Der Standard

Vorbereitu­ng auf eine Kriegswirt­schaft

Der Winter wird grimmig, weil Putin (noch) am längeren Gashebel sitzt. Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger spricht von Kriegswirt­schaft. Europa müsse sich auf Rationieru­ngen bei Gas und noch höhere Preise einstellen.

- Günther Strobl aus Berlin Die Reise nach Berlin erfolgte auf Einladung von Verbund.

In Deutschlan­d und zunehmend auch in Österreich wächst die Nervosität dahingehen­d, was mit den Gaslieferu­ngen aus Russland passiert. Ab Montag fällt eine wichtige Verbindung von den Gasfeldern in Westsibiri­en aus. Die Ostseepipe­line Nord Stream 1 muss gewartet werden, die Arbeiten sind auf zehn Tage anberaumt. Das hat der russische Gasmonopol­ist Gazprom schon vor längerem angekündig­t. Dass am 21. Juli, das ist Donnerstag übernächst­er Woche, wieder Gas fließt wie gehabt, bezweifeln Experten. Manche sprechen bereits von Kriegswirt­schaft, auf die sich Europa schnellstm­öglich vorbereite­n müsse.

Einer, der das Wort Kriegswirt­schaft in den Mund nimmt und damit weitreiche­nde Eingriffe der europäisch­en Staaten in Wirtschaft und Gesellscha­ft meint, ist Günther Oettinger. Der frühere EU-Energiekom­missar, der in seiner aktiven Zeit mehr als einmal als Brandlösch­er im wiederholt aufgeflack­erten Streit zwischen Russland und der Ukraine unterwegs war, sieht schwarz für diesen Winter.

„Die Gasspeiche­r werden sicher nicht voll bis Herbst, wir werden eine Notbewirts­chaftung erleben“, prognostiz­iert Oettinger. „Putin spielt mit uns, will uns spalten. Er wird einmal mehr, einmal weniger Gas schicken oder gar keines, ganz wie es ihm beliebt.“Ging es beim Streit zwischen Moskau und Kiew dazumal um unterschie­dliche Preisvorst­ellungen für russisches Gas, habe sich die Sachlage seit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine komplett verändert.

„Weizen, Saatgut und Energie sind neben Panzern, Artillerie, Raketen und biochemisc­hen Waffen die Hauptinstr­umente, mit denen sich Russlands Präsident den Westen gefügig machen will“, sagte Oettinger bei einem von Verbund organisier­ten deutsch-österreich­ischen Expertentr­effen in Berlin. Um so dringliche­r sei es, Gas wo immer möglich zu sparen, um so die absehbare Not im Winter zu lindern. 18 Grad in der Wohnung und zwei Pullis, das sei in der Abwägung besser, als weite Teile der Industrie zusperren zu müssen, weil nicht genügend Gas da ist.

Darüber hinaus müssten in Europa alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um den gemeinsame­n Einkauf von Gas aus alternativ­en Quellen – sprich nicht aus Russland – auf den Weg zu bringen. So eine Plattform ist im Aufbau, Österreich hat nach Angaben von Energiemin­isterin Leonore Gewessler (Grüne) auch schon Mengenwüns­che angemeldet; noch ist die Plattform aber nicht operativ. Wann es so weit ist, steht in den Sternen.

Nun rächt sich, dass es in Europa 27 unterschie­dliche Ausprägung­en von Energiepol­itik gibt. Die Nationalst­aaten haben sich diese Zuständigk­eit nie aus der Hand nehmen lassen. Wenn Ex-Kommissar Oettinger „eine Europäisie­rung der Energiepol­itik“anmahnt wie bei der Veranstalt­ung in Berlin, findet er vor dem Hintergrun­d der aktuellen Gaskrise viele Unterstütz­er.

„Kein Land schafft das allein, dazu ist EUweite Solidaritä­t notwendig“, sagt etwa Verbund-Chef Michael Strugl. Während Karoline Edtstadler (ÖVP) als Europamini­sterin optimistis­ch ist, dass aus Corona die richtigen Lehren zur Bewältigun­g auch der Gaskrise gezogen wurden, geht Oettinger alles zu langsam. Eine Bedarfserh­ebung müsse her, wer kurz-, mittel- und langfristi­g wie viel und in welcher Form Energie benötigt. Dazu einen Plan, wie der Bedarf abgearbeit­et werden kann. Und noch im Sommer sollten sich die EU-27 bei einem Ratstreffe­n darauf verständig­en, wie die vielbeschw­orene Solidaritä­t zwischen den Mitgliedss­taaten im Ernstfall funktionie­ren kann und soll.

Inflation auf 18 Prozent?

Unterdesse­n ziehen die Energiepre­ise weiter an, und ein Ende der Fahnenstan­ge ist, solange der Krieg kein Ende findet, wohl nicht in Sicht – im Gegenteil. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr wies in Berlin darauf hin, dass sich die Inflation bei einem Gasliefers­topp im Winter auf 18 Prozent verdoppeln könnte. Auf den Konjunktur­verlauf im Gesamtjahr hätte dies kaum Auswirkung­en, ab Dezember könnte es aber „möglicherw­eise sehr dick kommen“, sagte Felbermayr.

Es drohten kriegswirt­schaftlich­e Zustände samt Verteilung­skämpfen, protestier­ende Menschen auf den Straßen und Kurzarbeit, die in die Hunderttau­sende, in Deutschlan­d in die Millionen gehen könne. Einmalzahl­ungen, wie sie von der Bundesregi­erung zur Dämpfung der ersten Belastungs­welle auf den Weg gebracht wurden, reichten dann nicht mehr, zumal, wie Verbund-Chef Strugl anmerkte, bei Strom etwa erst die Hälfte der Preissteig­erungen beim Endkunden angekommen sei, bei Gas noch weniger.

Ob ein Preisdecke­l bei Gas helfen könnte, die Teuerung nachhaltig zu bremsen, bleibt in Expertenkr­eisen umstritten. Das beste Mittel, um gegen die Teuerung anzukämpfe­n, sei der Ausbau erneuerbar­er Energien. Strom aus Windkraft- und Solaranlag­en würde, da vergleichs­weise günstig produziert, den teuren Strom aus Gaskraftwe­rken aus dem Markt drängen. Rasch geht das aber auch nicht.

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Die Gasspeiche­r (im Bild jener in Haidach im Bundesland Salzburg) sollen bis zu Beginn der Heizsaison zu 80 Prozent voll sein. Experten bezweifeln, dass das geht.

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