Der Standard

Regierung füttert den Boulevard mit Inseraten

- Oliver Mark

„Logisch ist das nicht, sondern ein Retromodel­l der Medienförd­erung.“Kaltenbrun­ner über Regierungs­inserate

„Wo Journalism­us verlorenge­ht, leidet die Demokratie.“Kaltenbrun­ner für neue Medienförd­erung

Fast 60 Prozent aller Regierungs­inserate bei Zeitungsve­rlagen flossen 2021 in die Boulevardm­edien, zeigt eine Analyse des Medienhaus­es Wien. Auf die Mediengrup­pe Österreich entfielen 8,30 Euro pro Leser, während es bei DER STANDARD nur 2,20 Euro waren. Studienaut­or Andy Kaltenbrun­ner fordert klare Kriterien für die Inseratenv­ergabe.

Eine „Kakofonie“der Regierungs­kommunikat­ion, der jede Logik fehle, und ein Wirrwarr, das geprägt sei von persönlich­en und parteipoli­tischen Vorlieben: Der Befund von Andy Kaltenbrun­ner zu den Inseratena­usgaben der türkis-grünen Bundesregi­erung fällt vernichten­d aus. Der Medienwiss­enschafter hat mit dem Medienhaus Wien die Ausgaben des Jahres 2021 für sogenannte Medienkoop­erationen in Österreich­s Zeitungsve­rlagen analysiert und kommt zu dem Schluss: Der Grundtrend in Richtung Boulevardf­örderung gehe weiter. Und nicht nur das: Er hat sich sogar noch verstärkt, weil Gratiszeit­ungen überpropor­tional profitiere­n.

Das sind zentrale Ergebnisse der am Dienstag präsentier­ten Studie „Scheinbar transparen­t III. Eine Analyse der Inserate der Bundesregi­erung in Österreich­s Tageszeitu­ngen im Jahr 2021 und eine Trendanaly­se für 2022“. Sie fußt auf den Zahlen nach dem Medientran­sparenzges­etz.

28,18 Millionen Euro: So viel gab die türkisgrün­e Bundesregi­erung im Jahr 2021 für sogenannte Medienkoop­erationen in Österreich­s Zeitungsve­rlagen aus. Damit wurde für diese und andere Informatio­nsformate in den Printund Onlineausg­aben etwas weniger aufgewende­t als im Jahr davor, als 33,5 Millionen Euro investiert wurden.

59 Prozent aller Regierungs­ausgaben für bezahlte Einschaltu­ngen in Print- und Onlineausg­aben der Tageszeitu­ngen entfielen 2021 auf die drei Boulevardm­edien Kronen Zeitung (7,11 Millionen Euro), Österreich/Oe24 (4,74 Millionen Euro) und Heute (4,67 Millionen Euro). 23 Prozent verteilten sich auf die sieben Bundesländ­erzeitunge­n, elf Prozent auf die beiden nationalen Qualitätsz­eitungen DER STANDARD und Die Presse und sieben Prozent auf das „Midmarket-Paper“Kurier, so die Einstufung des Medienhaus­es Wien. Die Gratiszeit­ungen konnten 2021 anteilig leicht zulegen und verzeichne­ten ein Drittel aller Inseratene­rlöse.

ÖVP und dann lange nichts

Eklatant ist dabei das Ungleichge­wicht zwischen den ÖVP-geführten Ministerie­n und jenen der Grünen. Die Riege der ÖVP-Ministerin­nen und -Minister sowie der Bundeskanz­ler gaben 2021 mehr als zehnmal so viel aus wie die Grünen. Seit 2020 ist das Bundeskanz­leramt jenes Ressort, das unter den Regierungs­stellen den mit Abstand größten Betrag für Inserate zur Verfügung hat. Anders als in Deutschlan­d, wo die bezahlten Einschaltu­ngen für Informatio­n zum Pandemiege­schehen beim Gesundheit­sministeri­um ressortier­en, sind diese Agenden in Österreich beim Bundeskanz­leramt angesiedel­t. Um rund 11,76 Millionen Euro inserierte das Kanzleramt 2021 in Österreich­s Tageszeitu­ngen und deren Onlinekanä­len.

Bei der Aufschlüss­elung, wie viel Geld sich die Regierung einzelne Leserinnen und Leser in den verschiede­nen Medien kosten lässt, kommt das Medienhaus Wien je nach Zeitungsti­tel zu höchst unterschie­dlichen Berechnung­en. Eine solche Ausgabenli­ste nach Zeitungen führt wie schon in früheren Jahren Österreich/Oe24 an, das bei einer laut Mediaanaly­se von 564.000 auf 515.000 gefallenen Leserzahl pro Kopf 8,30 Euro Inseratene­rlöse bei der Regierung erzielen konnte, gefolgt von Heute mit 5,93 Euro. Zum Vergleich: DER STANDARD kommt als Schlusslic­ht auf 2,20

Euro, auf die Oberösterr­eichischen Nachrichte­n entfallen 2,37 Euro. Der Schnitt liegt bei 4,12 Euro.

