, inspiziere­n Polizisten die Lage. Das Ergebnis: 49 Euro Strafe oder zwei Stunden gemeinnütz­ige Arbeit. Der Berufsmusi­ker hat Einspruch erhoben, der gerade geprüft wird.

Fleischman­n ist in der Hofgasse im fünften Wiener Gemeindebe­zirk aufgewachs­en und wohnt noch heute dort. Seit gut einem Jahr setzt er sich für mehr Grün in der steingepfl­asterten Straße ein. Angefangen habe alles mit einem Nachbarsch­aftschor, den Fleischman­n im ersten Lockdown gegründet hat. Mit ausreichen­d Abstand hätten sie zwischen den Häuserzeil­en über 60-mal miteinande­r gesungen und später auch Auftritte absolviert. Das Honorar, hat der Musiker vorgeschla­gen, könne man verwenden, um Bäume, Sträucher und Blumen für die Straße zu kaufen und gemeinsam zu pflegen. Nun gedeihen Trauerbirk­en, Kletterpfl­anzen, ein Kirschbaum, Himbeeren, Maulbeeren und Olivenbäum­chen in der Gasse. Ausgestatt­et mit einem Bewässerun­gssystem, sind die Tröge mittlerwei­le angebunden. Leider seien bereits Pflanzen im Wert von 200 Euro weggekomme­n, darunter auch ein Apfelbaum. Fleischman­n und seine Nachbarn lassen sich davon weder Freude noch Früchte auf den übrigen Sträuchern verderben. Damit alles seine Richtigkei­t hat und wohl auch, um zukünftige­n Anzeigen zu entgehen, sind die Pflanzen derzeit bei der MA 46 in Bewilligun­g.

Um diese zu bekommen, müssen am Gehsteig mindestens zwei Meter Restbreite bleiben, damit Passantinn­en sich ohne Hinderniss­e begegnen können, weiß Katharina Mauss von der Kompetenzs­telle Grünstattg­rau. Ihre Empfehlung: schmale, hohe Tröge mit ausreichen­d Füllvolume­n, damit die Pflanzen genügend Platz zum Wurzeln haben und mehr Wasser speichern können.

Wer keinen Trog will und genügend Platz hat, kann bei der MA 28 um „bodengebun­dene Bepflanzun­g“ansuchen, um Bäumchen sowie Sträucher in der Erde vor dem Haus zu verwurzeln. Dafür dürfen keine Leitungen im Boden verlegt sein. Beide Varianten würden ungefähr gleich viel kosten. Erstberatu­ng bieten etwa Gebietsbet­reuung und Umweltbera­tung.

Grüne Fassade

Wer die Fassade direkt bepflanzen will, kann zu Efeu oder Veitchii greifen. Sie zählen laut Mauss zu den sogenannte­n Selbstklim­mern und brauchen keine Rankhilfe. Wichtig ist allerdings, dass die Fassade intakt ist, da die Pflanzen auch in Risse wachsen. Andere beliebte

Kletterpfl­anzen seien Wilder Wein, Blauregen und Lonicera-Arten. Diese benötigen allerdings Rankhilfen wie Seil, Netz oder Gitter. Nicht zu vergessen ist dabei, dass für eine Fassadenbe­grünung ein Mehrheitsb­eschluss der Eigentümer­gemeinscha­ft notwendig ist. Wer rechtlich auf der ganz sicheren Seite sein will beim Guerilla-Garteln, hat in Wien aber noch eine andere Möglichkei­t.

Ein Spaziergan­g durch eine beliebige Wiener Gasse mit Bauminseln im Asphalt genügt, um auf diese Möglichkei­t aufmerksam zu werden und sich die Frage zu stellen: Entsteht das Grün in der Erde rund um die Bäume einfach nur so? In vielen Fällen tut es das nicht, und in vielen Fällen sind auch die Wiener Stadtgärte­n nicht dafür verantwort­lich, sondern Privatleut­e.

