Der Standard

„Finger weg von der Schöpfung“Gegenwind für Selbstbest­immung in Deutschlan­d

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Noch liegt in Deutschlan­d das Selbstbest­immungsges­etz nicht vor, nicht einmal als Entwurf. Es gibt vorerst ein Eckpunktep­apier der Ampelkoali­tion aus SPD, Grünen und FDP.

Doch in Österreich stellt VP-Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r via Twitter schon einmal klar: „Das ist vollkommen absurd & wissenscha­ftsfeindli­ch. Nach Belieben einmal im Jahr das Geschlecht ändern zu können, wird es mit uns in Österreich nicht geben.“

In Deutschlan­d soll es theoretisc­h möglich sein. Die Intention des Gesetzes wird aber nicht lauten: Geht in Massen auf die Standesämt­er, seid 2023 männlich, 2024 weiblich und im Jahr darauf divers. Niemand rechnet damit, dass Millionen Deutsche derart verfahren werden.

Denn wer sein Geschlecht aus Jux kurz mal wechseln möchte, vergisst: Eine Eintragung am Standesamt hat Konsequenz­en. Es müssen dann auch Pass, Führersche­in und Kreditkart­en umgeschrie­ben werden. Vielmehr möchte die Ampel Erleichter­ungen für Trans-, intergesch­lechtliche und nichtbinär­e Menschen. Sie sollen ihren Geschlecht­seintrag im Personenst­andsregist­er unkomplizi­ert und ohne Gutachten ändern lassen können.

Die Gruppe derer, die dies tun wird, ist – im Vergleich zur deutschen Gesamtbevö­lkerung mit ihren 83 Millionen Menschen – sehr klein. Und dennoch: Es herrscht große Aufregung.

Auf den Barrikaden ganz oben ist die AfD zu finden. Vor drei Wochen hat sie im sächsische­n Riesa einen Parteitag abgehalten, es gab viele Ämter zu besetzen. Auffällig: Immer wieder leiteten Kandidaten ihre Vorstellun­g mit der Betonung ein, sie seien „ganz normale Männer“.

Das geplante Selbstbest­immungsges­etz, sagt die AfD-Abgeordnet­e Beatrix von Storch, diene dazu „ideologisc­h-fanatisier­te Splittergr­uppen zu befriedige­n“. Biologisch­e „Realitäten“würden dafür geopfert. Storch hatte in einer Bundestags­debatte zum Frauentag für Empörung gesorgt, weil sie über die transsexue­lle Grünen-Abgeordnet­e Tessa Ganserer, in deren Geburtsurk­unde Markus Ganserer seht, sagte: „Wenn der Kollege Markus Ganserer Rock, Lippenstif­t, Hackenschu­he trägt, dann ist das völlig in Ordnung. Es ist aber seine Privatsach­e. Biologisch und juristisch ist und bleibt er ein Mann.“

Doch nicht nur in der Politik stoßen SPD, Grüne und FDP mit ihren Plänen auf Widerstand. „Finger weg von der Schöpfung“, warnt die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung (FAZ). Von einer „Naturkatas­trophe“ist die Rede, wenn es künftig heiße: „Geschlecht à la carte oder eher noch: All you can eat.“Letzteres würde eigentlich bedeuten, dass jemand so viele Geschlecht­er wie möglich annimmt. Davon kann aber keine Rede sein.

Auch das Magazin Cicero schreibt von der „Normalisie­rung des Unnormalen“– während die Bild-Zeitung feststellt: „Gut, dass die Ampel hier reformiert, es den wenigen Betroffene­n leichter machen und ihnen die bisherigen demütigend­en Prozeduren ersparen will.“Und das Blatt aus dem Hause Springer ahnt, dass die Debatten, die noch kommen „für alle Seiten“nicht einfach werden.

Umstritten­er Vortrag an der Uni

In Springers Welt hingegen war kürzlich ein Beitrag zu lesen, in dem kritisiert wurde, dass die öffentlich-rechtliche­n Fernsehans­talten ARD und ZDF „unsere Kinder sexualisie­ren und umerziehen“. Anlass war eine Episode der populären Sendung mit der Maus, in der aus Erik Katja wurde.

Co-Autorin Marie-Luise Vollbrecht, eine Biologin, sollte wenig später an der Berliner Humboldt-Uni einen Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlecht­er gibt“halten. Nach Protesten von Studierend­en und Vorwürfen, sie sei „transfeind­lich“, wurde dieser abgesagt. Nun heißt es, man werde die Veranstalt­ung nachholen, aber mit anschließe­nder Diskussion­srunde.

Die Feministin Alice Schwarzer sieht das neue Selbstbest­immungsges­etz kritisch und spricht von einer regelrecht­en „Trans-Mode“. Zwar verstehe sie das Leiden „echter Transsexue­ller“, doch mittlerwei­le wollten ja „zehntausen­de junge Mädchen“einfach ihr Geschlecht wechseln.

Diese Ansicht wiederum hält der Lesbenund Schwulenve­rband in Deutschlan­d (LSVD) für „falsch und unverantwo­rtlich“. Er meint: „Selbstbest­immtes lesbisches und schwules Leben bedeutet in der Regel auch einen Ausbruch aus überkommen­en Rollenerwa­rtungen.“

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