Regierung füttert den Boulevard mit Inseraten
„Logisch ist das nicht, sondern ein Retromodell der Medienförderung.“Kaltenbrunner über Regierungsinserate
„Wo Journalismus verlorengeht, leidet die Demokratie.“Kaltenbrunner für neue Medienförderung
Fast 60 Prozent aller Regierungsinserate bei Zeitungsverlagen flossen 2021 in die Boulevardmedien, zeigt eine Analyse des Medienhauses Wien. Auf die Mediengruppe Österreich entfielen 8,30 Euro pro Leser, während es bei DER STANDARD nur 2,20 Euro waren. Studienautor Andy Kaltenbrunner fordert klare Kriterien für die Inseratenvergabe.
Eine „Kakofonie“der Regierungskommunikation, der jede Logik fehle, und ein Wirrwarr, das geprägt sei von persönlichen und parteipolitischen Vorlieben: Der Befund von Andy Kaltenbrunner zu den Inseratenausgaben der türkis-grünen Bundesregierung fällt vernichtend aus. Der Medienwissenschafter hat mit dem Medienhaus Wien die Ausgaben des Jahres 2021 für sogenannte Medienkooperationen in Österreichs Zeitungsverlagen analysiert und kommt zu dem Schluss: Der Grundtrend in Richtung Boulevardförderung gehe weiter. Und nicht nur das: Er hat sich sogar noch verstärkt, weil Gratiszeitungen überproportional profitieren.
Das sind zentrale Ergebnisse der am Dienstag präsentierten Studie „Scheinbar transparent III. Eine Analyse der Inserate der Bundesregierung in Österreichs Tageszeitungen im Jahr 2021 und eine Trendanalyse für 2022“. Sie fußt auf den Zahlen nach dem Medientransparenzgesetz.
28,18 Millionen Euro: So viel gab die türkisgrüne Bundesregierung im Jahr 2021 für sogenannte Medienkooperationen in Österreichs Zeitungsverlagen aus. Damit wurde für diese und andere Informationsformate in den Printund Onlineausgaben etwas weniger aufgewendet als im Jahr davor, als 33,5 Millionen Euro investiert wurden.
59 Prozent aller Regierungsausgaben für bezahlte Einschaltungen in Print- und Onlineausgaben der Tageszeitungen entfielen 2021 auf die drei Boulevardmedien Kronen Zeitung (7,11 Millionen Euro), Österreich/Oe24 (4,74 Millionen Euro) und Heute (4,67 Millionen Euro). 23 Prozent verteilten sich auf die sieben Bundesländerzeitungen, elf Prozent auf die beiden nationalen Qualitätszeitungen DER STANDARD und Die Presse und sieben Prozent auf das „Midmarket-Paper“Kurier, so die Einstufung des Medienhauses Wien. Die Gratiszeitungen konnten 2021 anteilig leicht zulegen und verzeichneten ein Drittel aller Inseratenerlöse.
ÖVP und dann lange nichts
Eklatant ist dabei das Ungleichgewicht zwischen den ÖVP-geführten Ministerien und jenen der Grünen. Die Riege der ÖVP-Ministerinnen und -Minister sowie der Bundeskanzler gaben 2021 mehr als zehnmal so viel aus wie die Grünen. Seit 2020 ist das Bundeskanzleramt jenes Ressort, das unter den Regierungsstellen den mit Abstand größten Betrag für Inserate zur Verfügung hat. Anders als in Deutschland, wo die bezahlten Einschaltungen für Information zum Pandemiegeschehen beim Gesundheitsministerium ressortieren, sind diese Agenden in Österreich beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Um rund 11,76 Millionen Euro inserierte das Kanzleramt 2021 in Österreichs Tageszeitungen und deren Onlinekanälen.
Bei der Aufschlüsselung, wie viel Geld sich die Regierung einzelne Leserinnen und Leser in den verschiedenen Medien kosten lässt, kommt das Medienhaus Wien je nach Zeitungstitel zu höchst unterschiedlichen Berechnungen. Eine solche Ausgabenliste nach Zeitungen führt wie schon in früheren Jahren Österreich/Oe24 an, das bei einer laut Mediaanalyse von 564.000 auf 515.000 gefallenen Leserzahl pro Kopf 8,30 Euro Inseratenerlöse bei der Regierung erzielen konnte, gefolgt von Heute mit 5,93 Euro. Zum Vergleich: DER STANDARD kommt als Schlusslicht auf 2,20
Euro, auf die Oberösterreichischen Nachrichten entfallen 2,37 Euro. Der Schnitt liegt bei 4,12 Euro.
