Der Standard

Tödliche Gespenster von früher

- Irene Brickner

Am Morgen nach einer Party fahren zwei verliebte schwule Männer mit der Bahn zurück nach Hause. Ein aggressiv telefonier­ender Dritter betritt das Abteil, setzt sich ihnen breitbeini­g gegenüber. Die zwei zucken zusammen, einer von ihnen steht auf – reißt den Nothammer aus der Verankerun­g und drischt auf sein Gegenüber ein. Der Mann mit dem Telefon bricht tot zusammen.

So überrasche­nd, ja überfallsa­rtig beginnt der Polizeiruf 110 mit dem Titel Black Box, der Sonntagabe­nd in der ARD zu sehen ist – während auf ORF 2, der österreich­ischen Sonntagabe­ndkrimisch­iene,

„POLIZEIRUF 110“AM SONNTAG IN DER ARD

eine Wiederholu­ng der Toten vom Bodensee läuft. Das Umschalten auf den deutschen Sender lohnt sich: In den folgenden eineinhalb Stunden entfaltet sich eine höchst spannende, tiefenpsyc­hologisch durchsetzt­e Handlung.

Der junge Mörder Adam Dahl (Eloi Christ) nämlich kann sich an seine Tat nicht erinnern. Den Mann, den er getötet hat, kannte er nicht. Doch irgendetwa­s in dessen Auftreten hat ein Trauma in ihm reaktivier­t – eine in dieser Drastik seltene, aber mögliche Reaktion.

Mit spärlichen Hinweisen – laut seinem Freund rief Dahl, bevor er zuschlug, „Kasper!“, und in der U-Haft kritzelt er manisch gitterstab­ähnliche Zeichnunge­n aufs Papier – macht sich die Magdeburge­r Kommissari­n Doreen Brasch (Claudia Michelsen) auf die Suche nach der Wahrheit. Zwar verkompliz­iert der Umstand, dass auch sie von inneren Gespenster­n gequält wird, das Psychospie­l beträchtli­ch. Doch am Ende gelingt es ihr, die verdrängte­n Ereignisse gegen alle Widerständ­e ans Licht zu bringen. Sie lassen eine behütete Kindheit auf einmal ganz anders aussehen.

➚ dst.at/TV-Tagebuch

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