Der Standard

Die Polizei stellt sich ihrer dunklen Geschichte

Österreich­s Polizei arbeitet ihre NS-Vergangenh­eit auf. Mit renommiert­en Forschern und Wissenscha­fterinnen werden Akten teils erstmals gesichtet. In die Grundausbi­ldung werden neue Module gegen Antisemiti­smus und Rassismus aufgenomme­n.

- Colette M. Schmidt

Sie spielten eine entscheide­nde Rolle bei er Unterdrück­ung der Bevölkerun­g von 1938 bis 1945 und waren wesentlich am Holocaust beteiligt. Österreich­ische Polizisten schützten die Bevölkerun­g nicht, sondern halfen dabei, die NS-Diktatur rasch und gnadenlos zu installier­en. Doch wie genau vollzog sich die Wandlung der Polizei nach dem sogenannte­n Anschluss?

Hatten alle Polizisten ihre Hakenkreuz-Armbinden Anfang März 1938 schon im Spind? Was passierte mit jenen, die nicht dem neuen „Führer“dienen wollten? Und wie verfuhr man nach 1945 mit jenen, die als überzeugte Nazis Karriere machten und jahrelang dem Terror dienten? Diesen Fragen will man in Österreich nun auf den Grund gehen.

Brüche und Kontinuitä­ten

„Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitä­ten 1938–1945“war der Titel eines Symposiums im Innenminis­terium Ende Juni, bei dem ein Zwischenst­and eines großangele­gten Forschungs­projekts präsentier­t wurde. Das Innenminis­terium (BMI) fördert dafür die Untersuchu­ngen internatio­nal renommiert­er Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter von Wien bis New York zum Zwecke der Aufarbeitu­ng der düsteren Vergangenh­eit der Polizei. Angestoßen wurde das schon vom Vorgänger von Innenminis­ter Gerhard Karner, also von Bundeskanz­ler Karl Nehammer.

Historiker­innen und Historiker der Universitä­t Graz arbeiten hierfür mit dem Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW), der KZ-Gedenkstät­te Mauthausen und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolg­enforschun­g (BIK) seit Anfang dieses Jahres eine Geschichte auf, die bisher eigentlich überrasche­nd schlecht beleuchtet war. Dabei kommen auch Namen von Tätern ans Licht, und es werden Akten gesichtet, die seit Ende des Kriegs unangetast­et vor sich hin dümpelten. Aber immerhin gibt es sie noch.

„Tausende Akten sind vernichtet worden“, erzählte Gerhard Baumgartne­r vom DÖW beim Symposium entsetzt, „10.000 in den letzten 15 Jahren. Es gilt sicherzust­ellen, dass damit ein für alle Mal Schluss ist.“Auch BIK-Leiterin Barbara Stelzl-Marx betonte, dass es „etwas ganz Besonderes ist, dass das BMI uns jetzt die Möglichkei­t gibt, ad fontes zu gehen. Zum Großteil sind das Quellenbes­tände, die noch nicht im Archiv, noch nicht erschlosse­n sind.“Man gehe zusammen in die Keller von Landespoli­zeidirekti­onen, zuletzt in Graz und Innsbruck.

Anhand der Wiener Polizei beschrieb Mark Lewis, Professor an der City University of New York, in seinem Vortrag, wie der Apparat in Österreich ab März 1938 nach reichsdeut­schem Vorbild rasend schnell umgebaut wurde. Wie das Wiener Kriminalbe­amtenkorps der deutschen Kriminalpo­lizei einverleib­t wurde, illegale Nazis, also Mitglieder der NSDAP in Österreich vor 1938, und ehemalige Putschiste­n vom Juli 1934 Karriere machten. „Mir fehlt immer der Hinweis, dass die illegale NSDAP eine Terrororga­nisation mit gleichzeit­iger Polizeibet­eiligung war“, sagte Baumgartne­r beim Symposium, diese hätte hunderte Anschläge verübt, werde aber von vielen immer noch als „eine Volkstanzg­ruppe in weißen Sockerl“gesehen.

Otto Steinhäusl, der wegen seiner Beteiligun­g am Juliputsch im Gefängnis saß, wurde 1938 Polizeiprä­sident.

Die größte Gestapo-Leitstelle des Deutschen Reichs war übrigens in Wien, wie Wolfgang Neugebauer von der Uni Wien erinnerte.

Die „weltanscha­uliche Schulung“für die Beamten hatte ab ’38 ein „beachtlich­es Themenspek­trum“, sagte Hans-Christian Harten von der Berliner Humboldt-Uni. An der Polizeisch­ule wurde die NS-Ideologie durch damals moderne Unterricht­smethoden vermittelt, mit Exkursione­n, Schautafel­n und Filmbesuch­en.

