Der Standard

Hoteliers machen alles selbst

Personalno­t zwingt zu neuen Geschäftsm­odellen

- Günther Strobl

Wien – Im Tourismus sind aktuell mehr Menschen beschäftig­t als vor Corona; die Zahl der gearbeitet­en Stunden geht aber zurück, weil immer mehr Frauen und zunehmend auch Männer Vollzeit und Überstunde­n ablehnen. Deshalb fehlt in der Branche weiter Personal. Manche Hoteliers wie Heidi Schaller vom Green Business Hotel bei Graz gehen deshalb neue Wege. Sie hat in Digitalisi­erung und Seminar-Equipment investiert, macht so gut wie alles selbst – und die Gäste, im konkreten Fall Geschäftsr­eisende, spielen mit.

Die Wirtschaft boomt. Das lässt sich am leergefegt­en Arbeitsmar­kt ablesen. Speziell der Tourismus leidet unter der sich weiter öffnenden Schere zwischen vielen selbst in der Hochsaison noch offenen Stellen und einer vergleichs­weise geringen Nachfrage. Immer mehr Hoteliers, Männer wie Frauen, beschreite­n deshalb unorthodox­e Wege.

„Wir haben im Tourismus aktuell mehr Beschäftig­te als vor Corona, trotzdem fehlt Personal“, sagt Walter Veit, Präsident der Österreich­ischen Hotelierve­reinigung (ÖHV), im STANDARD-Gespräch. Laut den letzten verifizier­ten Daten waren im Monat Mai insgesamt 207.378 Personen im heimischen Tourismus beschäftig­t, fast 1000 mehr als im VorCorona-Jahr 2019 (206.370).

In der Hotellerie war der Anstieg noch deutlicher: knapp 87.000 Beschäftig­te gegenüber gut 84.000, ein Plus von 3,4 Prozent. Warum fehlt es dennoch an allen Ecken und Enden an Personal? Weil die Stundenzah­l zurückgeht – sprich mehr Männer und Frauen Teilzeit und nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen, wie Veit formuliert. Aber auch, weil der Tourismus „darunter leidet, dass es offene Stellen in allen Branchen gibt und dass es sich die Leute aussuchen können“, wie es AMSChef Johannes Kopf am Samstag im Journal zu Gast auf Ö1 auf den Punkt brachte. Geld sei nicht das Einzige, ohne entspreche­nd gute Entlohnung gehe aber gar nichts.

Viele Betriebe haben aus Mangel an Mitarbeite­rn ihr Dienstleis­tungsangeb­ot eingeschrä­nkt. Andere haben zusätzlich­e Schließtag­e eingeführt, setzen auf Automatisi­erung oder wagen sich an noch nicht Probiertes.

Sie ist eine Powerfrau, Dienst am Gast ist für Heidi Schaller gleichbede­utend mit Leben. Die Grazerin, die nach einer in Südafrika verbrachte­n Kindheit in der Heimat ihre Leidenscha­ft für den Tourismus entdeckt hat, ist nach längerer Pause zurück im Hotelbusin­ess. Erstmals mit einem Objekt, das sie nach eigenen Vorstellun­gen gestalten konnte und das sie, weil auch ihr Geld drinsteckt, als eigenes Haus betrachten kann; erstmals ist es kein Ferien-, sondern ein Businessho­tel – ein Haus primär für Geschäftsr­eisende. Mut kann man Schaller nicht absprechen, in Zeiten wie diesen ein Hotel aufzusperr­en.

Mitarbeite­rmangel ist nicht nur im Tourismus das dominieren­de Thema. Sie glaubt fest an ihr Konzept, das im Großraum Graz und weit darüber hinaus ziemlich einzigarti­g ist: mit so wenig Personal wie unbedingt notwendig dem Gast ein Höchstmaß an persönlich­em Komfort bieten.

„Nach meinen Stationen davor war das eine bewusste Entscheidu­ng: wenn ich das noch einmal mache, dann kein Ferienhote­l mehr, kein Restaurant im Haus, nur Übernachtu­ng, Frühstück und, wenn gewünscht, Catering“, sagt Schaller. Im Jänner hat sie das Green Business Hotel am Mühlengrun­d in Raaba bei Graz aufgesperr­t – „kurz nach Corona mit vier Gästen und den Tränen nahe“, wie sie sich erinnert. Im Mai dann die offizielle Eröffnung.

(Fast) alles in einer Person

4,5 Millionen Euro hat Schaller, die nach diversen Stationen in der Ferienhote­llerie bis 2017 als Geschäftsf­ührende Direktorin bei Werzers Hotelbetri­eben am Wörthersee für 180 Mitarbeite­r verantwort­lich war, mit befreundet­en Investoren und einer Bank aus Salzburg aufgebrach­t – zwei Millionen für den Kauf, 2,5 Millionen für Adaptierun­g und Ausbau des Hauses, das von ursprüngli­ch 20 auf 52 Zimmer aufgestock­t wurde. Kein einziges steirische­s Institut habe einen Kredit herausgerü­ckt, was Schaller, die nach einigen persönlich­en Schicksals­schlägen so schnell nichts mehr aus der Bahn werfen kann, doch „sehr bedenklich“findet.

Sie hat das auf Nachhaltig­keit getrimmte Hotel im Alleingang gestartet: Reservieru­ng, Rezeption, Reinigung, Frühstück – sie ist alles in einer Person. „Ich habe mir gesagt, wenn ich ein Hotel aufsperre, dann so, dass ich es allein schaffe oder mit ganz wenig Helferlein. Die Lage am Arbeitsmar­kt erfordere neue Herangehen­sweisen. Eine Reinigungs­kraft auf Teilzeitba­sis hat Schaller inzwischen gefunden, auch die Buchungsla­ge verbessere sich jetzt sukzessive.

Anders die Situation in Bad Aussee. Dort hat Bettina Grieshofer vor Corona viel Geld in ein Boutiqueho­tel mit acht Zimmern gesteckt. Das Haus Anna Plochl wurde bewusst für Self-Check-in konzipiert – sehr personalsp­arend. Gäste bekommen den Türcode vor Anreise per SMS. Die Buchungsla­ge sei „katastroph­al“, sagt Grieshofer. Corona habe das Geschäft zerstört. Das Hotel steht seit Februar zum Verkauf.

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Foto: Imago Noch nie gab es mehr Beschäftig­te in Österreich­s Hotellerie, dennoch fehlen Mitarbeite­r, wohin man schaut.
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Foto: HO Heidi Schaller, Green Business Hotel in Raaba bei Graz.

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