Chats mit Kurz-Bezug auf 92 Seiten
Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat alle ihr bekannten Chats zu Postenbesetzungen mit Beteiligung von Sebastian Kurz gesammelt und auf rund neunzig Seiten Nebendeals der türkis-blauen Koalition seziert.
So intensiv ist rund um den Vorwurf einer Falschaussage kaum je ermittelt worden: Seit mehr als einem Jahr prüft die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), ob der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Sommer 2021 den Ibiza-UAusschuss falsch informiert hat. Ein neuer Amtsvermerk deutet aber an, dass die Ermittlungen kurz vor dem Abschluss stehen.
Frage: Was ist der Inhalt der Chatauswertung?
Antwort: Die WKStA hat auf 92 Seiten Chatnachrichten zu einer Erzählung über die Nebenabsprachen von Türkis-Blau zusammengefasst. Dafür wurden alte Chats mit einigen neu entdeckten Nachrichten kombiniert und aneinandergereiht.
Frage: Was zeigt dieses Dokument?
Antwort: Die Ermittler der WKStA sprechen selbst von einer „SchieferSchmid-Vereinbarung“, die im Zentrum der Auswertung steht. Dabei handelt es sich um Nebenabsprachen, die von den beiden Regierungsverhandlern Arnold Schiefer (FPÖ) und Thomas Schmid (ÖVP) getroffen wurden.
Frage: Wer sind die beiden?
Antwort: Schmid ist wohlbekannt: Er war jahrelang Generalsekretär im Finanzministerium und hatte da zuletzt Ambitionen, Chef der neuen Staatsholding Öbag zu werden – was dann ja auch klappte. Arnold Schiefer hat ab den 2000er-Jahren in Ministerien und später staatsnahen Betrieben als Manager Karriere gemacht. Er sollte für die FPÖ zum Beispiel das Beteiligungsmanagement des Bundes verhandeln.
Frage: Was soll die „SchieferSchmid-Vereinbarung“sein?
Antwort: Die WKStA sieht einen breitflächigen Deal zwischen ÖVP und FPÖ zu Personalentscheidungen in staatsnahen Unternehmen. Schon während der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2017 sprachen Schiefer und Schmid intensiv miteinander, während des ersten Regierungsjahres soll das Personalpaket verfeinert worden sein.
Frage: Wie kommt Kurz ins Spiel?
Antwort: Im Ibiza-U-Ausschuss wollte die Opposition vom damaligen Kanzler wissen, wie Thomas Schmid Chef der Öbag wurde. Die Vorgänge waren politisch peinlich – als Generalsekretär schrieb Schmid an der Ausschreibung für den Job mit, um den er sich dann bewarb. Ebenso suchte er jene Aufsichtsräte mit aus, die ihn dann zum Chef machten. Kurz stellte seinen eigenen Einfluss auf die Öbag-Personalien vor dem U-Ausschuss als gering dar und verwies auf die Verantwortung von Finanzminister Hartwig Löger. Die WKStA sieht darin eine Falschaussage.
Frage: Was ist im neuen Dokument zu lesen?
Antwort: Da gibt es etwa Chats zwischen Arnold Schiefer und dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache rund um den ÖbagVorgänger Öbib aus dem Jänner 2018. Schiefer fühlte sich von der ÖVP gelegt, weil die alle Sitze im Nominierungskomitee für sich beanspruchte. Das sei im Gespräch „mit dir, Kurz, Schmid und mir“anders besprochen worden, schrieb Schiefer an Strache. Einen Monat später schlug der damalige Generalsekretär im Bundeskanzleramt, Dieter Kandlhofer, eine Person für den Aufsichtsrat der Staatsholding vor. Schmid antwortete, Aufsichtsrat „macht Sebastian selber, und er hat 3.000 Zusagen gemacht für 9 ARJobs“. Immer wieder ist von Gesprächen auf „Chefebene“, also zwischen Strache und Kurz, zu lesen – auch was die Öbag betrifft.
Frage: Was bedeutet das für die Ermittlungen gegen Kurz?
Antwort: Aus Sicht der WKStA ist klar, dass der damalige Kanzler viel mehr über die Vorgänge rund um die Öbag gewusst hat, als er dem Parlament erzählte. Zum Thema Aufsichtsräte sagte er etwa: „Ich weiß, dass ich diese Aufsichtsräte nicht ausgewählt habe.“Befragt nach Deals zwischen Schmid und Schiefer, meinte er: „Ich habe keine Ahnung, was die vereinbart haben, ob das eine Personalagenda war, ob das Budgetfragen waren – keine Ahnung.“Die Chats stellen das einmal mehr infrage. Der Amtsvermerk liest sich jedenfalls so, als ob ein Strafantrag gegen Kurz in der Sache nicht mehr weit entfernt wäre.