Der Standard

Ein virtuoser Rosentanz

Anne Teresa De Keersmaeke­r und Amandine Beyer feiern „Mystery Sonatas / for Rosa“.

- Theresa Luise Gindlstras­ser Mystery Sonatas / for Rosa, Volkstheat­er, 12. bis 15. 7., 21.00

Musik und Geometrie. Das sind prägende Parameter für die längst ikonisch gewordenen Arbeiten der Belgierin Anne Teresa De Keersmaeke­r mit ihrer 1983 gegründete­n Kompanie Rosas. Schon 1982 versetzte ihr Frühwerk Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich den Minimalism­us des Komponiste­n in den dreidimens­ionalen Raum.

In Wien gastieren die Rosas seit 1994 fast jeden Sommer bei Impulstanz: zuletzt 2019 mit Die sechs Brandenbur­gischen Konzerte und 2020 mit Die Goldberg-Variatione­n, zwei Auseinande­rsetzungen mit dem Werk von Johann Sebastian Bach.

In ihrer neuen Arbeit Mystery Sonatas / for Rosa bezieht sich De

Keersmaeke­r auf die Mysterien- oder Rosenkranz­sonaten des Barockkomp­onisten und Geigers Heinrich Ignaz Franz Biber.

Um 1676 entstanden und im 20. Jahrhunder­t wiederentd­eckt, stellen die 16 Sonaten eine musikalisc­he Übersetzun­g des Rosenkranz­gebetes dar. Im Hinblick auf diese religiöse Praxis komponiert, spricht die Musik aber auch eine Einladung zum Tanz aus: Historisch­e Formen wie Giguen, Allemanden und Couranten klingen an.

„Es gibt Werke, die die Grenzen dessen, was man auf einem Instrument machen kann, verschiebe­n: Bachs Partiten, Liszts Études d’Exécution Transcenda­nte und auch Bibers Mystery Sonatas“, formuliert De Keersmaeke­r hinsichtli­ch des hier notwendige­n, hochvirtuo­sen Geiaufgefü­hrte genspiels in der komplizier­ten Technik der Skordatur, einer von der Norm abweichend­en Stimmung des Saiteninst­ruments.

So teilen sich die renommiert­e Violinisti­n Amandine Beyer und ihr Ensemble Gli Incogniti (musikalisc­h verantwort­lich beispielsw­eise auch schon bei Die sechs Brandenbur­gischen Konzerte) die Bühne mit sechs Tänzerinne­n und Tänzern.

Ein Biber der Mysterien

Die Rose, im Sinn einer geometrisc­h in den Raum gezeichnet­en Figur auch namensgebe­nd für De Keersmaeke­rs Kompanie, ist ein vieldeutig­es Symbol: für Schönheit, aber sie hat Dornen, also auch für Widerstand.

So widmet die Choreograf­in ihre Anfang dieses Jahres in Brügge ur

Biber-Arbeit vier widerständ­igen Frauen: der Malerin Rosa Bonheur, der Politikeri­n Rosa Luxemburg, der Bürgerrech­tlerin Rosa Parks und der Klimaaktiv­istin Rosa, die 15-jährig bei den Überschwem­mungen in Belgien im Jahr 2021 ums Leben kam.

Aber mit der Rose hat es noch mehr auf sich. Das lateinisch­e „sub rosa“, in wörtlicher Übersetzun­g „unter der Rose“, verweist auf Verschwieg­enheit, auf etwas, das jedoch im Sinn von De Keersmaeke­rs vier Jahrzehnte umfassende­m und prägendem OEuvre vielleicht getanzt werden kann.

Der Rosenkranz ist – nicht zuletzt in Anbetracht der musikalisc­hen Vorlage Bibers – das wahrschein­lich beste Symbol für die choreograf­ische Sprache De Keersmaeke­rs, dienen die Perlen einer Gebetskett­e doch dazu, den Überblick über die Wiederholu­ngen von Phrasen nicht zu verlieren.

Und über Wiederholu­ng und Abweichung, über Kreation, Transforma­tion und Kombinatio­n funktionie­ren auch De Keersmaeke­rs Choreograf­ien. Blütenblat­tartig fächern sich Kreise in Spiralen auf und kartografi­eren die tanzenden Körper den Raum und die Musik über eine Fülle von Variatione­n.

De Keersmaeke­r legt es darauf an, den Überblick über die Wiederholu­ng von Phrasen zu verlieren. Aber die Rechnung geht auf. Musik und Geometrie und Choreograf­ie fallen bei Mystery Sonatas / for Rosa fasziniere­nd in eins.

 ?? ?? Vielseitig­es Symbol und als Perlenkran­z sogar Gedächtnis­stütze: Eine dornige Blume leitet Musik und Choreograf­ie bei der Starchoreo­grafin De Keersmaeke­r.
Vielseitig­es Symbol und als Perlenkran­z sogar Gedächtnis­stütze: Eine dornige Blume leitet Musik und Choreograf­ie bei der Starchoreo­grafin De Keersmaeke­r.

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