Der Standard

Klimaschut­z im Land der Ungeschütz­ten

Schwerwieg­ende Indizien deuten darauf hin, dass in der Uiguren-Provinz Xinjiang in China Folter und Zwangsarbe­it an der Tagesordnu­ng sind. Was hat Österreich­s teilstaatl­icher Ölkonzern OMV dort zu schaffen?

- Joseph Gepp

Viele nennen es Völkermord. Mindestens eine Million Angehörige der muslimisch­en Minderheit der Uiguren werden im Westen Chinas vom Regime interniert. Ehemalige Häftlinge berichten von Folter, sexueller Gewalt und Gehirnwäsc­he. Schwerwieg­ende Hinweise lassen darauf schließen, dass Frauen im gebärfähig­en Alter sterilisie­rt und Männer im zeugungsfä­higen Alter interniert werden. Dazu ist Zwangsarbe­it an der Tagesordnu­ng.

Erst Ende Mai sorgten die Xinjiang Files für weltweite Empörung – geleakte Dokumente aus Chinas Staatsappa­rat, die Internieru­ngen und Misshandlu­ngen zeigen.

Kritik an westlichen Konzernen

Kein Wunder, dass sich westliche Unternehme­n, die in Xinjiang Geschäfte machen, Fragen gefallen lassen müssen. Zum Beispiel der deutsche Volkswagen-Konzern (VW), der ein Werk in der Hauptstadt Ürümqi betreibt. Oder das deutsche Chemieunte­rnehmen BASF, das in Form von Joint Ventures an Produktion­sstätten in der Stadt Korla beteiligt ist. Im Fall VW üben selbst Mitglieder des Aufsichtsr­ats Kritik an dem umstritten­en Engagement in Xinjiang; die Gewerkscha­ft IG Metall fordert den Rückzug aus der Provinz. VW wie auch BASF halten bis jetzt an ihren Projekten fest und beteuern, keinesfall­s in Zwangsarbe­it involviert zu sein.

Was Österreich betrifft, ist hingegen keine nennenswer­te Wirtschaft­saktivität in Xinjiang bekannt. Allerdings gibt es, wie DER STANDARD erfuhr, eine Ausnahme: Österreich­s teilstaatl­icher Mineralölk­onzern OMV, der größte Industrieb­etrieb im Land – sonst eher wegen seiner Verbindung­en nach Russland im Gespräch und in der Kritik –, unterhält seit 2020 eine Art Partnersch­aft mit einem lokalen Unternehme­n in Xinjiang. Die Firma heißt Shaya Saipu Energy Limited. Was genau hat die OMV in der hochkritis­chen chinesisch­en Provinz zu schaffen?

Details zu dem Projekt finden sich in einer Datenbank des österreich­ischen Umweltbund­esamts (UBA). Das Vorhaben dient nämlich dem Klimaschut­z.

Der Hintergrun­d: Seit dem Jahr 2018 gibt es in Österreich die Kraftstoff­verordnung, die wiederum auf einer EU-Richtlinie basiert. Dieses Gesetz sieht vor, dass Kraftstoff­e im Verkehrsse­ktor zu zehn Prozent aus erneuerbar­en Quellen kommen müssen statt aus klimaschäd­lichen fossilen. Falls Unternehme­n aus der Kraftstoff­branche dieses Ziel nicht erreichen – und sie erreichen es nicht –, bleibt ihnen aber ein Schlupfloc­h: Sie können andernorts Klimaschut­zprojekte finanziere­n – und sich bis zu einem gewissen Grad die erzielten Einsparung­en an Treibhausg­asen auf das eigene Ziel anrechnen lassen. Die Ziele können „auch durch Übertragun­g der Verpflicht­ungen auf Dritte erreicht werden“, so die Website des Umweltbund­esamts.

Genau das geschieht in Xinjiang. Das dazugehöri­ge Projekt findet im Distrikt Shaya nahe des Flusses Aksu statt. Dort fördern mehrere große staatliche chinesisch­e Unternehme­n Erdöl. Bei Ölbohrunge­n entweicht höchst klimaschäd­liches Methangas in die Atmosphäre. Eben dieses wird im chinesisch­en Fall im Rahmen des besagten Projekts Shaya Saipu aufgefange­n und weiterverw­ertet, damit die Ölförderun­g insgesamt klimafreun­dlicher abläuft. Konkret betreibt Shaya Saipu Gasrückgew­innung und -verwertung bei 17 Bohrlöcher­n. Wenn man so will, wird hier also Klimaschut­z im Land der Ungeschütz­ten betrieben – und die OMV lässt sich in Österreich die Einsparung­en gutschreib­en.

Fest steht dabei, dass all dies unter hochkritis­chen Bedingunge­n stattfinde­t. Wie aus unzähligen Experten- und Augenzeuge­nberichte hervorgeht, unterbinde­t das chinesisch­e Regime jegliche Transparen­z oder unabhängig­e Untersuchu­ngen hinsichtli­ch der Frage, in welchen Wirtschaft­ssektoren in Xinjiang Zwangsarbe­it in welchem Ausmaß zum Einsatz kommt. Auch die Ölindustri­e der Provinz ist diesbezügl­ich immer wieder im Gespräch. Auswertung­en von Satelliten­bildern in den vergangene­n Jahren zeigen überdies, dass viele der Internieru­ngscamps jedenfalls in der Nähe wichtiger Ölförderge­biete liegen.

„Keine direkte Vertragsbe­ziehung“

Die OMV verrät auf STANDARD-Anfrage keine Details zu dem Projekt Shaya Saipu, etwa dessen finanziell­em Umfang. Besonders glücklich ist man aber nicht mit dem Engagement, geht aus der Stellungna­hme hervor. Man präferiere grundsätzl­ich „Emissionsr­eduktionen aus OMV-eigenen Projekten in Rumänien und Tunesien“. Doch auf diesem Wege gelingen die erforderli­chen Einsparung­en nicht – deshalb gibt es eben auch Xinjiang. „OMV hat keine direkte Vertragsbe­ziehung mit dem genannten Unternehme­n“, so der Konzern weiter. Auf die Frage, ob man ausschließ­en könne, dass es zu Zwangsarbe­it und anderen Menschenre­chtsverstö­ßen komme, verweist der teilstaatl­iche Konzern auf eine Prüfung des Umweltbund­esamts, wie sie bei solchen Projekten verpflicht­end ist. Daneben habe auch ein „externer akkreditie­rter Auditor“– konkret das deutsche Institut TÜV Süd – „soziale- und umweltrele­vante Aspekte überprüft, und es wurde ein positives Ergebnis festgehalt­en“, so die OMV.

Tatsächlic­h attestiert­e der TÜV in einem Prüfberich­t vom August 2020, der in der Datenbank des Umweltbund­esamts einsehbar ist, dass ein „Assessment“der gesundheit­lichen und sicherheit­smäßigen Auswirkung­en des Projekts „positiv geführt“worden sei. Doch der Bericht handelt überwiegen­d davon, ob die Einsparzie­le bei den Treibhausg­asen erreicht werden. Die kritische menschenre­chtliche Lage in Xinjiang etwa kommt darin mit keinem Wort vor.

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 ?? ?? Dieses Bild aus den Xinjiang Files von Ende Mai zeigt Uiguren in den Internieru­ngslagern des chinesisch­en Regimes.
Dieses Bild aus den Xinjiang Files von Ende Mai zeigt Uiguren in den Internieru­ngslagern des chinesisch­en Regimes.

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