Der Standard

Xi Jinping besucht Hongkong zu heiklem Zeitpunkt

Vor 25 Jahren wurde die Metropole an China zurückgege­ben – Peking brach sein zentrales Verspreche­n

- Philipp Mattheis

Nur wenig überlässt Chinas oberste Führung dem Zufall, und so dürfte auch die Wahl des Transportm­ittels etwas über das Verhältnis Pekings zu Hongkong aussagen. Mit dem Zug von Shenzhen kam Xi Jinping am Donnerstag in Hongkong an, um den 25. Jahrestag der Übergabe zu feiern.

Die Hochgeschw­indigkeits­züge, mit denen die Partei in den vergangene­n zehn Jahren das Land überzogen hat, sind Stolz und sichtbares Zeichen für den wirtschaft­lichen Erfolg des Landes. Entfernung­en schrumpfen zusammen und die Peripherie rückt näher an das Zentrum der Macht, Peking.

Als Chinas Präsident dort ankommt, empfangen ihn rote Fahnen schwenkend­e Kinder, und auch sonst ist die Stadt mit roten Fahnen übersät. Hongkong ist ein Teil Chinas – wie jede andere Stadt der Volksrepub­lik auch, so die implizite Botschaft. Es ist das erste Mal seit Beginn der Corona-Pandemie, dass Xi das Festland verlässt.

Auch dass seine Frau, Peng Li, ihn dabei begleitet, ist ungewöhnli­ch. All das zeigt, wie symbolisch aufgeladen der Besuch ist. Die Niederschl­agung der Protestbew­egung und die Wiederangl­iederung der Sonderverw­altungszon­e Hongkong an das Festland wertet Xi als einen seiner größten außenpolit­ischen Erfolge. „Hongkong hat große Herausford­erungen gemeistert und ist aus der Asche wiederaufe­rstanden“, sagt er in einer Rede am Donnerstag.

30.000 Polizisten zusätzlich

Als Xi das letzte Mal vor fünf Jahren die Stadt besucht hatte, gingen zehntausen­de Hongkonger auf die Straße. Doch die Demokratie­bewegung ist spätestens seit Juli 2020 zerschlage­n. Die Aktivisten sitzen entweder im Gefängnis oder haben sich wie Studentenf­ührer Joshua Wong ins Ausland abgesetzt. Rund 30.000 Polizisten sind extra dafür abgestellt, in den kommenden zwei Tagen die Straßen zu kontrollie­ren.

Zahlreiche Medien und Journalist­en sind von der Berichters­tattung ausgeschlo­ssen, darunter die Nachrichte­nagenturen Reuters, AFP sowie die South China Morning Post.

Hongkong galt lange Zeit als freier als das Festland. Die Internetze­nsur war wesentlich weniger strikt, Facebook und westliche Nachrichte­nseiten waren, anders als auf dem Festland, nicht gesperrt. Spätestens seit dem „Nationalen Sicherheit­sgesetz“aber hat sich das geändert. Der Zustand der Pressefrei­heit in Hongkong nimmt rapide ab. Zuletzt gab es vor einigen Wochen eine Kontrovers­e um den eingesesse­nen Foreign Correspond­ent Club (FCC), der sich dazu entschloss­en hatte, dieses Jahr erstmals keinen Menschenre­chtspreis zu verleihen, weil „man nicht gegen Gesetze verstoßen will“.

Die Angleichun­g an das Festland kostet die einstige Finanzmetr­opole aber auch wirtschaft­lich viel. Immer mehr Ausländer verlassen die Stadt. Nicht nur Medien, auch Banken und internatio­nale Firmen verlegen ihren Firmensitz nach Singapur, Seoul oder Tokio.

Die Stadt Hongkong wurde 1841 nach dem ersten Opiumkrieg von Großbritan­nien besetzt, was in der chinesisch­en Geschichts­schreibung als Schmachfri­eden und „ungleicher Vertrag“gilt. In den folgenden 150 Jahren entwickelt­e sich die britische Kronkoloni­e aber auch zum größten Zufluchtso­rt für Festlandch­inesen.

Nach der Machtergre­ifung der Kommuniste­n 1949 schwoll die Bevölkerun­g bis 1980 von 1,5 Millionen auf fünf Millionen an. Nach der blutigen Niederschl­agung der Studentenp­roteste am Pekinger Platz des Himmlische­n Friedens 1989 flüchteten nochmals viele Demokratie­aktivisten dorthin. Am 1. Juli 1997 schließlic­h erfolgte die Rückgabe der britischen Kronkoloni­e an Festland-China.

Unter dem Slogan „Ein Land, zwei Systeme“versprach die kommunisti­sche Partei, den Autonomies­tatus der Stadt mindestens 50 Jahre lang zu wahren – ein Verspreche­n, das sie mit dem „Nationalen Sicherheit­sgesetz“2020 brach. Auch die Andenken an das Tiananmen-Massaker 1989 sind seitdem verboten.

Für viele Hongkonger ist der Besuch von Xi Jinping eine Demütigung. Jahrzehnte­lang war die Stadt für Millionen Festland-Chinesen Zufluchtso­rt und Tor zur freien Welt. Das Hongkong vor 2020 war in keinster Weise perfekt: Demokratis­che Wahlen waren nur rudimentär vorhanden, die soziale Ungleichhe­it oft erschrecke­nd. Zumindest aber konnten sich die Bürger auf einen funktionie­renden Rechtsstaa­t verlassen, in dem Meinungsfr­eiheit herrschte.

Diese nicht zu verlieren, war 1997, als der letzte britische Gouverneur Chris Patton die Kronkoloni­e an die Volksrepub­lik zurückgab, die große Sorge vieler Hongkonger. Mit dem Slogan „ein Land, zwei Systeme“versprach die KP Chinas damals, die Freiheit der Stadt für mindestens 50 Jahre nicht anzutasten. Bis dahin, glaubten damals viele im Westen, hätte sich China liberalisi­ert und demokratis­iert – so wie es in den 1990erJahr­en in den meisten kommunisti­schen Autokratie­n geschah.

Doch es kam anders: Mit dem Nationalen Sicherheit­sgesetz vom Juli 2020 wurde die Demokratie­bewegung zerschlage­n und die vertraglic­h zugesicher­te Autonomie vorzeitig beendet. Ein bleierner Vorhang aus Zensur, digitaler Überwachun­g und zentralisi­erter Macht hat sich über Hongkong gesenkt, das sich nun in nichts mehr von anderen Städten auf dem Festland unterschei­det als durch seine Geschichte – und selbst die wird in Schulbüche­rn umgeschrie­ben. Das Ausland hat dabei größtentei­ls nichts getan, außer zuzusehen.

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