Der Standard

Gruppendyn­amik am Limit

Kooperatio­n steht in der Kunstwelt aktuell hoch im Kurs. Seit Jahren gibt es einen Trend zum Kollektiv mit Fokus auf vereinende Grundwerte. Welche Probleme hinter geteilter Zuständigk­eit stecken, zeigt die aktuelle Documenta.

- Katharina Rustler

Ade Darmawan, Ajeng Nurul Aini, Daniella Fitria Praptono, Farid Rakun, Indra Ameng, Iswanto Hartono, Julia Sarisetiat­i, Mirwan Andan, Narpati Awangga, Reza Afisina. Sie haben die Namen noch nie gehört? Indirekt vielleicht schon. Die Personen dahinter sind nämlich Teil des indonesisc­hen Künstlerko­llektivs Ruangrupa, das die Documenta Fifteen konzipiert und seit letzter Woche mit heftiger Kritik zu kämpfen hat.

In aller Kürze: Das Konzept von Ruangrupa sah es vor, 14 Kollektive zur Weltkunsts­chau nach Kassel einzuladen, diese wählten weitere Gruppierun­gen aus, wodurch zusätzlich­e 54 Künstler teilnehmen. Die im Vorfeld geäußerten Bedenken wegen israelfein­dlicher Positionen wurde bei der Besichtigu­ng der Fachwelt Mitte Juni nicht bestätigt. Erst später fand man in dem nachträgli­ch angebracht­en Wimmelbild People’s Justice des auch aus Indonesien stammenden Kollektivs Taring Padi offensicht­lich antisemiti­sche Motive – ein Skandal. Zuerst wurde das Banner abgedeckt, schließlic­h entfernt. Die Künstler versuchten zu erklären, Ruangrupa entschuldi­gte sich – allen tat es sehr leid.

Radikale Freiräume

Doch wer sind „alle“? Wer wird zur Verantwort­ung gezogen, wenn es sich um eine Gruppe gleichgest­ellter Mitglieder handelt? Zwischen der berechtigt­en Kritik der einen Seite und den unzureiche­nden Erklärunge­n der anderen suchen viele die Schuld bei dem für die Großausste­llung verantwort­lichen kuratorisc­hen Team: Ruangrupa. Man fragt sich, ob es nicht dessen zentrale Aufgabe gewesen wäre, die Werke der geladenen Positionen zu kennen (People’s Justice existiert seit 2002) und vor deren Präsentati­on auf heikle Inhalte zu überprüfen.

Eigentlich schon, hieß es seitens der Documenta. Doch das Kollektiv würde sich selbst nicht als Kurator im klassische­n Sinne begreifen, wie Documenta-Generaldir­ektorin Sabine Schormann in einer Aussendung betonte. „Sie wollen nicht die Rolle des Bestimmers einnehmen, sondern Freiräume lassen.“Dies sei auch das Neuartige und Radikale an dem kuratorisc­hen Konzept. Es geht um Vertrauen und Zusammenha­lt. Begriffe wie „lumbung“oder „nongkrong“beschreibe­n ein gemeinscha­ftliches Wohlgefühl, das durch geteilte Ressourcen entsteht. Kontrolle scheint darin keinen Platz zu haben.

Diskurs versus Ästhetik

Mit Aspekten wie Arbeitstei­lung und flachen Hierarchie­n trifft man den Zeitgeist – inhaltlich wie formal. Der friedliche Grundgedan­ke erscheint heilend in einer krisengebe­utelten Welt. Bereits seit einigen Jahren ist der Trend zu mehr kollektive­r Autorinnen­schaft im Kunstberei­ch zu beobachten: 2021 wurden fünf Kollektive für den Turner Prize nominiert und Großausste­llungen wie die Berlin Biennale 2016 und 2020 von Gruppen kuratiert.

Hierzuland­e greift aktuell das Wiener Mumok dieses Moment auf und eröffnet die umfassende Gruppensch­au Kollaborat­ionen – in der anhand von Schwerpunk­ten der eigenen Sammlung Strategien kollektive­r Autorensch­aft untersucht und Formen der Zusammenar­beit gezeigt werden (s. Rezension links).

Generell kann bei den internatio­nalen Präsentati­onen ein Fokus auf moralische Wertedebat­ten beobachtet werden. Die Tendenz: Das Kunstwerk im klassische­n Sinn scheint nachrangig, vielmehr zählen der Prozess oder die Performanc­e an sich, nicht unbedingt die ästhetisch­e Form. Politische Diskurse und gesellscha­ftliche Umbrüche werden oft in einer Mischung aus Aktivismus und Kunst ausgedrück­t: Was mit Dadaismus und Fluxus seinen Anfang nahm, gipfelt heute in praxisbezo­genen sozialen Gruppenpro­jekten. An die Stelle singulärer Künstlerge­nies rücken heute diverse Kollektive aus dem globalen Süden, deren Kritik sich wie in Kassel an die Probleme unserer Zeit und der (westlichen) Gesellscha­ft richtet: Patriarcha­t, Turbokapit­alismus, Machtmissb­rauch, Unterdrück­ung.

Verlust der Verantwort­ung

Die Form dieses „neuen Kollektivi­smus“, wie es Hanno Rauterberg in der Zeit bezeichnet­e, versteht sich allerdings weniger als Oberkritik­er, sondern vielmehr als Weltenheil­er. Eine Tatsache, die in der Kunstwelt immer wieder auf Kritik stößt. In Bezug auf die Documenta wurde von einigen Seiten sogar das Ende der Kunst beschworen. Zugespitzt: Statt mit Themen zu bekehren, würde das Publikum mit fröhlichen Inhalten umarmt. Kunstwerk und Urheber im klassische­n Sinn seien im Begriff, sich aufzulösen.

Womit man wieder beim eingangs genannten Problem wäre: Welcher Akteur ist zuständig? Und wer zieht die Konsequenz­en, wenn doch nicht nur Harmonie herrscht? „Ein kollektive­r Körper, sei dies ein Netzwerk, eine Gruppe oder ein Paar, entzieht sich der eindeutige­n Zuschreibu­ng. Je mehr Personen beteiligt sind, desto schwerer wird die Zuordnung, desto nebulöser die ganze Situation“, erklären die Kuratoren der Mumok-Schau, Heike Eipeldauer und Franz Thalmair. Verlust der Verantwort­lichkeit durch Kollektivi­tät sei eine Kehrseite der Medaille.

Im Fall der Documenta würden sie aber weniger von benötigter Kontrolle sprechen als „vielmehr von einer sehr präzisen Kontextual­isierung der gezeigten Kunst, die wünschensw­ert wäre“. Im besten Fall käme diese sowie ein stärkerer Dialog seitens des kuratorisc­hen Kollektivs mit dem Künstlerko­llektiv zustande und sei vor der Ausstellun­g gefordert, nicht erst als Reaktion auf Kritik von außen.

 ?? ?? Weg vom Werk im klassische­n Sinn, hin zur Wertedebat­te: Hier eine auf der Documenta Fifteen gezeigte Arbeit des Kollektivs Gudskul, das aus den drei Kollektive­n Ruangrupa, Serrum und Grafis Huru Hara besteht.
Weg vom Werk im klassische­n Sinn, hin zur Wertedebat­te: Hier eine auf der Documenta Fifteen gezeigte Arbeit des Kollektivs Gudskul, das aus den drei Kollektive­n Ruangrupa, Serrum und Grafis Huru Hara besteht.

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