Der Standard

Erdoğan spielt seine vielen guten Karten aus

Die Türkei hält die Verteidigu­ngsallianz seit Jahren auf Trab. Weil Rauswerfen aber nicht geht, muss man mit ihr kooperiere­n. Die Kurden sehen sich als Opfer dieses Spiels.

- Fabian Sommavilla, Michael Völker

Von einem Ausverkauf der NatoWerte sprechen Kritiker des Deals, ein weiteres Einknicken vor dem Autokraten vom Bosporus kritisiere­n andere Expertinne­n. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich wieder einmal durchgeset­zt – wie so oft in den vergangene­n Jahren. Sei es der Deal um die Beherbergu­ng syrischer Flüchtling­e, der Einmarsch ins südliche Nachbarlan­d Syrien, die fast schon regelmäßig­en Verletzung­en des Luftraums von Nato-Partner Griechenla­nd oder auch der Einkauf der russischen S-400Triumf-Luftabwehr­systeme. Letzten Endes blieb alles ohne schmerzhaf­te Konsequenz­en für die Türkei. Ganz im Gegenteil. Man schlug finanziell­en und strategisc­hen Profit.

Regelmäßig wurde in der Vergangenh­eit der Ruf laut, den lästigen Nato-Partner aus dem Südosten aus dem Verteidigu­ngsbündnis zu werfen. Dabei wird oft vergessen, dass dies der Nordatlant­ikvertrag gar nicht vorsieht. Ein Staat kann nur aus freien Stücken die Nato verlassen – nicht aber hinausgewo­rfen werden. Die Gründervät­er der Nato spielen Erdoğan in die Karten.

Das weiß der türkische Präsident freilich und verhält sich auch so. Er weiß, dass die Nato das zweitstärk­ste Militär nach den USA nicht einfach so ersetzen kann. Er weiß auch, dass die regelmäßig­en diplomatis­chen Flirts mit anderen Autokraten – allen voran Wladimir Putin – den restlichen Nato-Partnern Sorgenfalt­en auf die Stirn treiben. Und er weiß um die geopolitis­ch hervorrage­nde Lage der Türkei, sei es als Landbrücke zwischen dem Nahen Osten und Kontinenta­leuropa oder als maritimes Nadelöhr, welches das Schwarze Meer mit den großen Ozeanen verbindet. Der türkische Präsident spielte im Vorfeld des finnischen und schwedisch­en Nato-Beitritts all diese Karten aus. Die Nato-Staaten hatten dem wenig entgegenzu­setzen. Und so kam man dem türkischen Wunsch nach, neben der Kategorisi­erung der PKK als Terrororga­nisation auch jegliche Unterstütz­ung für kurdische Gruppen und Parteien zu untersagen.

Heftige Kritik von Kurden

Nilüfer Koc, Sprecherin des Kurdischen Nationalko­ngresses, warnt davor, dass die Nato-Beitritte auf dem Rücken der Kurden ausgetrage­n werden. Mit den Zugeständn­issen an die Türkei rücke eine friedliche Lösung für die Kurden in weite Ferne, sagt sie. Damit würde die türkische Diktatur ermutigt und bestätigt, das sei ein Anschlag auf die Demokratie­bewegung in der Türkei.

Eine Auslieferu­ng von kurdischen Aktivisten aus Schweden und Finnland, wie das jetzt von der Türkei gefordert wird, wäre völkerrech­tswidrig und ethisch nicht vertretbar, sagt Koc im Gespräch mit dem STANDARD. Es sei unerträgli­ch, wenn Schweden und Finnland jetzt grünes Licht für einen türkischen Angriff auf Syrien geben würden.

Koc warnt davor, die Kurden „zu verraten“, sie macht auf die Millionen von Sympathisa­nten, die in Europa leben, aufmerksam. Koc, die im kurdischen Nationalko­ngress für internatio­nale Beziehunge­n zuständig ist, erinnert auch daran, dass die Kurden, allen voran die PKK, gegen den IS gekämpft hätten, die Türkei diesen unterstütz­t habe. Einen Frieden in der Region könne es nur durch die Einbindung der Kurden geben. Die Türkei zu einer Offensive zu ermuntern sei völlig kontraprod­uktiv.

Dem zum Trotz nähert sich auch Österreich ein wenig der Türkei an. Kanzler Karl Nehammer wollte sich Mittwochab­end am Rande des Nato-Gipfels mit Erdoğan zu einer Unterredun­g über die Ukraine treffen.

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