Der Standard

„Die Regierung behirnt es nicht“

- INTERVIEW: Markus Rohrhofer KLAUS LUGER (61) ist Sozialwiss­enschafter und Historiker, war zwölf Jahre Bezirksges­chäftsführ­er der SPÖ Linz und von 2009 bis 2013 Vizebürger­meister. Seit 2013 ist er Linzer Bürgermeis­ter.

Pandemisch gehe die Bundesregi­erung „strategie- und planlos“in den Herbst, und der Gesundheit­sminister sei „leicht“überforder­t. Einen Linksruck ortet der Linzer Bürgermeis­ter Klaus Luger (SP) innerhalb der SPÖ hingegen nicht, parteiinte­rne Querschüss­e aus der roten Burgenland-Ecke seien „entbehrlic­h“.

Der kleine Schwarze darf im roten Büro nicht fehlen. Klaus Luger geht mit einem Espresso am großen Besprechun­gstisch in seinem Büro im Alten Rathaus direkt am Hauptplatz in den Tag. Das offene Regal im Hintergrun­d zeugt mit mehreren Fußbällen und einem FCBlau-Weiß-Linz-Schal von der wahren Leidenscha­ft des Linzer Stadtoberh­aupts.

Standard: Aktuell steigt die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen wieder sehr rasant an. Haben Sie das Gefühl, dass wir entspreche­nd gut vorbereite­t in den Herbst gehen?

Luger: Von Regierungs­seite ist explizit nichts vorbereite­t. Objektiv ist die Performanc­e der Regierung bereits seit Juni 2020 deutlich schlechter geworden. Einfach nur chaotisch. Und die Impfpflich­t steht symbolisch für den Schlingerk­urs, der gefahren wird. Wir erleben ja aktuell eine groteske Situation. Ich bin 30 Jahre Kommunalpo­litiker – und zum ersten Mal haben wir vom Bund auf Verdacht Geld bekommen. Nämlich 1,9 Millionen Euro für eine Impfkampag­ne. Ich wüsste nur nicht, mit welchem Inhalt die Kampagne über die Bühne gehen soll.

Standard: Was, glauben Sie, wäre jetzt sinnvoll?

Luger: Es geht um die zentralen Fragen, und daran scheitert die Regierung mit Antworten: Welche Impfstoffe stehen zur Verfügung, welche Einschätzu­ngen gibt es bezüglich Mutationen. Und die große Verunsiche­rung: Pfizer sagt selbst, dass der vierte Stich bei den derzeitige­n Mutationen nicht gegen Ansteckung­en, nur gegen schwere Verläufe hilft. Was ist die Strategie der Regierung, was wird empfohlen?

Standard: Aber was ist Ihr Lösungsans­atz?

Luger: Bei uns ist es derzeit so, dass der Anteil derjenigen, die formal einen vollständi­gen Impfschutz haben, bei 55 Prozent liegt. Wir werden erleben, dass die Quote bis August auf 40 Prozent sinkt. Wir steuern also auf eine Situation zu, die – sollte eine aggressive­re Variante kommen – wir bereits hatten. Hohe Infektions­zahlen mit vollem Druck auf die Spitäler. Man kann der Regierung nicht vorwerfen, dass sie nicht weiß, wie sich eine Virusmutat­ion auswirkt. Was ich ihr sehr wohl vorwerfe, ist, dass man für die Varianten im Herbst keine Krisenstra­tegien hat. Die Regierung behirnt es nicht, welche Möglichkei­ten es gibt – und was zu tun ist. Wir gehen strategie- und planlos in den Herbst. Und Gesundheit­sminister Rauch ist leicht überforder­t. Nicht nur in der Pandemiefr­age.

Standard: Wechseln wir zu Ihrer Partei. Sie waren immer ein scharfer Kritiker innerhalb der SPÖ. Diese sei nicht mehr in der Mitte der Gesellscha­ft verankert, inhaltlich zu schwammig. Orten Sie da nun eine Besserung?

Luger: Auf Landeseben­e ist mit dem neuen Team rund um Michael Lindner sicher eine Richtungsä­nderung spürbar. Es wurden auch Inhalte genannt. Und das habe ich jahrelang vermisst. Etwa ein Bekenntnis zur Industrie, zur Digitalisi­erung, die Gleichbere­chtigung von Frauen ...

Standard: Aber Sie sitzen auch im Bundespart­eivorstand. Lässt sich dieser Aufwind auf den Bund umlegen?

Luger: Es gibt unterschie­dliche Ansätze, wie man die SPÖ positionie­ren kann. Eine sehr traditione­ll linke Position und eine sehr pragmatisc­he Positionie­rung – wie sie der Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig etwa auch verfolgt.

Standard: Wo steht da Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner?

Luger: Sie versucht die Lager zusammenzu­halten. Was auch Aufgabe der Chefin ist. Aber Rendi-Wagner ist sicher eine sehr pragmatisc­he Politikeri­n. Generell versucht die SPÖ eine Neupositio­nierung: Wir haben zum Beispiel kapiert, dass das Thema Verlust der Lebensqual­ität durch Inflation und sinkende Einkommen weit über die finanziell Schwächste­n der Gesellscha­ft hinausgeht. Die Forderunge­n der SPÖ zielen völlig auf den Mittelstan­d ab.

Standard: Aktuell liegt die SPÖ in den Umfragen bei etwa 30 Prozent. Aber ist man nicht im Aufwind, weil die Regierung eine Dauerflaut­e erlebt?

Luger: Auch. Die Leute haben die Nase endgültig voll von dieser Bundesregi­erung. Chaos, Korruption. Diese Regierung hat sämtlichen Kredit verspielt.

Standard: Manche Sozialdemo­kraten wollen sich aber mit dem eigenen Aufschwung offensicht­lich partout nicht abfinden. Im roten Dunstkreis gibt es Sehnsucht nach einer neuen linken, „progressiv­en“Partei. Für Sie nachvollzi­ehbar?

Luger: Eines vorweg: Rendi-Wagner ist als Parteichef­in absolut gefestigt. Querschüss­e vom burgenländ­ischen Landeshaup­tmann Doskozil halte ich für sehr entbehrlic­h. Diese Querschüss­e reißen in der Gesellscha­ft angesichts viel größerer Probleme niemanden vom Hocker. Doskozil stellt sich damit selbst ins Parteieck.

Standard: Noch einmal – wie groß ist die Sehnsucht in der SPÖ nach einem Linksruck?

Luger: Ich orte kein gesteigert­es Interesse in der SPÖ an einem Linksruck. Aber wenn jemand eine Partei verlassen will, soll man ziehende Karawanen nicht aufhalten. Österreich ist aber – im Gegensatz zu Frankreich, Spanien oder Italien – kein Land, in dem Linksparte­ien erfolgreic­h sind. Und wenn in diesem Zusammenha­ng Christian Kern genannt wird, amüsiert mich das. Kern wurde als neoliberal eingestuft, jetzt soll er eine Linksparte­i gründen. Da muss man die Kategorie Links hinterfrag­en.

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Foto: Alexander Schwarzl Klaus Luger sieht die Bundes-SPÖ aktuell in einer Phase der „Neuorienti­erung“.

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