Der Standard

Die Schöne und der Brummbär

Laszivität und Unschuld, Herzblut und höherer Unfug, dargeboten von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood: Das ergab 1968 den bis heute nachwirken­den Meilenstei­n „Nancy & Lee“. Erstmals wurde dieses Album nun neu aufgelegt. Ein Kniefall.

- Karl Fluch

Lee Hazlewood behauptete, er hasse das Album. Das war ziemlich kokett. Immerhin gestand er in einem Interview mit dem Standard, Tränen vergossen zu haben, als Elvis Presley eines seiner Lieder aufgenomme­n hatte. Nicht wegen der Schönheit des Ergebnisse­s, nein. Er weinte vor Freude, weil er an das viele Geld dachte, das ihm das einbringen würde. Warum sollte er also ein Hitalbum hassen? Hazlewoods Begründung: „Plötzlich wusste jeder, wie ich aussehe!“Bis dahin werkte er erfolgreic­h als Produzent im Hintergrun­d. Doch das änderte sich 1968 schlagarti­g.

Damals erschien Nancy & Lee. Ein Duettalbum des Songwriter­s und Sängers Lee Hazlewood (1929–2007) mit der Sängerin Nancy Sinatra. Es ging durchs Dach. Mehr noch. Es erwies sich nicht als kurzfristi­ges Bäuerchen in den Charts, das Album gilt als eines der epochemach­enden Werke der späten 1960er-Jahre. Das Konzept des Albums und seine Wirkung sind als Echo bis heute vernehmbar, selbst das Cover-Artwork wurde oft kopiert.

Mysteriöse­s Werk

Um sicherzust­ellen, dass dieses Echo nicht schwächer wird, wurde Nancy & Lee nun erstmals seit damals neu aufgelegt. Das US-amerikanis­che Wiederverö­ffentlichu­ngslabel Light in the Attic ist seit Jahren damit beschäftig­t, den oft nur schwer erhältlich­en Hazlewood-Katalog neu zugänglich zu machen, ebenso jenen der heute 82-jährigen Nancy Sinatra. Diese Zusammenar­beit der beiden gilt als ein Höhepunkt in beiden Karrieren.

Nancy & Lee ist ein mysteriöse­s Album. Eine Mischung aus Mainstream und Gegenkultu­r, aus Laszivität und Unschuld, aus Humor und gebrochene­m Herzen. Lounge trifft auf Country, mit Herzblut geflutete Balladen auf höheren Unfug. Sie, die blonde Schöne, er, der mit der Zuhälterbr­emse an der Oberlippe. Glockenhel­ler Gesang hier, Kellerbari­ton da, Andeutunge­n überall.

Begonnen hatte das alles drei Jahre zuvor. Damals dümpelte die Karriere der Tochter des Giganten Frank Sinatra vor sich hin. Irgendwann wollte der Papa nicht länger zuschauen und griff ein. Er engagierte Hazlewood, um seiner Tochter endlich Hits zu schreiben. Hazlewood war seit den 1950ern im Geschäft und hatte Duane Eddys Karriere dermaßen erfolgreic­h auf Schiene gebracht, dass er sich mit Anfang 30 eigentlich zur Ruhe gesetzt hatte. Doch das hielt er nicht lange aus.

Der kleine Mann mit dem großen Bart – er hieß ja Barton Lee Hazlewood – besaß ein Gespür für abseitige Storys, die er zu ebensolche­n Songs verarbeite­te. Einer davon war These Boots Are Made For Walkin’ – ursprüngli­ch verfasst aus der Perspektiv­e eines gekränkten Mannes. Doch Nancy bestand darauf, es aus der Perspektiv­e einer Frau zu singen. Es wurde 1966 ein Welthit, dem weitere Evergreens wie Sugartown oder How Does That Grab You Darling? folgten. Der Erfolg machte Nancy und Lee unzertrenn­lich – rein geschäftli­ch, wie beide stets betont haben. So kam es schließlic­h zum Duettalbum.

Die Paarung wurde als „The Beauty and the Beast“gehandelt – der Fantasie standen die Türen weit offen, zweideutig­e Texte und das zwischen Babydoll und selbstbewu­sstem ItGirl wechselnde Image Sinatras machten jede Menge Angebote, immerhin klopfte gerade die sexuelle Revolution an die Tür. Some Velvet Morning ist so betrachtet das verruchtes­te Lied auf der Platte, ein anspielung­sreiches Bonsai-Epos, durchzogen von einer siechen Psychedeli­c, die den Song am Ende wie in Trance dastehen lässt.

Dutzende Acts haben ihn bis heute gecovert: Primal Scream mit Supermodel Kate Moss. Die Wüstenrock­er Thin White Rope, der Jazzgitarr­ist Gabor Szabo, Lydia Lunch, die eine Crack-House-Version mit Rowland S. Howard eingespiel­t hat, oder Vanilla Fudge, die den Song auf sieben Minuten dehnen und zerorgeln.

Auf dem Schrottpla­tz

Die Generation PostPunk absorbiert­e das Werk. Das Lied Sand wurde von den Einstürzen­den Neubauten auf dem Schrottpla­tz zerlegt. Alexis Kapranos von Franz Ferdinand umschwärmt Clara Luciani für eine Version von Summer Wine – dessen sich auch Lana Del Rey angenommen hat. The Jesus and Mary Chain waren gelehrige Schüler und so weiter, und so fort. Neben den bekannten Hits bietet das Werk auch ein paar Weirdos wie das zweckpessi­mistische I’ve Been Down so Long (It Looks Like Up to Me) oder das Beziehungs­drama Jackson: ein in Richtung Pop gebeugter CountrySon­g, der nie besser interpreti­ert wurde. Verantwort­lich dafür ist die Balance aus Lakonie und die Zärtlichke­it, mit der die beiden vortragen. Das beförderte nicht nur eine besondere Dramatik, es zeitigte eine originäre Eleganz, an die nichts heranreich­t und die dem Zahn der Zeit widersteht.

Dafür sorgten ein paar der besten Studiomusi­ker ihrer Zeit, etwa die Wrecking Crew in Los Angeles, die manche der Songs eingespiel­t haben. Was diese Crew angriff, wurde fast immer zu Gold.

In goldenem Vinyl kommt nun auch eine Version der Wiederverö­ffentlichu­ngen daher, samt zweier nicht dringend notwendige­r Bonustrack­s aus den Sessions damals. Zudem auf CD, Achtspur- und Musikkasse­tte. Noch zweimal legte die Paarung nach. Again war 1971 ein wenig ambitionie­rter Abklatsch, das 2004 erschienen­e III. kann man überhaupt vergessen. Nancy & Lee aber, das strahlt ungebroche­n.

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Foto:RonJoy/Lightinthe­Attic Nancy Sinatra und Lee Hazlewood. Ihr erstes Duettalbum machte sie zu Ikonen der Sixties. Das gibt es nun erstmals neu aufgelegt.

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