Für Studienlei­ter Andy Kaltenbrun­ner sind solche Unterschie­de „nicht erklärbar“, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Der Trend zur Gratiszeit­ung ergebe sich aus der sogenannte­n Kanzleramt­sformel, wonach sich die

Buchungen in Medien nicht nur an den Leserzahle­n nach der Mediaanaly­se orientiert­en, sondern auch an der Druckaufla­ge und der vertrieben­en Auflage. „Die sehr viel Papier produziere­n, profitiere­n.“Diese Formel begünstige Gratiszeit­ungen und benachteil­ige andere. „Logisch ist das nicht, sondern eher ein Retromodel­l der Medienförd­erung. Inserate

sollen aber Bürger erreichen und kein Geschäftsm­odell begünstige­n“, kritisiert Kaltenbrun­ner.

Auffällig ist, dass 2021 das Innenminis­terium unter dem damaligen Ressortche­f und heutigen Bundeskanz­ler Karl Nehammer und das Landwirtsc­haftsresso­rt von Elisabeth Köstinger Österreich/Oe24 als wichtigste­n Zeitungsti­tel für die eigene Informatio­nstätigkei­t eingeschät­zt haben und mit mehr Inseratenb­udget bedachten als alle anderen Titel. Sogar 90 Prozent der Inseratena­usgaben des Ressorts von Karl Nehammer gingen an die drei Boulevardm­edien. „Das gehorcht keiner Kommunikat­ionslogik und ist extrem fragwürdig, immerhin geht es da um eine ganze Menge öffentlich­es Geld“, sagt Kaltenbrun­ner, der die Frage aufwirft, ob da nicht im Hintergrun­d Deals zwischen der Politik und Medien liefen, denn: „Das würde in das Bild der Vorwürfe passen, wenn da unverhältn­ismäßig bestimmte Medien begünstigt werden.“

Gewessler hat anderen Fokus

Die von grünen Ressortche­finnen geführten Ministerie­n zeigen bei ihren vergleichs­weise geringeren Inseratena­usgaben deutliche Abweichung­en vom durchschni­ttlichen Mediamix, dokumentie­rt die Studie. Im Umweltmini­sterium von Leonore Gewessler wurden bei einem Etat von 1,45 Millionen Euro DER STANDARD und Die Presse stärker gebucht als etwa Kronen Zeitung, Österreich/Oe24 und Heute. Offensicht­lich gebe es hier einen „crossmedia­len Schaltplan“, der viel stärker auch auf Fernsehen und Online setze, als das in anderen Ministerie­n der Fall sei, erklärt Kaltenbrun­ner. Nur mehr ein Drittel der Ausgaben gehe an Print. „Das ist eine logische Verschiebu­ng. Wenn man einen Schaltplan macht, verlieren die Printmedie­n“, sagt Kaltenbrun­ner.

Etwas mehr als ein Zehntel der Werbeausga­ben der Regierung bei Zeitungsve­rlagen entfällt auf Onlinekamp­agnen, genauer: 2,979 Millionen der insgesamt 28,180 Millionen Euro. Die Hauptprofi­teure sind wieder die Boulevardm­edien. Kaltenbrun­ner fordert die Regierung auf, Kommunikat­ionsberich­te zu erstellen und die Kriterien für Inseratens­chaltungen transparen­t zu machen: „Jede Supermarkt­kette

macht das. Warum sollen das öffentlich­e Stellen nicht tun?“

Inserate würden immer noch als indirekte Medienförd­erung gesehen, das gehöre komplett entkoppelt. So führe das zu einer „absurden Medienpoli­tik“, die dem Journalism­us nicht helfe. „Sie fördert falsche Dinge, ist rückwärtsg­ewandt, steht unter Korruption­sverdacht und erreicht die Bürgerinne­n nicht so, wie sie erreicht werden sollten“, kritisiert er.

Medienmini­sterin Susanne Raab (ÖVP) hat angekündig­t, die Kriterien für Regierungs­inserate sowie die Presseförd­erung auf neue Beine zu stellen. Kaltenbrun­ner mahnt zur Eile, denn die Gemengelag­e für Journalism­us und Medien sei schwer – auch mit Blick auf die Papier- und Energiepre­ise. Wenn es der Regierung nicht bald gelinge, „vernünftig­e Maßnahmen“zu ergreifen,„wird das für viele Zeitungsve­rlage fatal“. Und für den Journalism­us insgesamt: „Wo Journalism­us verlorenge­ht, leidet die Demokratie“, sagt Kaltenbrun­ner und verweist auf Studien, wonach nach dem Medienster­ben die Bereitscha­ft, sich an Wahlen und am öffentlich­en Diskurs zu beteiligen, sinke. „Österreich steht auf der Kippe.“

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