Der Standard

Bald wieder Kohledorf

Das Kohlekraft­werk in Mellach in der Steiermark hat die Menschen dort anfangs geärgert, dann war es ihnen egal. Nun soll es wieder angeworfen werden, falls Russland nicht genug Gas liefert. Was denkt Mellach darüber?

- REPORTAGE: Sebastian Fellner

Wer auch immer vor den zwei Kraftwerke­n in Mellach steht, erkennt sofort, welches davon stillgeleg­t ist und welches noch läuft: Das eine glänzt silbrig, ist modern gebaut, ein schnörkell­oser Klotz, der seit 2011 hier werkt. Ein Knattern beweist den aufrechten Betrieb. Bis heute wird hier Gas verbrannt und über Turbinen in Strom umgewandel­t, zum Teil wird mit der daraus entstehend­en Wärme das nahe Graz mit Fernwärme versorgt.

Der zweite Meiler steht direkt daneben und wirkt wie die Kulisse aus einem Apokalypse­film: braune und rote Module mit abgerundet­en Kanten, als hätte ein Kind ein Modell aus Schachteln und Klopapierr­ollen gebastelt. Ein aus der Zeit gefallener Bau aus den 1980erJahr­en. Ein Relikt aus einer Zeit, in der man noch alles verbrannte, was man in der Erde fand, weil sich niemand um die Auswirkung­en auf das Klima kümmerte.

Jetzt soll dort wieder Steinkohle verbrannt werden. Ökologisch ist das eine Katastroph­e. Ausgerechn­et die grüne Umweltmini­sterin Leonore Gewessler hat diesen Schritt beschlosse­n: als Notfallmaß­nahme, falls Gaslieferu­ngen aus dem Osten ausbleiben. Der Krieg in der Ukraine holt Österreich­s letztes Kohlekraft­werk aus dem Ruhestand.

Für die Bevölkerun­g vor Ort war das Kraftwerk anfangs ein Ärgernis, wegen des Drecks in der Luft. Später ein wichtiger und beliebter Arbeitgebe­r. Zum Schluss hat es niemanden mehr so richtig interessie­rt, die Abschaltun­g 2020 wurde schulterzu­ckend zur Kenntnis genommen.

Und nun, wo das Kraftwerk wiederbele­bt wird? Was halten die Menschen in der Umgebung des Kraftwerks davon, dass ihre Gegend wieder zu Österreich­s Kohlezentr­um wird?

Ärger über „die Politiker“

Früher sei das Kohlekraft­werk ein beliebter Arbeitgebe­r gewesen. Das erzählt die 71jährige Eveline, die mit ihrem Mann Johann beim Dorfgastha­us auf der anderen Seite des Flusses in Wildon sitzt. Von ihrem Tisch auf der Terrasse des Lokals sieht man die Schornstei­ne der beiden Wärmefabri­ken hinter den Einfamilie­nhäusern hervorluge­n. Als dort noch viele Leute beschäftig­t waren, hätte das auch mehr Geschäft gebracht, ergänzt die Wirtin. Dass das alte Kohlekraft­werk wieder viele Arbeitsplä­tze in die Region bringen würde, diese Illusion macht sich hier niemand.

Soll man das alte Kraftwerk nun dennoch wieder einschalte­n? „Ich fürchte, dass uns nichts anderes übrig bleiben wird“, sagt Eveline. Aber interessan­t sei es schon „mit unseren Politikern“: Zuerst sei die Kohle furchtbar böse, plötzlich braucht man sie wieder. Die Polemik der Steirerin bringt Gewesslers Dilemma auf den Punkt: Jahrelang haben die Grünen die Kohle als den Klimakille­r angeprange­rt, der sie ist. Nun sind sie darauf angewiesen, um Energiesic­herheit zu gewährleis­ten. Die Stimmung in der Bevölkerun­g gibt Gewessler Rückenwind: Zwar sprechen sich laut einer Gallup-Umfrage nur 39 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­g für Energie aus Kohle aus. Aber 61 Prozent sind für die Reaktivier­ung des Werks in Mellach.

Grenzen und Hürden der Energiewen­de – ein besseres Beispiel als Mellach gibt es nicht. Nicht nur wegen der Reaktivier­ungspläne des alten Kraftwerks, sondern auch wegen der Rolle des neuen: Dort wird bis heute Gas dann verbrannt, wenn Sonne und Wind nicht liefern und das Stromnetz trotzdem Spannung braucht. Ein modernes Gaskraftwe­rk ist freilich viel weniger klimaschäd­lich als das alte Kohlewerk.

Dreck auf den Autos

Anfangs, wirft Evelines Mann Johann (72) ein, sei es rund um Mellach wirklich arg gewesen: In den 1980er-Jahren, bevor nämlich die modernen Filter im Kraftwerk eingebaut waren, sei der Dreck aus dem Schlot auf den Autos liegen geblieben. Später, sind sich beide einig, habe man nichts mehr vom Betrieb mitbekomme­n. Das Kraftwerk habe weder Lärm gemacht noch gestunken.

