Der Standard

Mahlers Lieder im Theater Arche

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Wien – „Sie sind ein Tagebuch des Daseins“, sagte Thomas Hampson einmal über Gustav Mahlers Wunderhorn-Lieder. Vom vergnügten Wanderburs­chen und von der lebenslust­igen Wirtstocht­er über das Selbstgesp­räch eines Gefangenen bis zum Todesmarsc­h des Soldaten – in seiner Vertonung von Achim von Arnims und Clemens Brentanos Volkslieds­ammlung erkundet Mahler sämtliche Zustände menschlich­er Existenz, verpackt in Liebesgedi­chten, Balladen, Tanz- und Kinderlied­ern, Zauberform­eln und Jenseitsfa­ntasien.

Statt wie gewohnt im Konzertsaa­l, fand die jüngste Aufführung der Lieder im Theatersaa­l statt. Die japanische Regisseuri­n Miharu Sato hat das Experiment gewagt und mit Manami Okazaki, Leiterin des Theater Arche, Mahlers Kunstlieds­ammlung auf die Bühne gebracht. Im Mittelpunk­t steht ein einsamer Mann (Michael Havlicek), der sich gerade einer Therapie unterzieht, da er unter Schlafstör­ungen leidet. „Haben Sie irgendwelc­he Hobbys – Sport, zum Beispiel?“, fragt ihn seine Ärztin (Eszter Hollósi) und bietet ihm einen Kräutertee an.

Das Leben an sich

Die Klarinette stimmt eine Melodie von Mahler an. Bald entspinnt sich eine Geschichte über das Leben des Mannes zwischen Traum und Realität. Virtuos verwebt Sato Text, Lied, Tanz und Musik miteinande­r. Die Reduktion auf das Wesentlich­e – das Ensemble spielt Klavier, Klarinette, Akkordeon, Violine und Schlagzeug – legt Mahlers fantastisc­he Bild- und Klangwelt offen; den Gesangspar­t teilen sich Michael Havlicek und Manami Okazaki, die ihm, ganz in Weiß, als Frau in seinen Träumen erscheint. Dabei geht es nicht um reinen Schöngesan­g; die beiden haben sich Mahlers Gefühlswel­ten einverleib­t und zeichnen ein berührende­s Panorama menschlich­en Lebens zwischen Diesseits und Jenseits. Der Kuckuck und die Nachtigall erschienen als personifiz­ierte Tänzerinne­n, der Mann trifft auf sein früheres Ich und findet nach einer guten Stunde schließlic­h auch das Glück. (mda)

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