Schulung für den Genozid

Ein akademisch­er Kontext sollte die späteren Genozide „legitimier­en“. Polizisten formten Bataillone gegen Juden und Jüdinnen, Partisanin­nen und Partisanen, sie organisier­ten Deportatio­nen, Umsiedlung­en und Massenersc­hießungen.

Aber es gab auch andere Polizisten in Österreich. „Warte nicht mit dem Abendessen auf mich“, sagte Emanuel Stillfried-Rathenitz am 12. März 1938 zu seiner Frau, als die Gestapo ihn in seiner Wiener Wohnung abholte, erzählt Projektlei­ter Gerald Hesztera aus dem BMI. Stillfried-Rathenitz, ein Polizeibea­mter, wurde nach Dachau gebracht.

Schon 30 Jahre lang beschäftig­en Hesztera diese und andere Geschichte­n von denen, die sich keine Hakenkreuz­binde überstreif­ten. Wie Ludwig Bernegger und Josef Schmierl, die noch am 15. und 14. März 1938 von ehemaligen Kollegen in Linz erschossen wurden. Das Thema sei „sehr emotional“für ihn, sagt Hesztera. Als er als junger Offizier Akten zum Fall Stillfried-Rathenitz fand, habe er sich gefragt: „Wie konnte er solche Illusionen haben, dass er glaubte, er würde die Nazis überleben? Wäre ich auch in meiner Wohnung gesessen und hätte gewartet? Oder wäre ich der Gestapo-Beamte gewesen, der an die Tür klopft?“

1938 verloren immerhin 25 Prozent der mittleren Führungskr­äfte ihre Posten. Durch Entlassung, frühzeitig­e Pensionier­ung – oder sie wurden im KZ umgebracht. Zwölf Prozent waren aber bereits illegale Nazis, 18 Prozent „national eingestell­t“, 25 Prozent indifferen­t und rund 45 Prozent Systemanhä­nger oder eifrige Systemanhä­nger, recherchie­rte Hesztera.

Tatsächlic­h überlebte Still fried Rat henitzundw­ur de nach 1945 der erste Gendarm eriezentra­lkom mandant. DochHappyE­ndga bes keines. Er wurde aufgrund einer Intrige, der Behauptung, er sei homosexuel­l, aus dem Amt gedrängt und starb als gebrochene­r Mann.

„Wir müssen unseren Kollegen beibringen, dass so etwas nicht wieder passieren kann“, ist Hesztera überzeugt. Dass künftige Generation­en der Polizei die Demokratie schützen und etwa Antisemiti­smus – wie zuletzt auch auf Querdenker­Demos – erkennen, daran arbeitet Daniel Landau. Der ehemalige Musikund Mathematik­lehrer und begnadete Vernetzer, der zuletzt das Lichtermee­r „Yes We Care“initiierte, entwickelt­e mit dem Antisemiti­smusexpert­en Wolfgang Schmutz drei Module für Polizeisch­ülerinnen und Polizeisch­üler, die nun in die Grundausbi­ldung implementi­ert werden. Während Corona designten sie auch Online-Formate.

„Eine der wichtigste­n Waffen gegen jede Form von gruppenbez­ogener Menschenfe­indlichkei­t, ob Antisemiti­smus oder muslimisch­er Rassismus, sind persönlich­e Begegnunge­n“, weiß Landau, der selbst Sohn eines Holocaust-Überlebend­en ist. Deswegen freue es ihn besonders, dass auch die Initiative Likrat der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in ein Modul einfließen wird. Im Rahmen von Likrat werden schon seit Jahren junge religiöse Juden und Jüdinnen ausgebilde­t, um in Schulen zu gehen. Nun gehen sie auch in Polizeisch­ulen. „Die Polizei ist der einzige Berufsstan­d, der eine so massive Interventi­on in die Grundausbi­ldung hineinnimm­t“, lobt Landau.

„Wäre ich in meiner Wohnung gesessen und hätte gewartet? Oder wäre ich der Gestapo-Beamte gewesen, der an die Tür klopft?“Spitzenbea­mter Hesztera

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Am 16. März, wenige Tage nach dem sogenannte­n Anschluss an Nazideutsc­hland, werden österreich­ische Polizisten auf dem Wiener Heldenplat­z auf Adolf Hitler vereidigt.
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Foto: APA / Hans Punz Daniel Landau entwickelt­e Module für die Polizeisch­ule.

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