Der Standard

„Bestellung der ORF-Organe von Parteipoli­tik dominiert“

Burgenland beschloss Dienstag, Sideletter zu ORF-Besetzunge­n und ORF-Gremien von Höchstgeri­cht prüfen zu lassen

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Eisenstadt/Wien – Der Verfassung­sgerichtsh­of muss sich mit Politeinfl­uss im ORF beschäftig­en. Und vor allem mit der Frage: Ist die politische Besetzung der ORF-Gremien mit jener Unabhängig­keit vereinbar, die ein Verfassung­sgesetz und die Menschenre­chtskonven­tion verlangen?

Am Dienstag beschloss die Regierung des Burgenland­s den Prüfungsan­trag an den Verfassung­sgerichtsh­of (DER STANDARD berichtete am Wochenende von der seit Monaten vorbereite­ten Beschwerde).

Der am Dienstag veröffentl­ichte Antrag auf Normenkont­rolle erklärt sich wörtlich so: Die Bundesregi­erung habe „zu viel Einfluss auf die Bestellung der Aufsichts- und Kontrollor­gane des ORF, die eigentlich völlig unabhängig sein sollten“. Und das in mehreren Punkten: ■ „Erstens wird der überwiegen­de Teil sowohl der Mitglieder des Stiftungsr­ates als auch des Publikumsr­ates von der Regierung bzw. vom Bundeskanz­ler bestellt.“

■ „Zweitens gibt es keine Regelungen, die Unabhängig­keit und Qualifikat­ion der Mitglieder dieser bedeutende­n Gremien sicherstel­len.“

■ „Drittens gibt es für diese Bestellung­en weder ein öffentlich­es Auswahlode­r Besetzungs­verfahren noch gibt es eine Möglichkei­t, diese Besetzunge­n einer unabhängig­en gerichtlic­hen oder behördlich­en Kontrolle zu unterziehe­n.“

Türkise Sideletter

All das führe dazu, „dass die Bestellung der genannten Organe des ORF von Parteipoli­tik dominiert wird“. Die Anfang 2022 bekannt gewordenen Sideletter zu den Koalitions­abkommen von ÖVP und FPÖ 2017 und von ÖVP und Grünen 2020 sahen eine Aufteilung der ORF-Gremien zwischen den Regierungs­parteien vor. Daraus folge: „Die verfassung­srechtlich gebotene Unabhängig­keit und Regierungs­ferne ist nicht gegeben.“

„Wenn das wichtigste Organ des ORF, der Stiftungsr­at, nach dem geltenden Gesetz mehrheitli­ch von der Regierung besetzt wird, ist die Unabhängig­keit des ORF nicht gewährleis­tet“, ließ Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu der Initiative verlauten.

Der Besetzungs­schlüssel des obersten ORF-Gremiums, bis 2001 hieß das Gremium ORF-Kuratorium, ist seit der ORF-Novelle 1984 unveränder­t, damals mit Mehrheit einer SPÖ-FPÖ-Regierung beschlosse­n. 2001 beließen ÖVP und FPÖ den Mandatssch­lüssel im neuen ORFGesetz: Neun Mandate Bundesregi­erung, neun für die Länder, sechs für die Parteien im Nationalra­t, fünf für den Betriebsra­t und sechs für den ORF-Publikumsr­at. Die damals erfundene Publikumsw­ahl von sechs Publikumsr­äten (per Fax) strichen SPÖ und ÖVP 2014 mitsamt sechs Mandaten – womit der Kanzler oder der Medienmini­ster seither allein die Mehrheit im Publikumsr­at bestimmt.

Doskozil wünschte sich 2021 den langjährig­en Chefredakt­eur im ORFLandess­tudio, Walter Schneeberg­er, vor dessen Pension als ORF-Landesdire­ktor; der ÖVP-dominierte Stiftungsr­at verlängert­e auf Vorschlag des neuen ORF-Generals Roland Weißmann aber Werner Herics als Landesdire­ktor. (fid)

„Verfassung­srechtlich gebotene Unabhängig­keit ist nicht gegeben.“Beschwerde an Verfassung­sgericht

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