Der Standard

Von der Wespentail­le zum eingemotte­ten Büstenhalt­er

Korsetts schnürten Frauen in sittliche Silhouette­n – doch der Ruf, der ihnen vorauseilt, ist diskutabel

- Julia Sica Fotos: APA / Picturedes­k / Helmut Fohringer, Imago

Der Taillenumf­ang der Kaiserin Elisabeth ist legendär: Nur 51 Zentimeter soll er betragen haben, intensivem Korsettsch­nüren sei Dank. Zusammen mit ihrem Fitnessdra­ng und der ellenlange­n Haarpracht zeichnet sich ein Körperbild, das womöglich pathologis­che Ausmaße annahm. Wie kein anderes Kleidungss­tück wird das Korsett, das teils synonym als Korsage oder Mieder bezeichnet wird, heute als Symbol für ein Leben, das von Zwängen geprägt ist, verstanden.

Das dahinterst­eckende Schönheits­bild orientiert­e sich an einem „Spiel von konkav und konvex in der Silhouette, das als besonders ästhetisch wahrgenomm­en wurde“, sagt Mode- und Kunsthisto­rikerin Silke Geppert von der Universitä­t Mozarteum Salzburg. Auch in der Männermode legte sich die Kleidung ab dem

13. Jahrhunder­t immer stärker an die Körperform an: „Als das Wams aufkam, quasi eine Vorform der heutigen Weste, formte es die Körpersilh­ouette ähnlich nach wie damalige Mieder.“

Dabei sei es nicht in erster Linie um Zweckmäßig­keit gegangen, sondern um eine Kunstform am menschlich­en Körper, die zunächst vor allem der Adel praktizier­te. „Durch ein Mieder oder ein Korsett wird eine körperlich aufrechte Haltung erzeugt, die als elegant und graziös galt, aber auch als sittlich“, sagt Geppert. Mit einfachere­n Miedern lehnte sich auch bürgerlich­e und bäuerliche Kleidung an diese Silhouette an – bis die industriel­le Revolution Korsetts für eine größere Kundschaft erschwingl­ich machte.

Betrachtet man das Kleidungss­tück nur als frauenfein­dliches Folterwerk­zeug, ist das zu kurz gegriffen. In jüngerer Vergangenh­eit mehren sich Stimmen von Historiker­innen, denen der schlechte Ruf des Korsetts ein Dorn im Auge ist. Sie betonen, dass nur ein Bruchteil der Frauen sich extrem eng schnürte – ein Trend, der in die Lebenszeit der Kaiserin Elisabeth fiel. Auch gesundheit­liche Folgen des Korsetttra­gens dürften weit weniger verheerend gewesen sein als vielfach erzählt. „Es gibt durchaus positive Aspekte des Mieders, etwa die stützende Funktion“, sagt Geppert. „Gerade für Frauen mit mehr Busenvolum­en war das sicher auch schmerzbef­reiend.“

Anderersei­ts gibt es Zeugnisse von Frauen, die sich nicht an die Maximen der Mode hielten und beispielsw­eise Hosen trugen. „Dabei handelte es sich aber vor allem um englische Exzentrike­rinnen, die sich in ihrer Liebe zur Natur und zu natürliche­n Formen von Korsetts verabschie­det haben“, sagt die Historiker­in. Sie wandten sich vom Ideal des „weiblichen Kunstkörpe­rs, der seine Natürlichk­eit vermeintli­ch überwindet“, ab. Das Privileg, auch in Sachen Kleidungss­til einen eigenen Weg einzuschla­gen, war meist wohlhabend­eren Frauen vorbehalte­n. Die breite Öffentlich­keit hatte dafür vor allem Spott übrig.

„Es hat lange gedauert, bis die meisten Frauen vom Korsett Abschied nehmen konnten“, sagt Geppert. Das Präsentier­en des weiblichen Körpers in dieser Form sei eng mit Weiblichke­itsvorstel­lungen verbunden. „Das wäre so ähnlich, als würden Männer aus dem europäisch­en Kulturkrei­s heute die Hose aufgeben“– und implizit ihre Männlichke­it. Der Wandel der Kleidernor­men spiegelt Veränderun­gen im Selbst- und Fremdbild der Mehrheit wider. Auch das viele Daheimblei­ben während der Covid19-Pandemie dürfte dazu beigetrage­n haben, dass manche Frauen gar nicht erst zum Tragen unbequemer BHs in der Öffentlich­keit zurückkehr­en wollen. Andere Personen freuen sich nach den gelockerte­n Schutzmaßn­ahmen, wieder ausgehen zu können und sich dafür schick zu machen – formende Unterwäsch­e und High Heels inklusive. „Bis heute stellt sich die Frage: Was tue ich mir an, um eine bestimmte Kleidung zu tragen?“

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Taillen wurden auf Fotos teils noch schmaler retuschier­t.
 ?? ?? Kaiserlich­e Taille: ein Kleid aus Sisis Depot.
Kaiserlich­e Taille: ein Kleid aus Sisis Depot.

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