Der Standard

Schwellenl­änder in Finanznot

Wegen stark steigender Zinsen drohen Staatsplei­ten

- Alexander Hahn

Wien – Durch die Corona-Pandemie sind die Schulden vieler Schwellenu­nd Entwicklun­gsländer stark gestiegen. Das wird zum Problem, da die hohe Inflation die Zinsen nach oben treibt. Es fehlen Devisen, nicht nur, um die Schuldenbe­rge abzutragen, sondern auch, um Lebensmitt­el, Medizin oder Energie zu importiere­n. Negativbei­spiel ist Sri Lanka, das schon bekannt gegeben hat, die Auslandssc­hulden nicht mehr bedienen zu können.

Experten befürchten, dass noch weitere Staatsplei­ten folgen. Besser über die Runden kommen derzeit nur die rohstoffex­portierend­en Staaten. (red)

Mit einem verzweifel­ten Appell an die Bevölkerun­g wies der Entwicklun­gsminister Pakistans auf die finanziell­en Engpässe seines Landes hin. Die 220 Millionen Landsleute mögen weniger Tee trinken – schon ein, zwei Tassen weniger pro Tag würden helfen. Denn das Land kann sich die Einfuhr von Teeblätter­n nicht mehr leisten. Pakistan ist derzeit wahrlich kein Einzelfall.

„Die Lage ist Mitte des Jahres 2022 wirklich dramatisch.“WifoÖkonom Thomas Url findet klare Worte dafür, wie es derzeit um die finanziell­e Lage etlicher Schwellenu­nd Entwicklun­gsländer bestellt ist. Die Gemengelag­e aus den Folgen der Corona-Pandemie, hohen Energieund Lebensmitt­elpreisen und weltweit steigenden Zinsniveau­s bringt viele Länder an den Rand des finanziell­en Kollapses. Manche sind schon einen Schritt weiter wie Sri Lanka, das bereits im April erklärte, die Auslandssc­hulden bis auf weiteres nicht bedienen zu können.

Was hat zuletzt vielen Ländern Asiens und noch mehr afrikanisc­hen Staaten derart zugesetzt? Zunächst schossen während der CovidPande­mie die Gesundheit­sausgaben in die Höhe, was über Kredite finanziert wurde. Deshalb gewährte die G20 den weltweit 77 ärmsten Staaten ein Schuldenmo­ratorium, das jedoch Ende 2021 ausgelaufe­n ist. Zudem setzte heuer im ersten Halbjahr der steile Aufwärtstr­end bei der Zinsentwic­klung ein.

Schuldenau­fnahme leichter

Zuvor hatte die Niedrigzin­sphase in den USA und Europa die Schuldenau­fnahme der Schwellenl­änder deutlich erleichter­t. „Das haben viele Staaten zu stark ausgenutzt“, sagt Wifo-Experte Url. Solange die Zinsrate unter der Wachstumsr­ate des Landes liege, habe dies auch funktionie­rt. Mit dem steilen Anstieg der US-Zinsen sind die stark gestiegene­n Schuldenni­veaus Url zufolge nun zum Problem geworden. Da viele Staaten in Dollar in der Kreide steerklärt hen – in Afrika liegt der Anteil etwa bei 60 Prozent –, kommt der Zinsendien­st nun teurer, vor allem in Kombinatio­n mit den gestiegene­n Schuldenst­änden.

In der Region Nordafrika und Mittlerer Osten hat sich das Verhältnis von Schulden zu Exporteinn­ahmen von 51 Prozent im Jahr 2012 auf 198 Prozent im Jahr 2020 fast vervierfac­ht, geht aus Daten der Weltbank hervor. In der Subsahara stieg der Wert im selben Zeitraum von 80 auf 203 Prozent. Warum werden die Schulden dabei statt wie üblich zur Wirtschaft­sleistung zu den Ausfuhren ins Verhältnis gesetzt? Weil die Exporte eines Landes etwa den Devisenein­nahmen entspreche­n, die zur Deckung der Auslandssc­hulden benötigt werden.

Dazu kommt, dass China früher viele Kredite für Infrastruk­turprojekt­e in Afrika vergeben hat. „China hat eigene Probleme mit dem Immobilien­markt, der auf tönernen Füßen steht, und den Corona-Lockdowns, die die Häfen lahmlegen“, Url, warum nun weniger Geld aus Peking fließt. „Das trifft die afrikanisc­hen Länder sehr stark.“

Zusätzlich erschwert werde die Situation dadurch, dass China oftmals Kreditnehm­ern verbiete, die Schulden öffentlich zu machen – es gibt also eine „geheime Verschuldu­ng“, wie Url es bezeichnet. Kein Wunder, dass der IWF und die Weltbank appelliere­n, sich auf Verfahren zu einigen, wie man mit diesen Schuldenbe­rgen umgehen soll.

Weltwirtsc­haft schwächer

Zudem sorgen die steigenden Zinsen in den USA und Europa dafür, dass Kapital aus den Schwellenl­ändern abfließt oder gar nicht erst dort investiert wird. Warum? Wenn sich auch sichere US-Staatsanle­ihen ansprechen­d verzinsen, besteht weniger Anreiz, Geld in wirtschaft­lich unsicherer­e Regionen zu investiere­n. Zumal die Weltwirtsc­haft derzeit ohnedies stark an Dynamik einbüßt, was das Risiko von Schwellenl­ändern weiter erhöht.

Weniger stark ins Trudeln gekommen sind jene Staaten, die wie Brasilien, Bolivien, Ecuador oder Indonesien Rohstoffe oder Agrarerzeu­gnisse exportiere­n. Die Ausfuhr dieser Produkte spült nämlich dank der deutlich höheren Verkaufspr­eise auch entspreche­nd mehr Devisen zur Schuldende­ckung in die Staatskass­en. Für viele andere Schwellen- und Entwicklun­gsländer könnte es demnächst aber sehr eng werden.

Gemäß dem Kreditvers­icherer Altradius sinkt in Asien die Zahlungsmo­ral – immer mehr Rechnungen sind auch nach Ablauf der Zahlungsfr­ist unbezahlt, was die Liquidität der Unternehme­n belaste. Weltbank-Präsident David Malpass warnte zudem, dass immer mehr Schwellen- und Entwicklun­gsländer, deren Schuldenst­ände sich derzeit auf einem Rekordnive­au bewegen, in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten werden. „Es braut sich etwas zusammen“, fasst Wifo-Ökonom Url die Aussichten zusammen.

 ?? ?? First-World-Problems: In Europa herrscht Sorge vor Energieman­gel, anderswo ist er gelebte Realität – etwa für motorisier­te Rikschafah­rer in Sri Lanka, die um etwas Sprit anstehen.
First-World-Problems: In Europa herrscht Sorge vor Energieman­gel, anderswo ist er gelebte Realität – etwa für motorisier­te Rikschafah­rer in Sri Lanka, die um etwas Sprit anstehen.

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