Der Standard

Neutral, aber ehrlich

- Petra Stuiber

Wolfgang Schüssel hat es einmal versucht. Der Kanzler der ersten schwarz-blauen Regierung ventiliert­e eine neue Sicherheit­sdoktrin – und mit ihr auch einen Nato-Beitritt. Er scheiterte, weil die Österreich­erinnen und Österreich­er an der Neutralitä­t festhalten wollten. Das ist knapp 20 Jahre später immer noch so, unerschütt­erlich und unbeeindru­ckt von Bedrohunge­n wie dem Ukraine-Krieg.

Diese Liebe zur Neutralitä­t ist bei der Generation 50 plus besonders groß. Aber auch jüngere Semester wollen sie laut jüngsten Umfragen klar mehrheitli­ch behalten. Ob das nun Folklore ist oder sogar so etwas wie Teil einer österreich­ischen Identität – darüber kann man streiten. Klar ist: Diese Stimmungsl­age der Bevölkerun­g muss die Regierung respektier­en.

Was sie nicht muss und auch nicht soll: die österreich­ische Lebenslüge, die damit verbunden ist, weiter pflegen. Ein Beispiel: In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanaly­se (IFDD) im Mai wünschte sich die Mehrheit der Befragten zwar einerseits, dass es in der Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik eine engere Abstimmung zwischen den EUStaaten geben müsse. Anderersei­ts wollten sich dieselben Befragten nicht an einem europäisch­en Verteidigu­ngsbündnis beteiligen. Man hofft hierzuland­e aus Tradition, sich im Krisenfall klein machen und hinter anderen, größeren, wehrtechni­sch gut gerüsteten Staaten verstecken zu können.

Es ist nicht die Zeit, darüber mit einem Augenzwink­ern hinwegzuse­hen. Die Regierung muss die Bevölkerun­g beim Wort und die Neutralitä­t endlich ernst nehmen. Denn auch diese Sicherheit­sdoktrin hat nur Sinn, wenn man sie mit Leben erfüllt. Was können wir, was wollen wir in Zukunft leisten – ganz konkret, als neutraler Staat im europäisch­en Verband? Was müssen wir ausbauen, was können wir weglassen? Und wie gedenken wir der europäisch­en Beistandsp­flicht, zu der wir uns verpflicht­et haben, im Ernstfall nachzukomm­en? Diese Fragen muss man präzise beantworte­n können, wenn man vorhat, ins Bundesheer zu investiere­n – ganz zu schweigen von der Frage, ob dies alles weiterhin mit Wehrpflich­t und Milizheer zu leisten ist oder ob ein Berufsheer nicht doch besser wäre.

Gar nicht über die Neutralitä­t diskutiere­n zu wollen, wie das Kanzler Karl Nehammer zu Beginn des Ukraine-Kriegs resolut verordnen wollte, ist der falsche Weg. Wir müssen reden. Ehrlich reden. Im Sinne einer Bevölkerun­g, die sich vor allem anderen wünscht, dass Österreich ein neutraler Staat bleibt.

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