Neutral, aber ehrlich
Wolfgang Schüssel hat es einmal versucht. Der Kanzler der ersten schwarz-blauen Regierung ventilierte eine neue Sicherheitsdoktrin – und mit ihr auch einen Nato-Beitritt. Er scheiterte, weil die Österreicherinnen und Österreicher an der Neutralität festhalten wollten. Das ist knapp 20 Jahre später immer noch so, unerschütterlich und unbeeindruckt von Bedrohungen wie dem Ukraine-Krieg.
Diese Liebe zur Neutralität ist bei der Generation 50 plus besonders groß. Aber auch jüngere Semester wollen sie laut jüngsten Umfragen klar mehrheitlich behalten. Ob das nun Folklore ist oder sogar so etwas wie Teil einer österreichischen Identität – darüber kann man streiten. Klar ist: Diese Stimmungslage der Bevölkerung muss die Regierung respektieren.
Was sie nicht muss und auch nicht soll: die österreichische Lebenslüge, die damit verbunden ist, weiter pflegen. Ein Beispiel: In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) im Mai wünschte sich die Mehrheit der Befragten zwar einerseits, dass es in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine engere Abstimmung zwischen den EUStaaten geben müsse. Andererseits wollten sich dieselben Befragten nicht an einem europäischen Verteidigungsbündnis beteiligen. Man hofft hierzulande aus Tradition, sich im Krisenfall klein machen und hinter anderen, größeren, wehrtechnisch gut gerüsteten Staaten verstecken zu können.
Es ist nicht die Zeit, darüber mit einem Augenzwinkern hinwegzusehen. Die Regierung muss die Bevölkerung beim Wort und die Neutralität endlich ernst nehmen. Denn auch diese Sicherheitsdoktrin hat nur Sinn, wenn man sie mit Leben erfüllt. Was können wir, was wollen wir in Zukunft leisten – ganz konkret, als neutraler Staat im europäischen Verband? Was müssen wir ausbauen, was können wir weglassen? Und wie gedenken wir der europäischen Beistandspflicht, zu der wir uns verpflichtet haben, im Ernstfall nachzukommen? Diese Fragen muss man präzise beantworten können, wenn man vorhat, ins Bundesheer zu investieren – ganz zu schweigen von der Frage, ob dies alles weiterhin mit Wehrpflicht und Milizheer zu leisten ist oder ob ein Berufsheer nicht doch besser wäre.
Gar nicht über die Neutralität diskutieren zu wollen, wie das Kanzler Karl Nehammer zu Beginn des Ukraine-Kriegs resolut verordnen wollte, ist der falsche Weg. Wir müssen reden. Ehrlich reden. Im Sinne einer Bevölkerung, die sich vor allem anderen wünscht, dass Österreich ein neutraler Staat bleibt.