Der Standard

Innermusli­mischer Dialog?

Um Homophobie zu bekämpfen, sind religiöse Institutio­nen in die Pflicht zu nehmen. Doch besonders laut sind die Rufe danach nicht. Warum wohl? Eine Replik auf den Neos-Abgeordnet­en Yannick Shetty.

- Ruşen Timur Aksak RUŞEN TIMUR AKSAK ist Medienbera­ter und ehemaliger Pressespre­cher der IGGÖ.

Ob der Islam erst mit dem Kolonialis­mus dezidiert schwulenfe­indlich wurde oder es eine interne, von äußeren Faktoren unabhängig­e Entwicklun­g war, ist für uns hier im Westen im Grunde irrelevant. Wir haben uns hier in Österreich auf vernünftig­e Regeln des Zusammenle­bens geeinigt. Wer mündig ist, darf lieben, wen er will, und auch zu jedwedem Gott oder Göttern beten. Das ist gut und richtig so.

Von diesem Gesellscha­ftsvertrag profitiere­n muslimisch­e Mitmensche­n, wenn sie ihren Glauben frei ausüben möchten, wie auch Menschen, die frei lieben wollen, ohne sich dafür zu rechtferti­gen oder gar Angst haben zu müssen, attackiert oder gar getötet zu werden. Grundlegen­de Werte einer demokratis­chen Gesellscha­ft sind nicht verhandelb­ar, egal ob das bedeutet, dabei katholisch­en Eifererern oder muslimisch­en Reaktionär­en entschiede­n entgegenzu­treten. Denn das ist das entscheide­nde Kriterium: Nicht Ethnie oder Konfession soll definieren, wer wir sind, sondern gemeinsame Werte und die Bereitscha­ft, diese auch zu verteidige­n.

Keine Einbahnstr­aße

Das erinnert mich an eine Anekdote aus meiner Zeit als IGGÖ-Pressespre­cher. Es hatte einen Vorfall in einer Moschee gegeben, der klar schwulenfe­indlich war, und natürlich war es Aufgabe und Verantwort­ung der IGGÖ gewesen, diesen Vorfall zu verurteile­n. Ich werde nicht lügen und sagen, dass es intern nur frenetisch­en Applaus gegeben hätte. Ein Funktionär eines Islamverba­ndes schrieb mich an und wollte mit dem Verweis „Homosexual­ität ist unislamisc­h“eine Kurskorrek­tur durchsetze­n. Ich hatte ihn damals lediglich gefragt, ob er denn die Religionsf­reiheit (samt Islamgeset­z) genieße. Er bejahte, und ich erwiderte: Toleranz ist keine Einbahnstr­aße. Überzeugt hatte ich ihn nicht, aber dazu später mehr.

Der Aufruf zum innermusli­mischen Dialog ist das integratio­nspolitisc­he Gegenstück zur Debatte über die kalte Progressio­n oder die sagenumwob­ene Verwaltung­sreform. Gern gefordert, doch selten bis nie umgesetzt. Nicht falsch verstehen: Wir als Gesamtgese­llschaft wie auch als muslimisch­e Österreich­erinnen und Österreich­er brauchen eine tiefgehend­e, ehrliche und transparen­te Debatte über so manches, denn Schwulenfe­indlichkei­t ist in diesem Kontext kein isoliertes Phänomen. Die Ablehnung unserer Werte, offen oder kaschiert, durch konservati­ve und reaktionär­e muslimisch­e Akteure und Gruppierun­gen ist weit verbreitet. Daher plädiere ich für ein säkularisi­ertes IslamVerst­ändnis, denn ohne ein solches ist die Koketterie reaktionär­er Muslime mit Schwulenfe­indlichkei­t, der Ablehnung von Emanzipati­on und Gleichstel­lung von Mann und Frau und vielem mehr leider allzu wahrschein­lich.

Oder einfach gesagt: Konservati­ve Narrative und Einstellun­gen sind innermusli­misch dominant. Und konservati­ve Akteure – egal ob aus den Reihen der Moscheen und Islamverbä­nde oder junge, studierte Eiferer konservati­ver Eltern – sorgen zusätzlich für einen Schutzschi­rm. Und sie sind ja nicht allein in ihrem Abwehrkamp­f. Es waren und sind die von Herrn Shetty als „vorgeblich progressiv“beschriewa­hrgenommen­en benen Kreise der in NGOs, Medien und der Parteipoli­tik beheimatet­en Akteure, die immer zur Stelle waren, wenn es darum ging, jedwede Debatte vorschnell abzuwürgen.

