„Nur Ruhe!“mit Krieg, Inflation, Pandemie bei Nestroy-Spielen
Nach 50 Jahren gibt Intendant und Regisseur Peter Gruber die Nestroy-Spiele Schwechat ab. Seine Abschiedsinszenierung ist eine zutiefst fatalistische: Nestroys Nur Ruhe!, zur Entstehung kurz vor der 1848er-Revolution höchst unbeliebt beim Publikum und nach wie vor kaum gespielt, zeigt die Menschheit nicht von ihrer besten Seite. Berechnende, kaum je über den eigenen Tellerrand hinausblickende Figuren taumeln durch eine aufgekratzte Handlung. Der Besitzer einer Lederfabrik am Rande der Stadt (so wie einst die Rothmühle, Spielort der Nestroy-Spiele) will an Neffe Heinrich übergeben und seine Ruhe. Natürlich tritt das Gegenteil ein, sonst ließen sich zweieinhalb Stunden kaum füllen.
Die eher unterschwellige vormärzliche Gereiztheit überhöht Gruber mit wenigen, aber deutlichen Aktualisierungen, v. a. in den Couplets: Nicht nur Klassen- und Geschlechterkonflikte bedrohen die Ruhe, sondern auch Pandemie, das „Damoklesschwert“Weltkrieg, Inflation und Klimakatastrophe. Wen wundert, dass der souveräne Rainer Doppler als Lederfabrikant Schafgeist keine ruhige Minute hat. Dabei muss er sich ohnehin um heimlich Verliebte, despotische Väter, übersteuerte Verkuppelungsintrigen, vermeintliche Mordanschläge und untergeschobene Kinder kümmern.
Das Ensemble arbeitet sich auf der in zwei Ebenen aufgeteilten Bühne (auch Kostüme: Andrea Költringer) mit Schmackes durch die quasi minütlich steigenden Eskalationsstufen: Marc Illich als Werksführer am Rande des Nervenzusammenbruchs, Eric Lingens als völlig unfähiger, aber selbstverliebter Firmenerbe, der versoffen-verschlagene Lederergesell Rochus Dickfell (Christian Graf) und seine Ziehtochter Leocadia (im Leoparden-Outfit: Michelle Haydn). Dann taucht noch die neureiche Familie eines gewissen Herrn von Hornissl (die Krawatte fast in Trump-Länge: Michael Scheidl) mit Neffe (Florian Haslinger) auf, und das Chaos ist komplett.
Detailliebe und Wehmut
Die Figuren bleiben eindimensional, aber das Ensemble überzeugt. Und Gruber inszeniert mit Liebe zum Detail: Die Mauerschau (griech. teichoskopie), in der vom Autounfall der Hornissls berichtet wird, findet tatsächlich an einem Teich statt, die proletenhafte Leocadia kratzt sich permanent im Schritt. Dass der latente Sexismus fokussiert ausgespielt wird, sorgt für große Lacher, ebenso die mit geschminkten Veilchen angedeutete häusliche Gewalt. Wirklich gesellschaftskritischer Biss fehlt dem Abend ein wenig, eher überwiegt die Wehmut über den desolaten Zustand der Welt.