Biotope um Linden

Wer aufmerksam durch die Lindengass­e im siebten Bezirk schlendert, wird gleich mehrere liebevoll angelegte Biotope in der mit niedrigen Gittern umzäunten Erde um ein paar Linden bemerken. Und wer wie wir darüber schreibt, staunt zusätzlich darüber, dass hier eine Kollegin vom STANDARD gartelt. Das haben wir erfahren, als wir bei der Gebietsbet­reuung nachfragte­n, die für diese im Fachjargon „Baumscheib­en“genannten Grünfläche­n zuständig ist.

Kollegin Reinhilde gestaltet seit vielen Jahren drei dieser Baumscheib­en in der Lindengass­e mit wilden Pflanzen. Anfangs musste sie ihr Konzept verteidige­n: „Die Anpflanzun­gen wurden immer wieder ausgerisse­n, weil sie nicht als solche erkannt wurden“, erzählt Reinhilde.

Sie beschäftig­t sich schon lange mit Wildpflanz­en und sammelt die Samen oder Setzlinge, die sie verpflanzt, auf der Gstettn. Dazu gehören etwa robuste, blühende Pflanzen wie der weiße Gänsefuß, der erst im August blühen wird, sich aber gut mit dem anderen

Grün rund um die Linde arrangiert. „Mittlerwei­le wurde erkannt, dass Ruderalpfl­anzen ökologisch wertvoll sind und dass man nicht alles als Unkraut ausreißen soll“, sagt die Kollegin über ihre Mikro-Ökosysteme, die sie klug plant.

Auch Schnecken, Käfer und andere Insekten sind Teil des Begrünungs­konzepts, das keine enormen Wassermeng­en verbraucht und sich teilweise selbst erhält. „Man ist draufgekom­men, dass ein Baum allein den Vögeln nicht so viel bringt. Wichtig ist auch das Grün rundherum“, sagt sie über das Ökosystem in der Baumscheib­e.

Mit der Lage einer Baumscheib­e an einer stark befahrenen Kreuzung und neben zwei Müllcontai­nern hat Reinhilde Glück. Daneben steht direkt ein Hydrant, der von Bürgerinne­n

zum Gießen oder von Gassigeher­n zum Befüllen der Hundetrink­schale geöffnet werden kann. Für die Bewässerun­g der anderen Biotope muss sie allerdings die volle Gießkanne im Korb auf ihrem Fahrrad transporti­eren. Alle Baumscheib­en, die von der Kollegin oft mehrmals in der Woche gepflegt werden, sind beschrifte­t. Zum einen, damit Kinder darauf aufmerksam werden, was hier wächst, und zum anderen: „Vielleicht lassen die Leute ihre Hunde dann seltener in die Baumscheib­e“, erklärt Reinhilde.

In ganz Wien werden schon über 1000 Baumscheib­en in Eigenregie von Anrainern gehegt und verschöner­t. Die meisten sind im zweiten Bezirk zu finden, gefolgt vom 15. sowie den Bezirken Margareten und der Brigittena­u. Das Angebot richtet sich vor allem an Menschen, die keinen eigenen Garten oder Balkon haben, grundsätzl­ich kann aber jede und jeder um Erlaubnis bei der Gebietsbet­reuung fragen.

An jedem dieser Bäume ist eine Nummer angebracht, die Interessie­rte notieren und zusammen mit einem Foto sowie der Adresse von der Baumscheib­e per E-Mail an die Gebietsbet­reuung schicken. Wenn sich noch niemand anderer dafür gemeldet hat, erhält man schon bald Bescheid und darf mit dem Garteln beginnen. Den benötigten Kompost zum Aufschütte­n der Baumscheib­en können sich urbane Gärtnerinn­en und Baumscheib­engestalte­r aus dem Grätzel von den meisten Mistplätze­n der Stadt kostenlos holen.

 ?? Fotos: Sascha Aumüller und Julia Beirer ?? STANDARD-Kollegin Reinhilde am Hydranten vor ihrer Baumscheib­e in Wien-Neubau und Bernhard Fleischman­ns Begrünungs­initiative in der Hofgasse.
Fotos: Sascha Aumüller und Julia Beirer STANDARD-Kollegin Reinhilde am Hydranten vor ihrer Baumscheib­e in Wien-Neubau und Bernhard Fleischman­ns Begrünungs­initiative in der Hofgasse.
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