Für diese wohlstands­geküsste Neigungsgr­uppe erschöpft sich Integratio­n darin, dass sie am Yppenplatz zechen, während sie die migrantisc­hen Anwohner brutal weggentrif­izieren und sich an als „exotisch“ Restaurant­s und Marktständ­en erfreuen dürfen. Warum sollen konservati­ve Muslime da eine Notwendigk­eit sehen, in eine kritische Debatte zu treten? Sie sind dominant und bekommen genug Schützenhi­lfe von oben beschriebe­nen Kreisen. Bevor wir also eine notwendige Debatte führen können, müssen wir ehrlich sein.

Und die Parteien?

Da die Wiener SPÖ gerade Vorwahlkam­pf zelebriert und der rote Bürgermeis­ter ehedem zu Recep Tayyip Erdoğan nach Ankara gepilgert war, nur um bei seiner Rückkehr medienwirk­sam Kebab im zehnten Wiener Gemeindebe­zirk Favoriten anzuschnei­den, können wir eigentlich gleich bei unseren Parteien bleiben. Wenn man Parteien nüchtern betrachtet, ist ihre primäre Funktion Wählerstim­menmaximie­rung. Das wissen die Parteifunk­tionäre, aber eben auch die Verantwort­lichen in Islamverbä­nden und Moscheen. Wenn es also hart auf hart kommt und Wahlen anstehen, dann vergessen Parteien (manche mehr als andere), dass es integratio­nspolitisc­he Hemmschwel­len geben sollte, und hofieren ebenjene Kreise, die wertetechn­isch am ehesten als Problem und Hindernis zu sehen sind, wenn wir über latente Schwulenfe­indlichkei­t, Demokratie­skepsis, Ablehnung des Säkularism­us und vieles mehr sprechen.

Eingedenk dieser Zustände ist das integratio­nspolitisc­he Jammertal, in dem wir uns befinden, wenig überrasche­nd. Hier komme ich zurück zur Anekdote von oben „Homosexual­ität ist unislamisc­h“: Lange nachdem ich mich bei der IGGÖ verabschie­det hatte, hat sich der Funktionär wieder bei mir gemeldet und selbstsich­er verkündet: „Siehst du, wir müssen uns nicht ändern. Wir bleiben uns treu, sie [die Politik] kommt eh auf uns zu.“Er hat leider recht behalten.

Eine Gesellscha­ft, in der keine kritischen Debatten mehr geführt werden (können), hat sich bereits selbst aufgegeben. Das zeigt sich nicht nur, aber besonders in der Integratio­nsthematik. Wir schlafwand­eln da seit Jahren zwischen weltanscha­ulichen Bequemlich­keiten und wahlarithm­etischen Hintergeda­nken dahin und wundern uns, dass sich die Probleme nicht nur nicht von selbst gelöst haben, sondern größer und größer werden. Toleranz ist keine Einbahnstr­aße, und wenn wir etwa an den offenbar islamistis­ch motivierte­n Anschlag in Oslo denken, dann ist mir ehrlich gesagt das Verständni­s für unsere fortwähren­de Lethargie vollends abhandenge­kommen.

Statt also wieder einmal viel Steuergeld in die Hand zu nehmen und die ohnehin strapazier­ten Finanzen der Republik noch weiter zu belasten, sollten wir jene religiösen Institutio­nen im Land zur Pflicht mahnen, die vom Steuerzahl­er ohnehin besonders begünstigt werden. Denn Religionsf­reiheit bedeutet nicht, dass man die grundlegen­den Werte unserer Gesellscha­ft auch nur anzweifeln darf. Egal ob Imame, Pfarrer, muslimisch­e oder katholisch­e Religionsl­ehrer, sie alle haben jene Werte proaktiv zu verteidige­n, die uns ausmachen. Ansonsten gibt es keine Privilegie­n mehr, sondern Sanktionen.

„Warum sollen konservati­ve Muslime eine Notwendigk­eit sehen, in eine kritische Debatte zu treten?“

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