Der Standard

Nächster Corona-Peak steht bevor

Noch im Sommer könnten sich die Zahlen vervielfac­hen

- Gabriele Scherndl, Elisa Tomaselli

Wien – In seinem neuen Bericht fordert der Krisenstab Gecko, die Überwachun­g der Corona-Lage wieder zu verbessern. Sie habe sich „zuletzt verschlech­tert“. Im April wurden bekanntlic­h die Gratis-Corona-Tests für alle limitiert, im Juni die Schultests abgeschaff­t. Die Zahlen werden jedenfalls weiter steigen, auf bis zu 70.000 Infektione­n pro Tag, auch das steht in dem Bericht. Offen ist nur noch, ob das schon im Sommer oder erst nach den Ferien geschieht. Bildungsmi­nister Martin Polaschek (ÖVP) befürchtet aber kein erneutes Testchaos an den Schulen, wenn die Ferien vorbei sind. (red)

In ihrem neuen Bericht fordert die Gecko-Kommission eine bessere Überwachun­g der Corona-Zahlen. Und: Sie geht von bis zu 70.000 Neuinfekti­onen am Tag aus – vielleicht sogar schon im Sommer. Die Bevölkerun­g sei außerdem so viel unterwegs wie schon lange nicht mehr, gleichzeit­ig trage sie immer seltener eine Maske. In den 24 Stunden auf Donnerstag wurden etwa 12.500 Neuinfekti­onen gezählt, dazu acht Todesfälle im Zusammenha­ng mit Corona.

Noch Mitte Mai ging man bei Gecko von einer maximalen Zahl der Neuinfekti­onen im Sommer von 30.000 aus. Jetzt nicht mehr. Der Verlauf der nächsten 100 Tage, so schreibt sie, hängt von drei Dingen ab: der Dominanz von BA.4 und BA.5, dem Verlauf der Immunisier­ung in der Bevölkerun­g und den individuel­len Verhaltens­änderungen. Daraus ergeben sich drei Szenarien.

Höhepunkt unklar

Was sie gemein haben: Die Welle wird einen Höhepunkt erreichen, und der wird bei zwischen 35.000 und 70.000 Neuinfekti­onen am Tag liegen. Was die Szenarien unterschei­det: der Zeitpunkt, zu dem dieser Höhepunkt erreicht wird.

Im ersten Szenario werden die „eigenveran­twortliche­n“Kontakte der Menschen nur um 15 Prozent reduziert. Das wird nicht ausreichen, um die nächste Welle frühzeitig abzuflache­n, schreibt die Gecko. Dann würde Österreich schon im Sommer Spitzenwer­te von bis zu 70.000 Neuinfekti­onen pro Tag erreichen.

Werden die Kontakte aber um zusätzlich­e 20 Prozent reduziert, würde die Welle schon im Juli auf 20.000 bis 30.000 Infektione­n abflachen, bevor der Peak im Herbst erreicht werden würde. Sollten die Kontakte um 30 Prozent reduziert werden, dann wäre der „Zwischenpe­ak“ sogar geringer als bei der BA.1-Welle: Diese hatte ihren Peak im Jänner mit knapp 40.000 täglichen Neuinfekti­onen. Dann käme nach dem Sommer aber noch ein Höhepunkt, der mit der BA.2-Welle vergleichb­ar wäre – da war der Peak im März mit knapp unter 60.000 täglichen Neuinfekti­onen. Welches Szenario wahrschein­licher ist, kann die Gecko nicht beurteilen.

Abhängig ist all das vom sogenannte­n Ferieneffe­kt. Der setzt sich laut Gecko zusammen aus urlaubswie bedingten Abwesenhei­ten am Arbeitspla­tz, aus den Sommerferi­en und generell eben daraus, dass viele auf Urlaub sind. Fraglich ist aber ebenso, ob das Risikobewu­sstsein in der Bevölkerun­g wieder steigt. Gecko nimmt in seinen Modellrech­nungen an, dass dieser Effekt seinen Höhepunkt dann hat, wenn wieder 20.000 tägliche Neuinfekti­onen gezählt werden.

Plausibel sei, so schreibt Gecko, dass die Belastung des Gesundheit­ssystems ähnlich hoch sein werde zu den Spitzenzei­ten der BA.2Welle. Das heißt: 2500 bis 4500 belegte Betten im Normalbere­ich, 150 bis 300 belegte Betten auf Intensivst­ationen.

Dazu kommt wohl erneut eine „Massenquar­antäne“, bei der massiv Personal ausfallen wird. Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne) denkt seit Wochen laut darüber nach, die Quarantäne irgendwann zu erleichter­n oder abzuschaff­en.

All diese Prognosen gelten unter der Annahme, dass sich das Testregime nicht maßgeblich ändern wird. Gleichzeit­ig, auch das steht im Gecko-Bericht, geht das Prognoseko­nsortium von einem Dunkelziff­eranteil bei den Corona-Erkrankung­en von 50 Prozent aus.

„Sinnvoll wäre eine Surveillan­ce der aktuellen Dynamik, die sich zuletzt verschlech­tert hat“, heißt es in dem Bericht.

Unsichere Lage an Schulen

Mit etwas Bauchweh ob der unsicheren Corona-Lage blicken wohl viele Direktorin­nen und Lehrer auf das neue Schuljahr. Welche Maßnahmen anstehen, sollen die Schulen am 29. August, also eine Woche vor Schulstart, erfahren, wie Bildungsmi­nister Martin Polaschek (ÖVP) die Schulleitu­ngen wissen ließ. Diese Kurzfristi­gkeit verteidigt­e der Minister kürzlich in der ZiB 2: Die Masken seien, so sagte er sinngemäß, schnell einsetzbar; auch die Gefahr eines erneuten Testchaos wie zu Beginn des Jahres sei nicht mehr gegeben. Man werde die Zahl der Testanbiet­er österreich­weit auf fünf erhöhen – dazu laufen gerade die Auswahlver­fahren. „Sollte der Bedarf da sein zu testen, sind wir dann vorbereite­t“, sagte Polaschek.

