Blutbad bei Protesten in Usbekistan
Im Zuge von Demonstrationen gegen eine Verfassungsänderung starben mindestens 18 Menschen
Auf den Straßen von Nukus sei es am Montag angespannt, aber ruhig, beschreibt es eine der wenigen Journalistinnen, die sich noch frei in der Stadt aufhalten. Eine neue Woche beginnt in der Regionalhauptstadt von Karakalpakistan, nach den heftigsten Protesten, die es in Usbekistan seit Jahren gegeben hat. Die Spitäler sollen übervoll sein. Vor dem Gefängnis warten hunderte Menschen, um zu erfahren, ob ihre Verwandten vielleicht dort sind.
Schon die offizielle Bilanz ist verheerend: 18 Menschen gestorben und über 200 verletzt, gab der usbekische Präsident Shavkat Mirziyoyev am Montag bekannt. Doch die Opferzahlen dürften viel höher sein.
Auch am Montag ist noch wenig darüber bekannt, was eigentlich seit Freitag in Nukus passiert ist. Am Samstag wurde der Ausnahmezustand verhängt, das Internet ist nun blockiert. Über 500 Menschen sollen verhaftet worden sein.
Usbekistan, das Land in Zentralasien, gilt grundsätzlich als autoritär. Unangemeldete Demos sind in der Ex-Sowjetrepublik verboten. Nur selten gehen die Menschen dort trotzdem auf die Straßen. Das Land ist etwas größer als Deutschland, ein Drittel der Landesfläche macht die Region Karakalpakistan aus. Die dünn besiedelte Gegend genießt weitgehende Autonomie von Taschkent. So ist es in der usbekischen Verfassung verankert – bisher.
Denn in einem überraschenden Schritt wollte der Präsident ebenjene Rechte streichen. In einem neuen Verfassungsentwurf fand sich eine bisher geltende Regel nicht mehr: dass die Region eine Abstimmung darüber abhalten dürfe, sich von Usbekistan abzuspalten. Diese Sonderrechte gehen auf die spezielle Geschichte des Landes zurück. Nach dem Zerfall der Sowjetunion beschloss die Region, sich Usbekistan anzuschließen, und zwar für mindestens 20 Jahre. Danach dürfte sie ein Referendum über ihren Status abhalten.
Der Passus galt mittlerweile als bloß symbolisch. Doch mit der geplanten Streichung haben sich die Machthaber vertan. Nach Veröffentlichung des Entwurfs schlossen sich innerhalb weniger Stunden hunderttausende Menschen zum Protest in den sozialen Medien zusammen. Am Freitag versammelten sich tausende in Nukus, um gegen den Schritt zu protestieren. Die Menge hätte den Regierungssitz stürmen wollen, verteidigt die Zentralregierung ihr brutales Eingreifen. Noch am Samstag reiste der Präsident nach Nukus und nahm den Entwurf zurück.
Warum er sich überhaupt zu dem Schritt entschieden hatte, irritiert Beobachter. Die Rechte seien vielleicht auf dem Papier außergewöhnlich, sagt der Zentralasien-Experte Frank Maracchione zum STANDARD, hätten aber kaum reale Auswirkungen. Das sei wohl mit ein Grund dafür, dass der Präsident den Schritt so schnell auch wieder zurücknahm.
Maracchione ortet aber noch viel weitreichendere Gründe für die Proteste. Die Menschen in der Region stünden unter enormem wirtschaftlichem Druck. Die sukzessive Austrocknung des Aralsees hat die lokale Ökonomie schwer getroffen. Karakalpakistan, zwischen Kasachstan und Turkmenistan gelegen, wurde so zu einer der ärmsten Regionen des Landes: Die Verfassungsänderung hat das Fass vielleicht zum Überlaufen gebracht. Die Probleme gab es aber eben auch zuvor.
Ukraine-Krieg als Treiber
Der Krieg in der Ukraine hat außerdem zur Nervosität in der Region beigetragen. So sahen es die Machthaber vielleicht an der Zeit, den ungewöhnlichen Status von Karakalpakistan endlich loszuwerden. Bereits seit der Krimkrise 2014 hätten sich Abspaltungsbewegungen in Usbekistan verstärkt, heißt es bei Radio Free Europe.
Viele sehen sich nun an Kasachstan erinnert, wo Anfang des Jahres bei Massenprotesten etliche Menschen starben. „Die Rhetorik der Machthaber sei ähnlich, sagt Maracchione: Da wie dort werden ‚externe Kräfte‘ für Missstände in der Bevölkerung verantwortlich gemacht.“In der Region gilt einstweilen bis Anfang August der Ausnahmezustand.