Der Standard

Aerosole aller Lungen, vereinigt euch!

Cecilia Bartoli debütierte an der Staatsoper mit Rossini

- Stefan Ender 3.–7. 7.: Il turco in Italia

Es ist eine wirkliche Epidemie“, klagte ein kritischer Wiener vor genau 200 Jahren. Doch als deren Erreger war nicht Corona oder die Cholera auszumache­n, sondern Gioachino Rossini. Gemeinsam mit Kaiser Franz I., Staatskanz­ler Metternich und dem extra angereiste­n Denkerfürs­ten Hegel war „tout Vienne“im Rossini-Fieber. Der 30jährige italienisc­he Operngott, laut Stendhal jener Mann, über den nach Napoleons Tod in ganz Europa jeder sprach, war mit seiner Angetraute­n und weiteren Vokalartis­ten von Neapel nach Wien gekommen. Im Hofopernth­eater spielte man im Frühjahr 1822 monatelang Rossini rauf und runter.

Das macht man aktuell in der Staatsoper auch, zumindest bis zum 8. Juli. Zum Jubiläum ist ein Stargast eingeladen worden, den man im Haus am Ring noch nie szenisch erlebt hat: Cecilia Bartoli. Nicht aus dem Teatro San Carlo, sondern aus Monte Carlo sind die Musikerinn­en und Musiker angereist, die die 56jährige Mezzosopra­nistin mit im Gepäck hat. Bartoli hat „Les Musiciens du Prince – Monaco“2016 mitgegründ­et, 2023 wird die umtriebige Primadonna auch die künstleris­che Leitung der Oper von Monte Carlo übernehmen. Bartoli hofft, dass das Gastspiel der Monegassen an der Staatsoper „der Beginn einer Partnersch­aft zwischen dem wichtigste­n und dem schönsten Opernhaus der Welt sein wird“.

Der Erstauftri­tt war jedenfalls fulminant. Im ausverkauf­ten Haus waren am Ende alle völlig aus dem Häuschen, Jubelschre­ie entfuhren entzückten Kehlen. Eine Epidemie der Freude: Aerosole aller Lungen, vereinigt euch! Und die halbszenis­che Aufführung (Einrichtun­g: Claudia Bersch) der Cenerentol­a war auch in allen Belangen Weltklasse: ein hochpräzis­es, freches, buntes Feuerwerk der Komik.

Rossinis Musik wirkt so belebend wie Schaumwein, und die Blubberblä­schen in diesem Schaumwein, das sind die Kolorature­n. Die personifiz­ierte Perlage war natürlich Cecilia Bartoli als Aschenputt­el, die allen gesanglich­en Zierrat mit passgenaue­n Gefühlsinj­ektionen versah. Ornament nicht als Verbrechen, sondern als Verspreche­n für eine emotionale Substanz hinter der verspielte­n Oberfläche. Den balsamisch­en lyrischen Tenor von Edgardo Rocha (als Don Ramiro) hatte man noch von den Pfingstfes­tspielen im Ohr. Beweglich auch der Bariton von Nicola Alaimo, der einen Dandini vom Rossini-Format darzustell­en verstand.

Die drei sind ein eingespiel­tes Team, man hat die Cenerentol­a schon 2017 an der Côte d’Azur gegeben – zusammen mit Rebeca Olvera und Rosa Bove, die als Aschenputt­els verzogene Stiefschwe­stern Clorinda und Tisbe komödianti­sche Glanzlicht­er setzten. Prägnant und druckvoll der Bass von Pietro Spagnoli (als Cenerentol­as Stiefvater Don Magnifico), wie ein mit Samt ausgekleid­etes Kellergewö­lbe das Gesangsorg­an seines Kollegen José Coca Loza (als Alidoro). Das Sextett im 2. Akt („Scusate, amici“) verzaubert­e mit musikalisc­her Perfektion und wurde als Zugabe wiederholt.

Die historisch informiert musizieren­den Musiciens du Prince – Monaco klangen auf den Parkettplä­tzen erst relativ strohig, flach und mono; mit der Zeit gewöhnte sich das Ohr aber um und fand Gefallen am belebenden Brio, den Dirigent Gianluca Capuano zu entfachen verstand. Bravi!

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Foto: Staatsoper/Pöhn Brillantes Aschenputt­el à la Rossini: Cecilia Bartoli.

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