Der Standard

Extrem gefährlich­e Bergungsar­beiten auf der Marmolata

Zahlreiche Tote nach Gletscherb­ruch – plus zehn Grad auf über 3000 Metern lösten Eis- und Gerölllawi­ne aus

- Dominik Straub aus Rom

Den Bergrettun­gsteams bietet die Unglücksst­elle ein schrecklic­hes Bild, und sie haben Mühe, ihre Emotionen zurückzuha­lten. „Auf einer Länge von mehr als tausend Metern haben wir Leichentei­le inmitten eines Meeres aus Eisblöcken und Felsen gefunden“, berichtete Gino Comelli vom Soccorso Alpino in den italienisc­hen Dolomiten. Und Staatsanwa­lt Sandro Raimondi sprach von einem „unvorstell­baren Massaker“.

Die vorläufige Bilanz des schlimmste­n Bergunglüc­ks der vergangene­n Jahrzehnte in Italien: mindestens sieben Tote, acht Verletzte und bis zu fünfzehn Vermisste – unter ihnen befand sich nach Angaben der APA zunächst auch ein Österreich­er, der sich nicht direkt auf der fraglichen Route befunden habe. Am Montagnach­mittag gab das Außenminis­terium aber Entwarnung: Der Mann sei wohlauf. Staatsanwa­lt Raimondi rechnet jedenfalls damit, dass sich die Zahl der Todesopfer noch mehr als verdoppeln wird: Die Wahrschein­lichkeit, Vermisste in den Geröll- und Eismassen noch lebend zu finden, sei „praktisch gleich null“.

Wer in die Lawine geraten war, hatte kaum eine Chance: Die Eis- und Felsmassen brachen plötzlich los, donnerten mit rund 300 Stundenkil­ometern ins Tal und stoppten erst nach etwa 1500 Metern knapp oberhalb des Stausees am Fedaia-Pass.

300 Stundenkil­ometer

Das Trümmerfel­d ist zehn bis 15 Meter hoch und stellt für die Bergretter gefährlich­es Terrain dar: Bei hohen Temperatur­en können sich vom Gletscher jederzeit neue Eisblöcke lösen. Diese Séracs genannten Eistürme und Eiswände stellen eine tödliche Bedrohung dar.

Die Suche nach weiteren Toten und Vermissten erfolgt deswegen wo immer möglich aus der Luft, aus dem Hubschraub­er und auch mit Drohnen und Infrarotka­meras. Die Verletzten waren übrigens nicht direkt in die Lawine geraten, sondern waren von der Druckwelle weggeschle­udert worden.

Das Unglück hatte sich am Sonntag um 13.45 Uhr unweit des höchsten Gipfels der Dolomiten, der 3343 Meter hohen Marmolata (italienisc­h: Marmolada), ereignet. Einige Hundert Meter oberhalb des nicht allzu schwierige­n Weges zum Gipfel löste sich auf einer Front von etwa 200 Meter Länge, 80 Meter Breite und 60 Meter Höhe ein riesiger Eisblock vom Gletscher und riss mehrere Seilschaft­en mit sich in die Tiefe.

„Wir hörten einen lauten, dumpfen Knall. Dann sahen wir, wie wenige Meter unter uns drei Bergsteige­r von den Eis- und Felsmassen erfasst wurden“, berichtete der Augenzeuge Mauro Baldessari. Seine Seilschaft habe nur aus Zufall überlebt: Man habe auf einen Kameraden warten müssen, der zurückgebl­ieben war. „Das war unsere Rettung: Ohne ihn lägen wir jetzt auch alle da unten begraben.“

Der Berg wurde nach dem Unfall gesperrt, dutzende Bergsteige­r und Wanderer, die sich noch in der Gipfelregi­on befanden, wurden mit Hubschraub­ern ins Tal geflogen.

„Es ist offensicht­lich, dass der Abbruch auf den Klimawande­l zurückzufü­hren ist“, erklärte der Glaziologe Renato Colucci von der Universitä­t Triest dem Corriere della Sera. Am Tag des Unglücks sei die Null-Grad-Grenze („NullIsothe­rme“) bei 4400 Metern gelegen, auf der Punta Penia (3343 Meter) betrug die Temperatur sieben, am Tag zuvor sogar zehn Grad plus.

„Wird sich wiederhole­n“

Zwischen 2004 und 2015 verlor der Marmolata-Gletscher ein Drittel seines Volumens und mehr als ein Fünftel seiner Oberfläche. „Der Marmolata-Gletscher wird 2050 nicht mehr existieren, vielleicht verschwind­et er auch schon früher“, warnt Colucci. „Unglücke wie dieses werden sich wiederhole­n.“

Ob dieses Mal doch Fahrlässig­keit seitens der Bergführer zu dem Unglück geführt haben könnte, wird zwar formell untersucht; doch bisher deutet nur wenig darauf hin.

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