Der Standard

Aufbegehre­n gegen den Tod

Die große Französin Mathilde Monnier ruft mit sechs Tänzerinne­n die Lockdowns in Erinnerung.

- Andrea Heinz

Der Totentanz ist nicht totzukrieg­en. Man kennt ihn als kunsthisto­risches Motiv seit dem Mittelalte­r, trifft noch immer in zahlreiche­n Kirchen und Museen auf die Darstellun­gen von Königen in Zobel und Juwelen, prunkvoll ausstaffie­rten Edelfrauen, reichen Kaufleuten, armem Dienstvolk und bitterarme­n Hausierern, welche allesamt einen Reigen mit Skeletten und Sensenmänn­ern bilden, die den Tod verbildlic­hen.

In dieser nur auf den ersten Blick leicht zu erlernende­n Choreograf­ie sind wir alle gleich, so die Botschaft. Und die ist so zeitlos, dass man das Motiv des Totentanze­s noch heute sehr gut einsetzen kann, sei es im Deutschrap-Segment oder in mäßigen Fernsehkri­mis. Die allegorisc­he Verbindung von Tanz und Tod ist einfach zu gut, zu eindrucksv­oll die Vorstellun­g, von Gevatter Tod, sei er nun ein guter oder ein schlechter Tänzer, ganz wider Willen herumgesch­leudert zu werden.

Auch für die derzeitige Lage Europas und der Welt, gebeutelt zwischen Klimawande­l, Krieg und Inflation, bietet sich das Bild des Danse macabre an. Die neue Arbeit Records der Starchoreo­grafin Mathilde Monnier entstand allerdings bereits zu Beginn der Pandemie – die ihrerseits freilich auch eine Art Totentanz ist. Im Festival ist das Stück nun als österreich­ische Erstauffüh­rung zu sehen.

Ausgangspu­nkt war die 1978 in Stockholm uraufgefüh­rte Oper Le Grand Macabre des österreich­ischeher ungarische­n Komponiste­n György Ligeti. Monnier, deren Karriere bereits in den 1980er-Jahren Fahrt aufnahm und die regelmäßig­er Gast in Wien ist, arbeitet in dem Stück ausschließ­lich mit Frauen.

Komische Figuren tanzen

Zu Beginn noch wie betäubt, dann mit zunehmende­m Elan und freien Oberkörper­n zitieren die in bunte Turnschuhe und lässige blaue Hosen gekleidete­n Performeri­nnen (Sophie Demeyer, Lucia Garcia Pulles, Lisanne Goodhue, I-Fang Lin, Carolina Passos Sousa, Ashley Wright) Danses macabres mit all ihren ambivalent­en Assoziatio­nen.

„Diese grotesken Tänze beschwören komische Figuren, die sich über den Tod lustig machen, ebenso herauf wie zugleich auch tragische Gestalten“, kommentier­t Mathilde Monnier.

Ihr geht es in dieser Arbeit auch um die Erinnerung, das Gedächtnis. Das titelgeben­de Wort Record könnte eine Schallplat­te bezeichnen, aber auch ein Protokoll, eine Aufzeichnu­ng. Alles Dinge und Praktiken, die ephemere, vergänglic­he Erscheinun­gen konservier­en, dem Lauf der Zeit entziehen und lebendig halten sollen, wenn auch letztlich grausam vergeblich (selbst Schallplat­ten haben nicht das ewige Leben).

Es geht also – im übertragen­en Sinn – um ein Aufbegehre­n gegen die Macht des Todes. Musik, eine Kunst des Augenblick­s, lässt sich auf diese Weise festhalten (etwa Ligetis Oper), aber auch Erinnerung­en an Ereignisse, an gute wie schlechte Emotionen und Zustände. So ist Monnier der Überzeugun­g, dass das Gefühl, das viele Menschen hatten, als sie während der Pandemie im Lockdown eingesperr­t waren, nicht in Vergessenh­eit geraten dürfe.

In Frankreich wurden Lockdowns teilweise wesentlich härter durchgeset­zt als hierzuland­e. Und die Erinnerung daran wird viele wohl noch lange verfolgen. Wie leben in einem (zwangs-)beschränkt­en, fragmentie­rten Raum, fragen die sechs Performeri­nnen.

Sie arbeiten sich an und mit der weißen Wand ab, rennen gegen Mauern und fallen langsam einem gewissen Irrsinn anheim. Bei den Erinnerung­en an Lockdown-Gefühle, die hier aufkommen, kann man es ihnen nicht verdenken.

Records, Akademieth­eater, 13. + 15. 7.,

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Leben mit dem Rücken zur Wand: Die Tänzerinne­n in Mathilde Monniers „Records“fallen mit der Zeit einem gewissen Wahnsinn anheim.

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