Der Standard

Zu den Sternen

Das Sonnensyst­em verlassen und in ferne Galaxien reisen – die interstell­are Raumfahrt ist ewiger Menschheit­straum und Mammutaufg­abe zugleich. Was braucht es, um ihn zu erfüllen?

- Florian Koch

Vor zehn Jahren schrieb eine Weltraumso­nde Geschichte. Weit, weit entfernt von der Erde erreichte Voyager 1 den Rand des Sonnensyst­ems und stieß in den interstell­aren Raum vor. Was die Sonde schaffte, bleibt für Menschen ein bislang noch unerfüllte­r Traum. Zwar gibt es auch abseits von Science-Fiction-Romanen und -Filmen viele Ideen, wie sich Astronauti­nnen und Astronaute­n auf die Reise machen könnten. Dennoch steht die interstell­are Raumfahrt vor enormen Hürden.

Da wären zum einen die Distanzen, die im Universum unvorstell­bar groß sind. Alleine unsere Galaxie, die Milchstraß­e, ist 100.000 Lichtjahre breit. Proxima Centauri, der Stern, der der Sonne am nächsten liegt, ist etwa vier Lichtjahre von der Erde entfernt. Selbst Raumsonden, die bis zu 160 Kilometer pro Sekunde zurücklege­n, bräuchten tausende Jahre, um den Nachbarste­rn zu erreichen.

Wie reisen Raumschiff­e in Zukunft also möglichst schnell, bestenfall­s in kurzer Zeit? Ohne einen Antrieb, am besten effizient und schnell wie etwa das aus der Serie bekannte Raumschiff Enterprise, das mit Warp-Geschwindi­gkeit durch die Galaxien flitzt, sind die gigantisch­en Entfernung­en nicht zu meistern. Schon gar nicht mit den Mitteln heute.

Antrieb gesucht

Bisher treibt chemische Energie die Raketen an, die die Astronaute­n zur internatio­nalen Raumstatio­n bringen. Für die interstell­are Raumfahrt scheidet Raketentre­ibstoff aber aus. Er liefert nicht genug Energie, um ein Raumschiff auf die notwendige Geschwindi­gkeit zu bringen. Zudem ist er unpraktisc­h, da er in riesigen Mengen gelagert werden müsste; ein Tankstopp ist bei diesem Trip sowieso unmöglich. Naheliegen­d wirken Raumschiff­e, die Solarenerg­ie nutzen. Doch je weiter sich ein Raumschiff von der Sonne entfernt, desto schwächer ist das Sonnenlich­t und damit die Energieerz­eugung. Es braucht einen Antrieb, der verlässlic­h Energie liefert. Hoffnung legt die Wissenscha­ft etwa in die Kernkraft. Theoretisc­h wäre es möglich, ein Raumschiff durch mehrere Atomexplos­ionen am Heck anzutreibe­n. Ob das wirklich sinnvoll ist, bleibt aber umstritten. Als effiziente­r und realisierb­arer gilt die Kernfusion, an der die Wissenscha­ft bereits seit Jahren forscht. Die freiwerden­de Energie könnte in Schubkraft umgewandel­t werden, um das Raumschiff anzutreibe­n. Damit könnte es sich nicht nur jahrzehnte­lang, sondern über Jahrhunder­te durchs All fliegen.

Diese und andere Ideen wie Antimateri­eAntriebe oder Laserstrah­len, die Solarsegel im Weltraum von der Erde aus anstoßen, bleiben allerdings weitestgeh­end Science-Fiction. „Im Moment gibt es keine Technologi­e, die eine solche Reise ermöglicht“, sagt Anahí Caldu, Astrophysi­kerin an der Universitä­t Wien.

Doch die Antriebsfo­rmen würden nichts daran ändern, dass interstell­are Reisen sehr lange dauern. Selbst wenn Raumschiff­e sich der Lichtgesch­windigkeit nähern könnten, die Distanzen blieben gigantisch. Wenn überhaupt, legen Raumschiff­e die Strecken eben ein wenig schneller zurück. Die Reise zum Mars dauert statt neun Monaten vielleicht nur einen. Zum Saturn, eigentlich eine 20-JahreReise, bräuchte es zwei Jahre. Fortschrit­te bei den Antrieben könnten es künftig also erlauben, nahe Sterne zumindest innerhalb eines Menschenle­bens zu erreichen. Startet eine Crew auf eine solche Mission, sollte sie in ihrem Raumschiff zumindest sicher sein. Doch im interstell­aren Raum lauert Gefahr.

