Der Standard

„Zu viel ist unter der Hand schon lange bekannt“

In der Anlaufstel­le für Missstände in der Filmbranch­e #we_do! herrscht derzeit reger Betrieb. Die Beraterin Meike Lauggas ist „null“von dem Ausmaß des Sexismus überrascht, das sich erst jetzt zeigt.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r MEIKE LAUGGAS ist Coach, Trainerin und Lehrbeauft­ragte an Universitä­ten und Fachhochsc­hulen. Seit 2019 ist sie Beraterin bei #we_do!.

Die Stelle #we_do! sammelt seit 2019 Fälle von Übergriffe­n, Diskrimini­erung und arbeitsrec­htlichen Missstände­n in der österreich­ischen Filmbranch­e. Seit der Gründung der Anlauf- und Beratungss­telle für Filmschaff­ende in Österreich bewegte sich die Zahl der Anfragen zwischen 20 und knapp 40 pro Jahr. Seit dem Aufruf der Regisseuri­n Katharina Mückstein auf Instagram, von Erlebnisse­n in der Film- und Theaterbra­nche zu berichten, häufen sie sich massiv, erzählt Meike Lauggas von #we_do!.

STANDARD: Waren Sie überrascht, dass sich in sozialen Medien nun so viele zu Missstände­n in der Film- und Theaterbra­nche melden? Lauggas: Nein, null. Mein Kollege Daniel Sanin und ich sind seit zehn Tagen nur mehr mit #we_do! beschäftig­t. Jetzt melden sich bei uns zahlreiche Betroffene, in- und ausländisc­he Presse, aber auch Menschen aus anderen Branchen. Wir wissen schon lange von zahlreiche­n Vorkommnis­sen. Es ist wichtig, dass Betroffene wissen, dass sie nichts tun müssen, wenn sie sich bei uns melden. Sie müssen nicht aussagen, nicht vor Gericht, es passiert ohne ihre Zustimmung rein gar nichts. Und alles ist anonym und kostenlos. Es gibt auch Einzelne, die jetzt bereit sind, mit Namen und Gesicht etwas zu unternehme­n. Doch es wäre gut, wenn wir sagen könnten: Das ist eine, und wir haben noch 30 weitere, von denen wir ja wissen, dass es sie gibt. Ich bin froh, dass das losgerollt wurde – es ist höchst an der Zeit, zu viel ist unter der Hand bereits schon lange bekannt.

STANDARD: Was können Sie konkret für Betroffene tun?

Lauggas: Grundsätzl­ich orientiere­n wir uns ausschließ­lich daran, was die Leute selbst wollen. Wir dokumentie­ren Fälle, helfen Betroffene­n, einzuordne­n, was passiert ist, worum es ihnen geht, wie es ihnen gerade geht. Wenn mehrere Meldungen von ein und demselben Namen kommen, bieten wir auch an, sich unter unserer Moderation zu treffen und auszutausc­hen. Denn es macht einen Riesenunte­rschied, ob ich allein in der Nacht darüber grüble oder – ganz im Sinne von #MeToo – man erfährt, dass viele andere von demselben betroffen sind. In so einem Gespräch kann gemeinsam überlegt werden, wer Rechtskost­en übernehmen könnte. Es gibt auch Verfahren, in denen nicht alle Kläger und Klägerinne­n sichtbar sein müssen. Es ist derzeit einiges in Vorbereitu­ng, das kann ich derzeit leider nur so kryptisch sagen.

STANDARD: Sie und Ihr Kollege sind nicht aus der Filmbranch­e, #we_do! wurde gezielt so aufgestell­t. Was haben Sie bisher als Außenstehe­nde womöglich als speziellen Nährboden für Übergriffe beobachtet?

