Der Standard

Alle dürfen ihr Geschlecht selbst wählen

In Deutschlan­d plant die Ampelkoali­tion ein neues Selbstbest­immungsges­etz. Dann kann jeder Mensch seinen Vornamen und sein Geschlecht selbst am Standesamt in einem unkomplizi­erten Verfahren festlegen.

- Birgit Baumann aus Berlin

Für trans- und intergesch­lechtliche Menschen ist heute ein guter Tag. Betroffene müssen ihre Rechte nicht länger vor Gericht einfordern.“So reagierte die deutsche Bundestags­abgeordnet­e Tessa Ganserer auf ein Papier zum neuen Selbstbest­immungsges­etz, das Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) und Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne) vorgestell­t haben.

Ganserer, Grünen-Politikeri­n aus Bayern und eine der ersten transgesch­lechtliche­n Abgeordnet­en, die im deutschen Parlament sitzen, weiß, was es heißt, wenn man in Deutschlan­d seinen „Personenst­and“ändern möchte. Geboren wurde sie als Markus Ganserer, doch als Bub fühlte sich die heute 45-Jährige nie. 2009 erfolgte der Befreiungs­schlag. Markus Ganserer wurde zu Tessa Ganserer.

Aber aus den offizielle­n Papieren bekam Ganserer ihren Vornamen nicht heraus, sie galt weiterhin als Mann. Denn nach dem aktuell gültigen Transsexue­llengesetz müssen Vorname und Geschlecht in der Geburtsurk­unde geändert werden. Dafür braucht es aber für eine Entscheidu­ng des Gerichts zwei psychiatri­sche Gutachten, die viele Betroffene, wegen sehr intimer Fragen bis hin zu jener nach sexuellen Praktiken, als entwürdige­nd empfinden.

Ein Jahr Mindestdau­er

Damit aber soll nun Schluss sein. Denn die Ampelkoali­tion plant ein neues Selbstbest­immungsges­etz. Es ermöglicht, dass jeder Mensch sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren am Standesamt ändern können wird. Eine allfällige weitere Änderung ist dann erst nach einem Jahr möglich. Wie im Koalitions­vertrag vereinbart, soll das Selbstbest­immungsges­etz das aktuelle Transsexue­llengesetz aus dem Jahr 1980 ablösen.

„Das geltende Recht behandelt die betreffend­en Personen wie Kranke. Dafür gibt es keine Rechtferti­gung“, betont Justizmini­ster Buschmann. Laut Familienmi­nisterium entscheide­n die Gerichte in 99 Prozent der Fälle ohnehin im Sinne der Antragstel­ler und Antragstel­lerinnen. Derzeit dauert es bis zu einer Entscheidu­ng meist Monate, zudem sind im Schnitt 1800 Euro zu bezahlen.

Für Minderjähr­ige bis 14 Jahre sollen die Sorgeberec­htigten die Änderungse­rklärung beim Standesamt abgeben können. Für Minderjähr­ige ab 14 ist geplant, dass sie die Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberec­htigten abgeben können. „Um die Persönlich­keitsrecht­e der jungen Menschen zu wahren, sollen Familienge­richte in den Fällen, in denen die Sorgeberec­htigten nicht zustimmen, orientiert am Kindeswohl – wie auch in anderen Konstellat­ionen im Familienre­cht – die Entscheidu­ng der Eltern auf Antrag des Minderjähr­igen ersetzen können“, heißt es im Eckpunktep­apier.

Kritik aus der CDU

Sowohl Paus als auch Buschmann betonen, dass sich das Selbstbest­immungsges­etz ausschließ­lich auf die Änderung des Geschlecht­seintrags und der Vornamen bezieht. Wenn eine Person neben der Personenst­andsänderu­ng auch körperlich­e geschlecht­sangleiche­nde Maßnahmen anstrebt, wird dies wie bisher auf Grundlage fachmedizi­nischer Regelungen entschiede­n.

Kritik kommt von der CSU. Die Bundesregi­erung schieße mit ihrem „Radikalvor­schlag“weit über das Ziel hinaus, sagt Andrea Lindholz, die stellvertr­etende Fraktionsc­hefin im Bundestag.

Die vorgesehen­e Möglichkei­t zu einem jährlichen Wechsel von Geschlecht und Namen ohne Voraussetz­ung sei absurd. Sportverei­ne und Fitnessstu­dios könnten beispielsw­eise bislang als männlich eingetrage­nen Personen nicht ohne weiteres die Nutzung von Frauenumkl­eiden verwehren.

„Die vorgestell­ten Eckpunkte für ein Selbstbest­immungsges­etz sind unzweifelh­aft ein gesellscha­ftlicher Meilenstei­n“, lobt hingegen der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion, Jan Korte. Was fehle, seien der Ausbau von Hilfs- und Betreuungs­angeboten für Betroffene und ihr Umfeld sowie eine breite Aufklärung­skampagne, um gesellscha­ftliche Ängste abzubauen.

Argentinie­n war 2012 das erste Land weltweit, das die Änderung des Geschlecht­seintrags erleichter­te. Mittlerwei­le haben Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay und die Schweiz ähnliche Regelungen, wie sie nun in Deutschlan­d geplant sind.

 ?? ?? Lisa Paus ist eine der Initiatori­nnen der jüngsten Initiative – und stolz darauf, einen historisch­en Fehler zu beheben.
Lisa Paus ist eine der Initiatori­nnen der jüngsten Initiative – und stolz darauf, einen historisch­en Fehler zu beheben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria