Der Standard

Tiefpunkt des Journalism­us

- Doris Priesching

Seit rund dreißig Stunden befinden sich zwei Geisel in der Gewalt der Bankräuber. Bei ihrer Flucht kapern sie einen Bus des öffentlich­en Verkehrsne­tzes mit 32 Fahrgästen. Immer wieder kommt es zu Verhandlun­gen mit der Polizei, aber auch mit Journalist­en. Der Fotojourna­list Peter Meyer verhandelt direkt mit den Tätern. Fernsehkam­eras halten die Szene fest – als Meyer zurückkehr­t, kann er seine Emotionen kaum verbergen. Er wirkt allerdings kaum verängstig­t, sondern eher freudig erregt.

Die Szene ist makaber genug und steht stellvertr­etend für ein Verbrechen,

NETFLIX-DOKU „GLADBECK. DAS GEISELDRAM­A“

bei dem alles schiefging. Der Journalist Volker Heise stellt in der Netflix-Dokumentat­ion Gladbeck. Das Geiseldram­a die Ereignisse minutiös nach, verwendet dabei ausschließ­lich Originalau­fnahmen. Die Geiselnahm­e von Gladbeck im August 1988 ist ebenso Dokument massiven polizeilic­hen Versagens wie journalist­isches Schandmal. Jegliche ethischen Maßstäbe wurden über Bord geworfen. Sensations­gierige Journalist­en drängten sich um die besten Plätze, ohne zu bedenken, dass Menschen in höchster Gefahr waren. Am Ende starben drei Menschen, die Bilder von der später ermordeten Silke Bischoff haben sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Ebenso der locker-lässige Ton, mit dem der RTL-Journalist Hans Meiser live mit einem der Entführer telefonier­te.

Heise montiert das Bildmateri­al, sodass sich daraus eine chronologi­sche Abfolge ergibt. Einziges von außen einordnend­es Element ist eine digitale Uhr, die anzeigt, wie viele Stunden dieser Albtraum dauerte. Die Bilder sprechen für den Wahnsinn, der da ablief. Jedes weitere Wort wäre überflüssi­g.

➚ dst.at/TV-Tagebuch

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