Aufbegehren gegen den Tod
Die große Französin Mathilde Monnier ruft mit sechs Tänzerinnen die Lockdowns in Erinnerung.
Der Totentanz ist nicht totzukriegen. Man kennt ihn als kunsthistorisches Motiv seit dem Mittelalter, trifft noch immer in zahlreichen Kirchen und Museen auf die Darstellungen von Königen in Zobel und Juwelen, prunkvoll ausstaffierten Edelfrauen, reichen Kaufleuten, armem Dienstvolk und bitterarmen Hausierern, welche allesamt einen Reigen mit Skeletten und Sensenmännern bilden, die den Tod verbildlichen.
In dieser nur auf den ersten Blick leicht zu erlernenden Choreografie sind wir alle gleich, so die Botschaft. Und die ist so zeitlos, dass man das Motiv des Totentanzes noch heute sehr gut einsetzen kann, sei es im Deutschrap-Segment oder in mäßigen Fernsehkrimis. Die allegorische Verbindung von Tanz und Tod ist einfach zu gut, zu eindrucksvoll die Vorstellung, von Gevatter Tod, sei er nun ein guter oder ein schlechter Tänzer, ganz wider Willen herumgeschleudert zu werden.
Auch für die derzeitige Lage Europas und der Welt, gebeutelt zwischen Klimawandel, Krieg und Inflation, bietet sich das Bild des Danse macabre an. Die neue Arbeit Records der Starchoreografin Mathilde Monnier entstand allerdings bereits zu Beginn der Pandemie – die ihrerseits freilich auch eine Art Totentanz ist. Im Festival ist das Stück nun als österreichische Erstaufführung zu sehen.
Ausgangspunkt war die 1978 in Stockholm uraufgeführte Oper Le Grand Macabre des österreichischeher ungarischen Komponisten György Ligeti. Monnier, deren Karriere bereits in den 1980er-Jahren Fahrt aufnahm und die regelmäßiger Gast in Wien ist, arbeitet in dem Stück ausschließlich mit Frauen.
Komische Figuren tanzen
Zu Beginn noch wie betäubt, dann mit zunehmendem Elan und freien Oberkörpern zitieren die in bunte Turnschuhe und lässige blaue Hosen gekleideten Performerinnen (Sophie Demeyer, Lucia Garcia Pulles, Lisanne Goodhue, I-Fang Lin, Carolina Passos Sousa, Ashley Wright) Danses macabres mit all ihren ambivalenten Assoziationen.
„Diese grotesken Tänze beschwören komische Figuren, die sich über den Tod lustig machen, ebenso herauf wie zugleich auch tragische Gestalten“, kommentiert Mathilde Monnier.
Ihr geht es in dieser Arbeit auch um die Erinnerung, das Gedächtnis. Das titelgebende Wort Record könnte eine Schallplatte bezeichnen, aber auch ein Protokoll, eine Aufzeichnung. Alles Dinge und Praktiken, die ephemere, vergängliche Erscheinungen konservieren, dem Lauf der Zeit entziehen und lebendig halten sollen, wenn auch letztlich grausam vergeblich (selbst Schallplatten haben nicht das ewige Leben).
Es geht also – im übertragenen Sinn – um ein Aufbegehren gegen die Macht des Todes. Musik, eine Kunst des Augenblicks, lässt sich auf diese Weise festhalten (etwa Ligetis Oper), aber auch Erinnerungen an Ereignisse, an gute wie schlechte Emotionen und Zustände. So ist Monnier der Überzeugung, dass das Gefühl, das viele Menschen hatten, als sie während der Pandemie im Lockdown eingesperrt waren, nicht in Vergessenheit geraten dürfe.
In Frankreich wurden Lockdowns teilweise wesentlich härter durchgesetzt als hierzulande. Und die Erinnerung daran wird viele wohl noch lange verfolgen. Wie leben in einem (zwangs-)beschränkten, fragmentierten Raum, fragen die sechs Performerinnen.
Sie arbeiten sich an und mit der weißen Wand ab, rennen gegen Mauern und fallen langsam einem gewissen Irrsinn anheim. Bei den Erinnerungen an Lockdown-Gefühle, die hier aufkommen, kann man es ihnen nicht verdenken.
Records, Akademietheater, 13. + 15. 7.,