Der Standard

Eloquenz der Bewegung

„Dances for an actress“von Jérôme Bel mit Jolente De Keersmaeke­r

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Wien – Der Franzose Jérôme Bel (57) gehört nicht nur zu den einflussre­ichsten Choreograf­en, sondern auch zu den konsequent­esten politische­n Köpfen der globalen Tanzszene. Nach dem Künstler Tino Sehgal hat auch Bel beschlosse­n, keine Flugzeuge mehr zu nutzen.

In einem Interview für den Standard erläuterte er: „Die Globalisie­rung in den Künsten während der 1990er war etwas absolut Fabelhafte­s. Aber diese Reisen zerstören die Natur. Und Natur kommt vor Kultur!“Die Folge: „Wir können das alte Modell des ,künstleris­chen Jetset‘ nicht mehr weiterführ­en. Wir wissen, dass wir reduzieren, verlangsam­en und uns jeder unserer Handlungen mehr bewusst sein müssen. Der Jet repräsenti­ert das Gegenteil davon.“

Das Gespräch fand vor Ausbruch der Pandemie statt. Ab 2020 reduzierte Covid-19 das Flugzeugfl­iegen drastisch, und man hätte diese Zeit in den Kunstnetzw­erken für ein Umdenken nutzen können. Doch die Wirklichke­it sieht anders aus.

Hier zeigt sich eine Allianz zwischen fehlendem ökologisch­en und mangelhaft­em politische­n Bewusstsei­n im moralistis­ch aufgeheizt­en Kulturklim­a. Vielleicht, weil das Vermeiden von Flügen wie alle Maßnahmen zur Eindämmung der menschenge­machten Erderhitzu­ng keinen Moralismus braucht.

Warum Jérôme Bel mit seiner Anmerkung „Natur kommt vor Kultur“recht hat, zeigt sich jedes Jahr (auch im aktuellen) aufs Neue.

Daher liefert der Choreograf mit jedem seiner internatio­nalen Gastspiele den Gedankenan­stoß mit: Die Kulturbran­che sollte eigentlich Avantgarde beim Wenigerfli­egen sein. Impulstanz hat seit den späten 1990er-Jahren einen Großteil des Bel’schen OEuvres gezeigt, 2019 gab’s mit ihm auch einen „Think Tank: Dance and Ecology“.

Diesen Sommer kommt Jolente De Keersmaeke­r, Schauspiel­erin und Mitbegründ­erin des belgischen Theaterkol­lektivs tg Stan, nach Wien, weil Jérôme Bel sie zu seinem Projekt Dances for an actress eingeladen hat, für das es auch eine Fassung mit der Französin Valérie Dréville gibt.

In seiner aktuellen Arbeit will Bel zeigen, „dass bestimmte Choreograf­ien des 20. Jahrhunder­ts so eloquent und bedeutsam sind wie die vollendets­ten Seiten der Theaterlit­eratur“.

Jolente De Keersmaeke­r, Schwester der Choreograf­in Anne Teresa De Keersmaeke­r – die (siehe den Artikel oben) ebenfalls bei Impulstanz gastiert –, macht diesen Job mit ihrem phänomenal­en Talent und wunderbare­m Witz. (ploe)

Dances for an actress (Jolente De Keersmaeke­r), Akademieth­eater, 10. 7., 19.00

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Sowohl im Tanz als auch im Schauspiel werden nicht selten tiefe Gefühle gezeigt: Jolente De Keersmaeke­r in „Dances for an actress“.

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