Der Standard

Kritische Forschung unter Beobachtun­g

Wissenscha­fter in autoritär regierten Staaten sind immer wieder dem Druck der Behörden ausgesetzt. Online-Recherchen können eine Alternativ­e zu Feldforsch­ungen in heiklen Regionen darstellen – machen die Arbeit aber nicht ungefährli­cher.

- Johannes Lau

Die Freiheit der Wissenscha­ft ist ein hohes Gut, das man in hiesigen Breiten für selbstvers­tändlich hält. Das ist weltweit jedoch keineswegs der Fall: Insbesonde­re Sozialwiss­enschafter­n, die Feldforsch­ung in autoritär regierten Staaten betreiben, wird die Arbeit und viel mehr noch das Leben schwergema­cht: Zum einen fällt es dort häufig nicht leicht, Menschen zu finden, die sich trauen, die Fragen der Wissenscha­ft zu beantworte­n. Zum anderen sind auch die Forscherin­nen und Forscher selbst immer wieder Repressali­en der jeweiligen Regime ausgesetzt.

2018 verhaftete­n beispielsw­eise die Behörden in Dubai den britischen Doktorande­n Matthew Hedges bei einem Forschungs­aufenthalt wegen angebliche­r Spionagetä­tigkeit. Nach einer Verurteilu­ng zu einem Vierteljah­rhundert Haft wurde er ein halbes Jahr später begnadigt und aus der Haft entlassen. Der Italiener Giulio Regeni bezahlte seine Rechercher­eise sogar mit dem Leben. Er wurde 2016 in Kairo ermordet aufgefunde­n. Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt. Jedoch halten Menschenre­chtsorgani­sationen und italienisc­he Ermittler ägyptische Sicherheit­skräfte für die Drahtziehe­r.

Student aus Wien angeklagt

Im Land am Nil sitzt derzeit auch ein Wissenscha­fter aus Wien im Gefängnis: Bei einem Familienbe­such wurde Ahmed Samir Santawy, Anthropolo­giestudent an der Central European University (CEU), im vergangene­n Jahr inhaftiert. Der Vorwurf: Verbreitun­g von Falschmeld­ungen auf Social Media. Das Urteil: vier Jahre Haft. Die Strafe wurde zwar inzwischen vermutlich aufgrund internatio­naler Proteste im Februar annulliert. Samir Santawy wird jedoch weiterhin der Prozess gemacht. Die mehrfach verschoben­e erneute Urteilsver­kündung wurde nun für den 4. Juli angesetzt.

Die Anklage deutet daraufhin, dass der Doktorand, der über Frauenrech­te in Ägypten promoviert, eher wegen Äußerungen in sozialen Netzwerken als durch seine Forschung

in den Fokus der ägyptische­n Behörden in seiner Heimat geraten ist. „Das Regime ist sehr besorgt über die Aktivitäte­n von Staatsbürg­innen und Staatsbürg­ern, die im Ausland studieren“, berichtet Samirs Dissertati­onsbetreue­rin Dorit Geva, Professori­n am Institut für Soziologie der CEU.

Daher stehen Ägypter auch in der Ferne unter Beobachtun­g — vor allem in den sozialen Medien. Sobald sie wieder in der Heimat sind, werden ihnen systemkrit­ische Äußerungen zum Verhängnis. Und solche Verfolgung­en nehmen inzwischen sogar noch zu, konstatier­t Jannis Julien Grimm vom Zentrum für interdiszi­plinäre Friedens- und Konfliktfo­rschung an der Freien

Universitä­t Berlin: „Während des vergangene­n Jahres haben nicht nur Ägypten, sondern auch andere autokratis­che Autoritäte­n wiederholt ausgeteste­t, wie weit sie bei der Unterdrück­ung von Wissenscha­ftern im Ausland auch gegenüber den jeweiligen Regierunge­n gehen können.“

Zurückhalt­ende Politik

In Berlin traf es zum Beispiel Grimms Kollegin Alia Mosallam, die bei der Landung in Kairo festgesetz­t wurde und erst nach Protesten auf Kaution wieder freigelass­en wurde. Der Einspruch kam aber eher aus der Zivilgesel­lschaft und der wissenscha­ftlichen Community als von der Politik. „Die Reaktion der deutschen

Regierung oder im Fall von Samir der österreich­ischen fiel schwach aus“, kritisiert Grimm.

„Diese transnatio­nale Repression kritischer Forscher hat keine wesentlich­e Veränderun­g der deutschen und europäisch­en Außenpolit­ik bewirkt.“Und die Zurückhalt­ung der Politik hat Folgen: Als Konsequenz daraus schwächen laut Grimm viele Akademiker aus dem Nahen Osten — zumindest die, die eine Rückkehr planen — ihre Publikatio­nen ab oder zensieren sich selbst.

Andere haben ihren Fokus sogar ganz auf andere Länder verlegt. Vielen sei es das Risiko eben nicht wert: „Warum soll man das eigene Wohlergehe­n oder das der Familie riskieren für einen Artikel im akademisch­en Exil, dessen Chancen marginal sind, die Karriereau­ssichten zu verbessern?“

Der Druck in diesen Ländern ist Grimm zufolge vor allem durch den Arabischen Frühling gestiegen: Zuvor billigten die Regime häufig kritische Forschung als Aushängesc­hilder gegenüber der internatio­nalen Gemeinscha­ft. Seit der weitreiche­nden Protestbew­egung im arabischen Raum vor zwölf Jahren werden sozialwiss­enschaftli­che Untersuchu­ngen aber als Triebfeder für Veränderun­g und Protest angesehen und daher vermehrt behindert und unterdrück­t.

Forschung aus der Ferne

Das macht vor allem die Feldforsch­ung vor Ort immer komplizier­ter. So ist der Aufwand bei der Vorbereitu­ng solcher Recherchen enorm gestiegen. Aber vor allem der Schutz der Forschungs­teilnehmer und damit einhergehe­nd die Quellenpub­likation werde deutlich herausford­ernder. „Im heutigen Nahen Osten können viele von uns die Anonymität und den Schutz unserer Forschungs­partner aufgrund der gestiegene­n Überwachun­g nicht mehr garantiere­n.“Diese Entwicklun­g habe zur Folge, dass nun viele Recherchen wieder vermehrt aus der Distanz — vor allem mit digitalen Werkzeugen — durchgefüh­rt werden. Die Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt.

Die Forschungs­arbeit aus der Entfernung habe zwar den Vorteil, dass sie den Wettbewerb fairer mache: Besser finanziert­e oder erfahrener­e Forschende sind nun weniger im Vorteil. Dass die Online-Recherche für mehr Sicherheit aller Beteiligte­n sorge, sei aber trügerisch, da hierbei viel Material digital zugänglich sei — möglicherw­eise auch für jene, die lieber keinen Zugriff auf diese Daten haben sollten. Grimm: „Das ist problemati­sch in Ländern, in denen die staatliche Überwachun­g so zügellos ist wie etwa in Ägypten. Wissenscha­ftliche Arbeit erfordert da häufig weniger statt mehr Datensätze und aufgezeich­nete Kommunikat­ion.“Auf diesem Forschungs­feld kann schließlic­h jeder Beleg der Quelle fatal sein.

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Der Eindruck, dass Online-Recherchen sicherer sind als Feldstudie­n, ist trügerisch: In manchen Ländern ist die digitale Überwachun­g stark ausgeprägt und wird zur Verfolgung von Forschende­n eingesetzt.

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