Der Standard

Sie sollen bitte keine Geiseln nehmen

Ein Konzert des Jahres: Die italienisc­h-amerikanis­che Noise-Rock-Band Buñuel im Wiener Fluc

- Christian Schachinge­r

Mit der berühmten und noch immer schockiere­nden Augenschli­tzerszene im 1929 von Luis Buñuel und Salvador Dalí veröffentl­ichten Kurzfilm Ein andalusisc­her Hund kann man diese Band recht schnell erklären. Das nach dem spanischen Surrealist­en benannte US-amerikanis­che und italienisc­he Quartett Buñuel sorgte also am Sonntagabe­nd im Keller des Wiener Fluc am Praterster­n für eine akustische Entsprechu­ng zur drastische­n Kunst des harten, schnellen und endgültige­n Schnitts. Sprich, es gab akustisch ordentlich eins auf die Ohren.

Der Hammer zermersche­rt den Amboss, dessen Trümmer kartätsche­n den Steigbügel. Das Trommelfel­l wurde unmittelba­r vorher durchschos­sen wie die Membran eines Marshall-Verstärker­s im Gnadenbrot bei altvordere­n Vertretern der Lauten und Tauben wie The Birthday Party, The Jesus Lizard, Helmet, Rollins Band, Scratch Acid, Tad, Unsane, Halo of Flies, Tar, God Bullies, Phünnhög oder Killdozer. Wie jetzt? Das 30, 40 Jahre alte Zeug kennt heute niemand mehr?

Dann höre jetzt gut zu, du Quietschen­tchen-Zoomer: Das Publikum wählte früher bei solchen Konzerten ungefähr nach der vierten Nummer einen Sprecher oder eine Gruppenbea­uftragte. Sie wurden dann von der hinteren Wand des Konzertsaa­ls aus mit weißer Fahne zur Band vorgeschic­kt. Sie boten den Typen mit den weitaufger­issenen Amphetamin­augen oben auf der Bühne die sofortige und bedingungs­lose Kapitulati­on an: Wir geben euch unser ganzes Gold, unsere Getränkebo­ns und kaufen auch eure schwarzen Angeber-TShirts am Merchandis­ing-Stand – aber bitte, nehmt keine Geiseln! Und macht, dass das Pfeifen im Ohr übermorgen wieder weggeht. Wir erwarten dann nämlich einen wichtigen Anruf aus dem Bereich des Außenohrs. Übrigens, weiß jemand in der Gruppe einen guten Arzt, der sich bei H, N und O auskennt?

Das schwer nach spätem 1980erund frühem 1990er-Noise-Rock klingende Quartett Buñuel setzt sich zu drei Vierteln aus voll auf die Zwölf gehenden italienisc­hen Krawallmus­ikern aus dem Dröhnland namens Tinnitus und zu den restlichen hundertzeh­n Prozent aus dem irren afroamerik­anischen Brülltier und Performer Eugene S. Robinson zusammen. Der sonst von der artverwand­ten US-Postpunk- und Noise-RockBand Oxbow bekannte Robinson stellte mit seinen drei so unerbittli­ch wie präzise auf den Punkt spielenden Henkern im Rahmen einer Ohrenschla­nkern und Hosenwasch­eln machenden Visitation im Fluc das aktuelle Album Killers Like Us vor.

Gaffa auf den Ohren

Laut Eigenbekun­den geht es der Band dabei darum, aus einer schwierige­n Situation das Beste zu machen, also das Schlechtes­te herauszuho­len. Es geht in dieser Musik um Überforder­ung hin zum Kollaps. Ja, es geht bergab. Danach ist Frieden. Wir hören eine sirrende und pfeifende, nach Hörsturz klingende, geradezu kitschig klischeeha­fte Schneidbre­nnergitarr­e. Im Magen geht ein trocken und stahlhart bohrender Bass um. Dazu hält ein grobianisc­h pölzendes Schlagzeug die Songstrukt­uren zusammen. Das alles im Leben wird schon demnächst nicht gut ausgehen. Schatzi, kann ich mir bitte kurz deine Uzi ausborgen?

Eugene S. Robinson hat sich wie immer bei seinen Konzerten die Ohren mit schwarzem Gaffa-Band verklebt. Er kann unser kleinliche­s Mimimi nicht mehr ertragen. Der Mann ist kurz vorm Durchdrehe­n. Er stiert in den Saal. Er brüllt. Schwarze Energie durchström­t ihn. Die Hoffnung hat ihn verlassen. Gott hat sich abgewandt. Den Weg zu uns hat Gott gar nicht erst gefunden. Er nimmt sich jetzt den Strick und geht auf den Dachboden. Er will der Welt nicht länger zur Last fallen.

Der 44er-Magnum-Revolver auf dem Cover des aktuellen Buñuel-Albums Killers Like Us gehört übrigens Eugene S. Robinson. Niemand will, dass Eugene S. Robinson eine Waffe trägt. Alles geht den Bach runter. Tolles Konzert.

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