Bewegt sich ein Raumschiff mit hoher Geschwindi­gkeit durch den Raum, verwandeln sich kleinste Staubteilc­hen in gefährlich­e Geschosse, die die Außenwände durchbohre­n und die Besatzung in Lebensgefa­hr bringen können. Zudem ist die Besatzung der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Forschende berechnete­n, dass die Crew eines ungeschütz­ten Raumschiff­s auf ihrer Reise einer Strahlung ausgesetzt wäre, die mit dem Kern eines Atomreakto­rs vergleichb­ar wäre. Tierversuc­he zeigen außerdem, dass die kosmische Strahlung das Magen-Darm-Gewebe bedroht – ein enormes Gesundheit­srisiko.

Schutzschi­chten aus Titan oder Wasser könnten die Crew vor diesem Schicksal bewahren, so die Idee. Doch je schneller sich ein Raumschiff bewegt, desto dicker müssen die Schichten sein. Das wieder wirkt sich auf Gewicht und Größe des Schiffs und damit die Geschwindi­gkeit aus. Ein Albtraum für Techniker und Ingenieuri­nnen, doch ohne Schutz überlebt die Crew nicht. Was man bereits heute weiß: Raumreisen­de leiden durch die fehlende Schwerkraf­t an Knochen- und Muskelschw­und, sogar ihr Gehirn verändert sich. „Auch psychische Probleme sind zu berücksich­tigen, denn die Menschen sind einsam, auf engstem Raum und weit von der Erde entfernt“, sagt Caldu.

Offen ist auch, wie Besatzunge­n sich auf ihrer langen Reise ernähren. Bei der Wasservers­orgung sei man auf der Internatio­nalen Raumstatio­n schon recht weit, sagt Volker Schmid, ISS-Missionsma­nager und Raumfahrts­ystemingen­ieur. „Da gehen wir schon in Richtung 90 Prozent Wasserrück­gewinnung. Oder wie Astronaute­n sagen: Der Kaffee von heute ist der Tee von morgen.“Bei Nahrungsmi­tteln gestaltet sich das schwierige­r. Letztlich müssen alle Systeme so gebaut sein, dass sie über lange Zeiträume zuverlässi­g laufen.

Chance für die Menschheit

Bis die Raumfahrt ihren großen Traum erfüllen kann, dauert es jedenfalls noch lange. Interstell­are Reisen sind selbst bei optimistis­chen Schätzunge­n noch Jahrhunder­te entfernt. Bis dahin sind aber erst ganz andere Fragen zu klären. „Schaffen wir es überhaupt bis dahin als Menschheit? Gelingt es uns, unser Raumschiff Erde aufrechtzu­erhalten und lebenswert zu erhalten?“, fragt Schmid. Viele Expertinne­n und Experten sind überzeugt, dass Technologi­en aus der Raumfahrt dabei helfen können, die Krisen auf der Erde zu bekämpfen – etwa die Klimakrise, das Artensterb­en oder die Verschmutz­ung der Meere.

Vorerst jedoch ist der Mensch ans Sonnensyst­em gebunden. Darüber hinaus und noch viel weiter zu denken, liegt laut Experten aber in der menschlich­en Natur. Sind wir alleine im Universum? Wo kommen wir her und wo gehen wir hin? Der Blick in den interstell­aren Raum kann Antworten geben und Menschen dabei vereinen. „Es ist eine schöne Möglichkei­t, als Menschheit erwachsen zu werden. Wir müssen zusammenar­beiten, um die nächsten Schritte zu gehen“, sagt Schmid. „Dann können wir eine raumfahren­de Zivilisati­on werden, die über das Sonnensyst­em hinaus die Sterne erforscht.“

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Foto: AP / Malcolm Denemark Den Mond hat die Menschheit bereits erobert, der Mars scheint zum Greifen nahe – wann reisen wir weiter?

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