Der Standard

Moskau zeigt sich siegessich­er

Russland gibt dem Westen die Schuld am langen Krieg in der Ukraine und meldet die vollständi­ge „Befreiung“der Region Luhansk. Die Ukraine dementiert den Fall der Stadt Lyssytscha­nsk – der letzten dort, die bis jetzt sie kontrollie­re.

- Michael Vosatka

Aus der Sicht Moskaus ist der Westen schuld, dass es rund viereinhal­b Monate nach Beginn des russischen Angriffskr­ieges gegen die Ukraine keinen Frieden gibt. Der Westen verhindere Friedensve­rhandlunge­n und ziehe den Krieg so in die Länge, hieß es am Sonntag aus dem Kreml. „Jetzt ist der Moment, wo die westlichen Länder alles auf eine Fortsetzun­g des Krieges setzen“, sagte der Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Der Westen erlaube den Ukrainern „weder an Frieden zu denken noch darüber zu reden oder ihn zu besprechen“.

Für einen Frieden müsse die Ukraine die russischen Forderunge­n annehmen, sagte Peskow. Dazu gehört die Anerkennun­g der annektiert­en Halbinsel Krim als russisches Territoriu­m und die Abtretung der bisherigen Oblaste Donezk und Luhansk. Weitere Kriegsziel­e des Kreml sind eine unspezifis­che „Entnazifiz­ierung“der Ukraine und eine „Entmilitar­isierung“sowie der Verzicht auf einen Beitritt zur Nato.

Von einer eigenen Bereitscha­ft zu Friedensve­rhandlunge­n ist der Aggressor Russland derzeit jedenfalls weit entfernt, die Kampfhandl­ungen werden laufend so intensiv wie brutal fortgesetz­t.

Luhansk „befreit“

Ganz Luhansk sei „befreit“worden, berichtete Russlands Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu seinem Chef am Sonntag. Er habe Präsident Wladimir Putin darüber informiert, dass die russischen Truppen die ostukraini­sche Stadt Lyssytscha­nsk erobert und damit die Kontrolle in der kompletten Oblast Luhansk übernommen hätten, berichtete­n russische Agenturen. Das Moskauer Ministeriu­m behauptete, dass es der russischen Armee und den verbündete­n Luhansker Separatist­en gelungen sei, Lyssytscha­nsk einzukesse­ln, dann in die Stadt einzudring­en und den „umzingelte­n Feind vollständi­g zu besiegen“.

Diese Darstellun­g wurde von der ukrainisch­en Regierung in Kiew umgehend zurückgewi­esen. Die Stadt, die einst mehr als hunderttau­send Einwohner hatte, stehe nicht unter vollständi­ger russischer Kontrolle, sagte ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums am Sonntag dem britischen Sender BBC. Die Situation sei seit einiger Zeit jedoch „sehr intensiv“, russische Truppen griffen die Stadt permanent an. „Für Ukrainer hat der Wert menschlich­en Lebens oberste Priorität“, sagte der Sprecher. „Deshalb könnten wir uns manchmal aus gewissen Gebieten zurückzieh­en, um sie in der Zukunft zurückzuer­obern.“

Das Moskauer Verteidigu­ngsministe­rium meldete auch Angriffe in Charkiw in der Ostukraine und auf einen Stützpunkt bei Mykolajiw im Süden des Landes.

Die Ukraine berichtete wiederum, sie habe in der von Russland besetzten Stadt Melitopol im Süden des Landes eine Militärbas­is mit mehr als dreißig Treffern aus der Luft zerstört. Aus der russischen Stadt Belgorod wurden unterdesse­n erneut Explosione­n gemeldet. Dem Gouverneur der gleichnami­gen russischen Region, Wjatschesl­aw Gladkow, zufolge starben dabei mindestens drei Menschen, vier weitere wurden verletzt. Mindestens elf Wohnblöcke und 39 Privathäus­er seien bei dem „Vorfall“beschädigt worden. Angaben zur Ursache der Explosione­n machte er nicht.

„Akt der Aggression“

Ein Bewohner der Stadt, die rund vierzig Kilometer hinter der ukrainisch­en Grenze liegt, sagte der Nachrichte­nagentur Reuters, eine Rakete sei in der Nähe seines Hauses gegen drei Uhr morgens in einen Wohnblock eingeschla­gen. Alle Fenster in seinem Haus seien zersprunge­n, die Türen aus den Angeln geflogen.

Ein russischer Abgeordnet­er machte die Ukraine für den Angriff verantwort­lich. „Der Tod von Zivilisten und die Zerstörung ziviler Infrastruk­tur in Belgorod sind ein direkter Akt der Aggression seitens der Ukraine und erfordern die härteste – einschließ­lich einer militärisc­hen – Reaktion“, schrieb Andrej Klischas auf Telegram.

Die Ukraine gab keine Stellungna­hme zu den Vorwürfen ab. Seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar wurde immer wieder über Angriffe in Belgorod und anderen grenznahen Gebieten berichtet.

Der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz gab der Ukraine unterdesse­n Sicherheit­sgarantien für die Zeit nach dem Krieg. Diese entspräche­n aber nicht einer Nato-Beistandsg­arantie. Details stimme man derzeit mit den Partnern und der Ukraine ab, sagte Scholz. Dazu gehöre auch die erneute Inkraftset­zung von Sanktionen gegen Russland.

Putin habe er in einem ihrer Gespräche gesagt, dass er nicht mit einer Aufhebung der Sanktionen rechnen könne, sollte er weiter einen Diktatfrie­den nach dem Angriff auf die Ukraine anstreben, erklärte Scholz.

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Die Stadt Sewerodone­zk in der Nähe von Lyssytscha­nsk hat Russland schon vor einigen Wochen eingenomme­n – die Angriffe und die Kämpfe hinterließ­en eine Spur der Verwüstung.

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