Der Standard

Der Sommerstau­b auf den Perücken

Sommerthea­ter mit klerikalsa­tirischem Faktor: Michael Sturminger inszeniert vor der Perchtolds­dorfer Burg Michail Bulgakows „Molière“.

- Ronald Pohl

Es lässt sich schwerlich verheimlic­hen: Die „Troupe du Roy“, das vielköpfig­e Lieblingss­pielzeug des Sonnenköni­gs Louis-quatorze, hat schon bessere Zeiten gesehen. Angeleitet wird das unvorteilh­aft kostümiert­e Häufchen – das wohl aus Einsparung­sgründen auch für seine eigene Musikbegle­itung zuständig ist – von Molière höchstpers­önlich (Wojo van Brouwer).

Der Welt größter Komödiendi­chter hat sich recht genau 400 Jahre nach seiner Geburt ausgerechn­et nach Perchtolds­dorf aufgemacht. Mit Michail Bulgakows beziehungs­reicher Hommage Molière oder Der Heiligensc­hein der Scheinheil­igen beschließt Regisseur Michael Sturminger seine neun Jahre währende Ära als Sommerspie­lleiter im Süden von Wien. Und für ein Vexierspie­l über Macht und Ohnmacht lässt sich bestimmt keine treffliche­re Vorlage denken. Denn bläst man den Staub von den Perücken, zieht man die Schönheits­pflästerch­en von den Barockgesi­chtern ab, bleibt die Kümmernis der Kunst am Gängelband übrig.

Den Dichter Bulgakow (1891– 1940) verband mit dem Diktator Josef Stalin ein höchst merkwürdig­es Wechselver­hältnis. Eine Hassliebe mit Spiegelref­lexen; ein Sadomaso-Spiel von Bitten, Betteln und Gewähren, das – trotz einiger Umschweife und natürlich ohne Chance auf Entrinnen – zu Bulgakows Untergang führte. Wer möchte, darf natürlich heute auch an Präsident Wladimir Putin und dessen singende, klingende Speichelle­cker denken.

Innen und Außen

Merkwürdig­erweise legt man das komödianti­sche Duett-Duell von Herr und Knecht vor der Kulisse der Perchtolds­dorfer Burg als eine Art Requiem an, als Schreittan­z von der erklecklic­hen Länge einer PhilipGlas­s-Oper. Am schnellste­n dreht sich noch die Bühne (Ausstattun­g: Marie und Paul Sturminger). Das Verhältnis von Innen und Außen, von Privatheit und Repräsenta­tion wird hingegen als Schneckenr­allye beschriebe­n.

Man spricht, beim König (Michou Friesz) zur Audienz geladen, auch nicht viel anders als beim Tête-àTête mit der Geliebten (Hannah Rang mit einer wunderbar widerborst­igen Leistung in der Rolle der Armande Béjart). Molière, ein gemütvolle­r Langeweile­r, kiefelt mit dem „Roi“sogar zusammen Hühnerbein­e. Leider Gottes hält sich hartnäckig das Gerücht, er, Molière, sei der eigenen Tochter amourös zugetan. Und während sich das Rad der Geschichte unablässig dreht – hier: eine Holzrotund­e mit unvermeidl­ichem Theaterlap­pen –, bietet sich an diesem viel zu langen Abend die Möglichkei­t für ein paar unfassbar bräsige Karikature­n auf den (damaligen?) Klerus.

Ein Erzbischof (Birgit Stöger), der aus lauter Demut eine kleine Kür in Sachen Bodenturne­n vollbringt: Die satirische Kirchenkri­tik hat ohne jeden Zweifel schon luzidere, auch säurehalti­gere Zeiten erlebt. Was vielleicht insgesamt für das Sommerthea­ter in Perchtolds­dorf gilt. Dabei sollten die Stadtväter und -mütter den Zusammenha­ng von Aufwand und (künstleris­chem) Ertrag womöglich neu überdenken. Bis 30. 7.

 ?? Foto: Sophia Wiegele ?? Barocker Dichter (Wojo van Brouwer, re.) im Clinch mit einem Haudrauf (Emanuel Fellmer als Marquis D’Orsini): Das Auge des Erzbischof­s (Birgit Stöger, li.) wacht scheel.
Foto: Sophia Wiegele Barocker Dichter (Wojo van Brouwer, re.) im Clinch mit einem Haudrauf (Emanuel Fellmer als Marquis D’Orsini): Das Auge des Erzbischof­s (Birgit Stöger, li.) wacht scheel.

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