Für Studienleiter Andy Kaltenbrunner sind solche Unterschiede „nicht erklärbar“, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Der Trend zur Gratiszeitung ergebe sich aus der sogenannten Kanzleramtsformel, wonach sich die
Buchungen in Medien nicht nur an den Leserzahlen nach der Mediaanalyse orientierten, sondern auch an der Druckauflage und der vertriebenen Auflage. „Die sehr viel Papier produzieren, profitieren.“Diese Formel begünstige Gratiszeitungen und benachteilige andere. „Logisch ist das nicht, sondern eher ein Retromodell der Medienförderung. Inserate
sollen aber Bürger erreichen und kein Geschäftsmodell begünstigen“, kritisiert Kaltenbrunner.
Auffällig ist, dass 2021 das Innenministerium unter dem damaligen Ressortchef und heutigen Bundeskanzler Karl Nehammer und das Landwirtschaftsressort von Elisabeth Köstinger Österreich/Oe24 als wichtigsten Zeitungstitel für die eigene Informationstätigkeit eingeschätzt haben und mit mehr Inseratenbudget bedachten als alle anderen Titel. Sogar 90 Prozent der Inseratenausgaben des Ressorts von Karl Nehammer gingen an die drei Boulevardmedien. „Das gehorcht keiner Kommunikationslogik und ist extrem fragwürdig, immerhin geht es da um eine ganze Menge öffentliches Geld“, sagt Kaltenbrunner, der die Frage aufwirft, ob da nicht im Hintergrund Deals zwischen der Politik und Medien liefen, denn: „Das würde in das Bild der Vorwürfe passen, wenn da unverhältnismäßig bestimmte Medien begünstigt werden.“
Gewessler hat anderen Fokus
Die von grünen Ressortchefinnen geführten Ministerien zeigen bei ihren vergleichsweise geringeren Inseratenausgaben deutliche Abweichungen vom durchschnittlichen Mediamix, dokumentiert die Studie. Im Umweltministerium von Leonore Gewessler wurden bei einem Etat von 1,45 Millionen Euro DER STANDARD und Die Presse stärker gebucht als etwa Kronen Zeitung, Österreich/Oe24 und Heute. Offensichtlich gebe es hier einen „crossmedialen Schaltplan“, der viel stärker auch auf Fernsehen und Online setze, als das in anderen Ministerien der Fall sei, erklärt Kaltenbrunner. Nur mehr ein Drittel der Ausgaben gehe an Print. „Das ist eine logische Verschiebung. Wenn man einen Schaltplan macht, verlieren die Printmedien“, sagt Kaltenbrunner.
Etwas mehr als ein Zehntel der Werbeausgaben der Regierung bei Zeitungsverlagen entfällt auf Onlinekampagnen, genauer: 2,979 Millionen der insgesamt 28,180 Millionen Euro. Die Hauptprofiteure sind wieder die Boulevardmedien. Kaltenbrunner fordert die Regierung auf, Kommunikationsberichte zu erstellen und die Kriterien für Inseratenschaltungen transparent zu machen: „Jede Supermarktkette
macht das. Warum sollen das öffentliche Stellen nicht tun?“
Inserate würden immer noch als indirekte Medienförderung gesehen, das gehöre komplett entkoppelt. So führe das zu einer „absurden Medienpolitik“, die dem Journalismus nicht helfe. „Sie fördert falsche Dinge, ist rückwärtsgewandt, steht unter Korruptionsverdacht und erreicht die Bürgerinnen nicht so, wie sie erreicht werden sollten“, kritisiert er.
Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat angekündigt, die Kriterien für Regierungsinserate sowie die Presseförderung auf neue Beine zu stellen. Kaltenbrunner mahnt zur Eile, denn die Gemengelage für Journalismus und Medien sei schwer – auch mit Blick auf die Papier- und Energiepreise. Wenn es der Regierung nicht bald gelinge, „vernünftige Maßnahmen“zu ergreifen,„wird das für viele Zeitungsverlage fatal“. Und für den Journalismus insgesamt: „Wo Journalismus verlorengeht, leidet die Demokratie“, sagt Kaltenbrunner und verweist auf Studien, wonach nach dem Mediensterben die Bereitschaft, sich an Wahlen und am öffentlichen Diskurs zu beteiligen, sinke. „Österreich steht auf der Kippe.“