Der Standard

Prag übernimmt schweren EU-Job

Am Donnerstag endet die französisc­he Ratspräsid­entschaft in der Europäisch­en Union, ab Freitag ist für sechs Monate Tschechien am Ruder. Die To-do-Liste steht ganz im Zeichen des Kriegs in der Ukraine.

- Gerald Schubert aus Prag

Es ist eine Präsidents­chaft im Krisenmodu­s. Zum zweiten Mal übernimmt Tschechien am Freitag für ein halbes Jahr den Ratsvorsit­z in der Europäisch­en Union. Ein Blick auf die Prager Prioritäte­nliste zeigt: Der russische Angriffskr­ieg gegen die Ukraine spielt auch hier die Hauptrolle.

Die Bewältigun­g der Flüchtling­skrise und der Wiederaufb­au der Ukraine rangieren gleich an erster Stelle. Auch die politische und militärisc­he Unterstütz­ung für Kiew liege „im vitalen Interesse der EU, um die Sicherheit in Europa zu gewährleis­ten“, heißt es in dem Papier der tschechisc­hen Regierung.

Auch die weiteren Punkte sind zum Teil am Bemühen orientiert, der russischen Aggression auf europäisch­er Ebene etwas entgegenzu­setzen: Energiesic­herheit und Erhöhung der Verteidigu­ngskapazit­äten – auch gegen Cyberangri­ffe – gehören ebenso dazu wie die Stärkung der wirtschaft­lichen Stabilität und der demokratis­chen Institutio­nen.

„Natürlich hat die Invasion in der Ukraine alles geändert“, sagt auch der tschechisc­he Politikwis­senschafte­r Jiří Pehe im Gespräch mit dem STANDARD. Kopfzerbre­chen bereitet dem Direktor der New York University in Prag allerdings die Frage, ob die tschechisc­hen Ziele überhaupt den politische­n Möglichkei­ten des Landes entspreche­n.

Heikles Thema Migration

Beim Flüchtling­sthema etwa, so Pehe, habe Tschechien mit den anderen Visegrád-Ländern (V4), also Polen, Ungarn und der Slowakei, jahrelang sämtliche Versuche der Schaffung einer gemeinsame­n europäisch­en Flüchtling­spolitik boykottier­t. „Die Frage ist, wie stark hier nun die Position eines Landes sein kann, das in der Vergangenh­eit mit dem Rest Europas nicht besonders solidarisc­h war“, meint Pehe.

Für Flüchtling­e aus der Ukraine – diese können in einem Land ihrer Wahl sofort auf dem europäisch­en Arbeitsmar­kt Aufnahme finden – hat die EU inzwischen aber neue Rahmenbedi­ngungen geschaffen. Auch eine Aufteilung nach Quoten, die nicht nur von den Visegrád-Staaten, sondern auch von anderen Ländern, darunter Österreich, abgelehnt wurde, ist damit aus dem Fokus der Debatten geraten.

Pehe sieht aber noch andere Stolperste­ine für den Ratsvorsit­z. So könne Tschechien als Land, das nicht der Eurozone angehört, bei wirtschaft­spolitisch­en Reformen nicht so leicht den Ton angeben.

Und noch ein Punkt könne sich als harte Nuss erweisen: „Solange Tschechien im Rahmen der V4 ein enger Verbündete­r Ungarns und Polens bleibt, kann es nur schwer die Stärkung der demokratis­chen Institutio­nen verlangen“, meint Pehe. Budapest und Warschau sind zuletzt wegen Streitigke­iten um die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Kriterien und die Unabhängig­keit der Justiz in die Kritik geraten.

Dennoch: Die rechtslibe­rale Fünf-Parteien-Koalition in Prag hat immer wieder ihre proeuropäi­sche Haltung betont. Die konservati­ven Bürgerdemo­kraten (ODS) von Premier Petr Fiala sitzen im Europäisch­en Parlament zwar mit der EU-skeptische­n polnischen Regierungs-partei PiS in einer Fraktion, doch Fiala legt Wert darauf, sich auch in EU-Fragen von seinem Vorgänger Andrej Babiš abzugrenze­n. Dessen liberal-populistis­che Partei Ano gehört in Straßburg zwar der liberalen Fraktion Renew Europe an, Babiš selbst zeigt jedoch gerne seine Nähe zum nationalko­nservative­n ungarische­n Premier Viktor Orbán.

Unschöne Erinnerung

Fiala hat zudem mit Europamini­ster Mikuláš Bek von der liberalen Partei Stan einen ausgewiese­nen Europäer an seiner Seite. Im Interview mit dem STANDARD hat Bek die V4 jüngst als „Kommunikat­ionsplattf­orm“bezeichnet, die längst nicht zu allem eine homogene Meinung habe. Und nicht zuletzt hat die Koalition in Prag ein weiteres gemeinsame­s Interesse, das freilich nicht auf der Prioritäte­nliste steht: Einen Betriebsun­fall wie im Jahr 2009, als während der ersten Ratspräsid­entschaft des Landes die – ebenfalls ODS-geführte – Regierung über ein Misstrauen­svotum gestürzt ist, soll es diesmal keinesfall­s geben.

 ?? ?? Vorige Woche absolviert­e Tschechien­s Premier Petr Fiala seinen letzten EU-Gipfel unter französisc­hem Vorsitz. Ab Juli ist er selbst an der Reihe.
Vorige Woche absolviert­e Tschechien­s Premier Petr Fiala seinen letzten EU-Gipfel unter französisc­hem Vorsitz. Ab Juli ist er selbst an der Reihe.

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