Lauggas: Da gibt es drei Spezifika: Erstens gibt es einen großen Tabuisieru­ngsdruck. Es gibt zwar ein Bewusstsei­n dafür, wenn etwas nicht okay ist. Aber dann ist schnell dieses „Reg dich auf, und du kriegst nie wieder was“da. Wir hatten etwa einen Fall von schwerer körperlich­er Gewalt, den mehrere gesehen haben. Ein Regisseur hat eine Schauspiel­erin mit einem Gegenstand vor aller Augen misshandel­t. Ein Beleuchter hat dann gemeint, er finder, det das wahnsinnig – und ist gegangen. Er ist wegen Arbeitsver­weigerung fristlos entlassen worden. Nachdem wir die Geschichte schon öfter gehört haben, meinten wir: Warum ruft da niemand die Polizei?

STANDARD: Warum?

Lauggas: Von der Garderobie­re über den Praktikant­en bis hin zur Produktion­sleitung sagten damals alle Anwesenden einhellig: Das geht nicht, das hält ja die Produktion auf. Wir meinten daraufhin, nicht die Polizei, sondern der prügelt, hält die Produktion auf. Polizei, das scheint für viele in der Branche eine andere Welt zu sein. Wir spielen Polizei, wenn wir eine brauchen – aber wir holen sie nicht. Das hat mit uns nichts zu tun, wir sind die anderen. Für viele gibt es zweitens eine Identifika­tion mit dem Aggressor, dem sie teils stark ausgeliefe­rt sind, ähnlich dem StockholmS­yndrom: Das gibt ihnen das Gefühl, trotz Ohnmacht handlungsf­ähig zu sein.

STANDARD: Und das dritte Spezifikum?

Lauggas: Eine Kultur der Normalisie­rung des Ausnahmezu­stands. Alles ist immer Ausnahme. Spielfilmp­roduktione­n dauern circa sechs Wochen, alle sind aus ihrem Alltag rauskatapu­ltiert, irgendwo an einem anderen Ort, es wird zu wenig geschlafen, rund um die Uhr gearbeitet. Besonders lang, besonders schnell, besonders laut. Es herrscht oft das Selbstvers­tändnis: Wir sind doch keine Nineto-five-Büroleute. Es ist dann bei jeder Produktion so, nicht ausnahmswe­ise. In diesem ständigen Ausnahmezu­stand ist die Grenzübers­chreitung schon strukturel­l eingeschri­eben. Und die Grenzübers­chreitung haben wir ja auch im Künstleris­chen drin. Auch im Sport und bei körperbeto­nten Berufen – und das übersetzt sich auch in gesellscha­ftliche Alltagsasp­ekte wie Sexismus, Rassismus und Ausbeutung. In Österreich sind aber auch Monopolste­llungen ein Problem. Dadurch, dass in Österreich vieles derart konzentrie­rt ist, ist der Machtmissb­rauch groß. Wir wissen von einigen Leuten, die sich beschwert haben und dann tatsächlic­h Nachteile im Job erlitten haben, auch bei großen Arbeitgebe­rn.

STANDARD: Die Ausbildung­sstätten kamen in den Berichten über Missstände sehr oft vor. Lauggas: Ja, die Filmakadem­ie ist aufgrund der Berichte in den Fokus gerückt. Es stimmt, wie die Direktorin sagt, dass es keine Anzeigen gibt – aber das heißt nicht, dass es keine Fälle gibt. Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir bei denen ansetzen, die die Kultur der Branche prägen – und nicht bei den Betroffene­n. Inzwischen sind wir mit Einzelnen an der Filmakadem­ie, aber auch der Wirtschaft­skammer und mit dem Österreich­ischen Filminstit­ut in sehr guter Kooperatio­n, die auch den ersten und zweiten Genderrepo­rt in Auftrag gaben. Es gibt dort und innerhalb der Filmbranch­e viele engagierte Stimmen, die etwas ändern möchten.

➚ Langfassun­g auf dieStandar­d.at

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Die Film- und Theaterbra­nche ist mit sich selbst beschäftig­t. Viele aus der Branche kennen die Geschichte­n von Übergriffe­n.
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