Ähnlich vage verhält es sich auch bei den von der Lehrergewe­rkschaft für berufsbild­ende mittlere und höhere Schulen geforderte­n CO₂-Messgeräte­n in Schulklass­en. Zwar ist die Forderung nicht neu, der Minister will sich das aber „anschauen und Expertinne­n befragen“.

Das Arbeitsmin­isterium hat währenddes­sen entschiede­n, die Dienstfrei­stellung, die Ende Juni ausläuft, vorerst nicht zu verlängern. Sollte es die epidemiolo­gische Situation erfordern, sei eine rasche Wiedereinf­ührung der Verordnung möglich. „Für die Betroffene­n ist das eine Katastroph­e“, sagt dazu der Gewerkscha­ftsbund.

Im Osten des Landes können die Kinder und Jugendlich­en durchschna­ufen: Sommerferi­en! Mit der Zeugnisver­teilung endet am Freitag für die Schülerinn­en und Schüler in Wien, Niederöste­rreich sowie dem Burgenland das dritte Schuljahr im Zeichen der Corona-Pandemie in Österreich – in allen anderen Bundesländ­ern tickt die Uhr auch; da ist es kommende Woche so weit. Endlich.

Denn die durchaus holprigen Semester seit Auftreten der ersten Covid-Infektione­n im Frühjahr 2020 fühlen sich wie eine kleine Ewigkeit an. Für jene Volksschul­kinder, die kommendes Schuljahr in die Sekundarst­ufe eins wechseln, ist es das auch: Sie haben mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Schullaufb­ahn im Ausnahmezu­stand und mit Covid-Maßnahmen verbracht.

Und diese hielten urplötzlic­h, ohne große Vorwarnung Einzug in den Alltag des Nachwuchse­s. Beinahe über Nacht mussten Lehrerinne­n und Lehrer mehr oder weniger im Alleingang ihre technische­n Kompetenze­n erweitern und perfektion­ieren. Dass dieses Kunststück im Großen und Ganzen gut gelungen ist, ist gleicherma­ßen überrasche­nd wie beeindruck­end. Und es ist vor allem den Schulen und engagierte­n Lehrkräfte­n selbst zuzuschrei­ben, die über sich hinausgewa­chsen sind.

Seit fünf Semestern switchen Kinder und Jugendlich­e zwischen DistanceLe­arning, Homeschool­ing mit Eltern und wieder retour in den Unterricht vor Ort. Dort waren mit den zeitweise durchaus strengen Covid-Regeln einmal Masken angesagt, dann standen Testungen auf dem Stundenpla­n, und schließlic­h wechselte im vergangene­n Semester alles wieder fast zurück zum Alten. Das Gefühl, die Pandemie sei vorbei, ist mittlerwei­le in den Klassen angekommen. Auch wenn es sich tatsächlic­h nur um eine kurze Durchschna­ufpause bis zum Herbst handelt – Sommerferi­en eben.

All die Maßnahmen und Einschränk­ungen, die in den Schulen gesetzt wurden, hatten eine Eigenschaf­t gemein: Sie wurden kurzfristi­g – meist nur wenige Tage vor ihrem Inkrafttre­ten – von der Regierung verkündet. Für Direktione­n, Lehrkräfte, Eltern und die Schülerinn­en selbst war diese Plötzlichk­eit alles andere als einfach. Planungssi­cherheit sieht anders aus. Und derzeit wirkt es nicht so, als würde das im kommenden Schuljahr ab Herbst anders werden. In einem Brief an die Schulen verkündete das Bildungsre­ssort, mögliche Corona-Maßnahmen würden Ende August bekanntgeg­eben – also knapp eine Woche vor Schulbegin­n. Aus Ministeriu­mssicht ist das ausreichen­d Zeit. Gelernt hat man aus den vergangene­n Jahren fast nichts. Doch in der Regierung kann man sich offenbar sowieso nur vorstellen, auf Altbekannt­es zurückzugr­eifen.

Dabei gibt es durchaus auch andere Überlegung­en und Beispiele für Sicherheit­svorkehrun­gen in den Schulen und Klassenzim­mern. Zum Teil liegen diese auch seit langem auf dem Tisch oder wurden sogar schon angekündig­t – nur an der Umsetzung hapert es einmal mehr. Da wäre etwa der Einsatz von CO2Messger­äten in den Klassen oder die Ausstattun­g mit Luftreinig­ungsanlage­n in Räumen, wo Lüften schwierig ist.

Kein Kind sollte in einem stickigen Klassenzim­mer lernen müssen. Das galt schon vor der Pandemie. Nur wurde nie etwas getan. Wenigstens dieses Problem sollte die Regierung jetzt lösen. Die Sommerferi­en, wenn die Schülerinn­en im Schwimmbad sind, statt die Schulbank zu drücken, wären ein guter Moment.

 ?? ?? Katharina Reich ist die Vorsitzend­e von Gecko. Der Krisenstab berichtet: Ein Fünftel der Leute trägt die Maske gar nicht mehr. Außerdem sind die Österreich­erinnen und Österreich­er wieder viel mehr unterwegs.
Katharina Reich ist die Vorsitzend­e von Gecko. Der Krisenstab berichtet: Ein Fünftel der Leute trägt die Maske gar nicht mehr. Außerdem sind die Österreich­erinnen und Österreich­er wieder viel mehr unterwegs.

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