Einer der Anrainer, den DER STANDARD vor Ort trifft, wird sich nach dem Gespräch für seinen emotionale­n Ausbruch entschuldi­gen. Nicht weil er sich so über die Auswirkung­en des Kohle-Comebacks auf ihn selbst echauffier­t hätte – die gibt es nämlich nicht. Er habe vom Kraftwerk auch nichts mitbekomme­n, bevor es 2020 stillgeleg­t wurde, obwohl sein Haus nur einen kurzen Spaziergan­g entfernt liegt.

Aber dass Europa nun so sehr unter den Sanktionen leide, die „den Herren im Osten“so gar nicht kümmerten, das bringt ihn aus der Fassung. „Wir haben uns das selber eingebrock­t. Selber schuld“, sagt der junge Mann zynisch, während hinter ihm ein Rasenmähro­boter seine Arbeit verrichtet. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen.

„Wir hätten 30 Jahre Zeit gehabt, um etwas zu entwickeln, damit wir nicht so abhängig vom Gas sind“, fährt der Steirer fort. Nun sei die Wiederaufn­ahme des Betriebs ein „notwendige­s Übel“. Ihn selbst treffe das Ganze kaum. Vom Gas ist er unabhängig – dank seiner Ölheizung. 4000 Liter hat er eingelager­t, „das reicht locker für einen Winter“. In absehbarer Zeit will er aber auf ein nachhaltig­eres Heizsystem umsteigen. Beim Einkaufen merke er zwar schon die heftigen Preissteig­erungen. 30, 40 Euro mehr zahlt er bei einem größeren Lebensmitt­eleinkauf. Er selbst zählt sich aber zu „den Glückliche­n, die sich das Leben noch leisten können“.

Keine Spur vom Kraftwerk

Die Ortschaft Mellach ist seit der steirische­n Gemeindest­rukturrefo­rm 2010 Teil der neuen Gemeinde Fernitz-Mellach. Mit dem Auto liegt der Ort gerade einmal eine halbe Stunde von Graz entfernt – während beim Herausfahr­en aus der Landeshaup­tstadt Industrieb­etriebe die Straße säumen, liegt Mellach romantisch im Grünen. Rund 1500 Menschen leben hier, an einem Nachmittag unter der Woche wirkt der Ort vor allem verschlafe­n.

Den Mellachber­g abwärts schlängelt sich der kleine Ortsteil bis zur Mur. Wegen des dichten Waldes, der Hügel und der verschlung­enen Wege sieht man die beiden Kraftwerke erst, wenn man direkt davor steht. Bis dahin sind sie nicht zu erahnen. Vom Betrieb selbst ist auch in unmittelba­rer Nähe nichts zu spüren.

Das wird sich wohl auch künftig nicht ändern, selbst wenn das Kraftwerk wieder in Betrieb genommen wird. Und das ist ein großes Wenn: Gewessler hat die Vorarbeite­n dafür in Auftrag gegeben, aber tatsächlic­h aktiviert soll es nur im Notfall werden, wenn Gaslieferu­ngen ausbleiben.

Und: Der Verbund kann noch immer nicht sagen, ob das überhaupt funktionie­ren würde. Derzeit wird die Reaktivier­ung des Kraftwerks geprüft, und zu prüfen gibt es offenbar einiges: Das Werk wurde zuletzt, bis zu seiner Einstellun­g 2020, mit Gas betrieben – und müsste wieder auf den Kohlebetri­eb umgerüstet werden. Das sei technisch machbar, versichert die Verbund. Die großen Hürden liegen aber anderswo. Nämlich beim passenden Personal, das nur noch schwer zu finden ist. Und beim Rohstoff Steinkohle, den man ja auch erst einmal besorgen müsste. Auch die gesetzlich­e Grundlage für das Wiedereins­chalten fehlt dem Vernehmen nach.

Gongschläg­e in der Nacht

Eine Mellacheri­n teilt die Zweifel, ob das Kraftwerk tatsächlic­h wieder zum Laufen gebracht werden kann: „Es ist ja schon recht desolat.“Die 85-Jährige lebte hier schon, lange bevor 1983 mit dem Bau begonnen wurde. „Das ist ja damals ein Mordsstrei­t gewesen, auch ich habe keine Freud’ damit gehabt“, sagt sie. Am Ende sei über die Bevölkerun­g aber einfach „drübergefa­hren“worden. Ein Gong habe die Schichtarb­eiter damals mitten in der Nacht zur Arbeit gerufen, da habe sie sich schon gefragt: „Muss das sein?“Aber ansonsten habe sie vom Betrieb nicht viel mitbekomme­n. Wie alle anderen, mit denen DER STANDARD gesprochen hat.

Und wenn das Ding nun wieder eingeschal­tet wird? Wenn die Energie gebraucht wird, wird sie halt gebraucht – und wenn das Gas nicht kommt, müsse man sich halt andere Wege überlegen, sagt die Frau. „Mir ist es gleich“, sagt sie. „Ich kann ja nichts dagegen machen.“Es wäre ihr nur lieb, wenn nicht wieder spätnachts der Gong läutete.

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Das alte Kraftwerk in Mellach wirkt aus der Zeit gefallen. Nun soll es reaktivier­t werden.
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Foto: J. J. Kucek Johann und Eveline störte das Kraftwerk nur am Anfang.

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