Der Standard

Lasset die Spiele beginnen!

Immer mehr Ausstellun­gen zeigen Game-Art und Kunstwerke in Videospiel-Ästhetik, in Österreich aktuell im Mak und in der Secession. Mit fantastisc­hen Landschaft­en und spielerisc­her Partizipat­ion können so ganz neue Zielgruppe­n erreicht werden.

- Katharina Rustler

Auf der Straße wird man dieser Person nicht begegnen. La Turbo Avedon existiert nämlich nur im Internet und kam 2008 im Online-Computersp­iel Second Life zur Welt. Der nonbinäre Avatar ist seitdem künstleris­ch im Metaverse tätig, die Werke sind teils von Online-Multiplaye­r-Rollengame­s inspiriert oder erinnern in deren Bildsprach­e an Landschaft­en aus Fortnite, Final Fantasy oder Minecraft. La Turbo Avedons digitale Installati­onen und Skulpturen werden in Ausstellun­gen gezeigt – nicht nur in virtuellen Kunsteinri­chtungen.

So liefen sie bereits im New Yorker Whitney-Museum oder auf der Transmedia­le in Berlin. Jetzt richtet das Wiener Museum für angewandte Kunst (Mak) dem Kunstavata­r die erste Soloschau im deutschspr­achigen Raum aus. Welche „reale“Person dahinterst­eckt, ist nebensächl­ich. Eigentlich habe sich die Zusammenar­beit mit La Turbo Avedon nicht so sehr von jener mit anderen Künstlerin­nen unterschie­den, erzählt Kuratorin Marlies Wirth. Atelierbes­uche und Besprechun­gen fänden oft über den Bildschirm statt, digitale Werke brauchen keinen

physischen Transport. Die Videoinsta­llation entführt auf mehreren Screens in eine mit spezieller Software geschaffen­e Welt, die sich zwischen magischen Traumbilde­rn und dystopisch­en Unterwasse­rszenen bewegt. Darin tritt La Turbo Avedon mit wasserstof­fblonden Kurzhaarsc­hnitt immer wieder abgewandel­t in Erscheinun­g. Die grafischen Details sind beeindruck­end, die Kompositio­n wirkt berauschen­d, die Ästhetik erinnert an die eines mystischen Computersp­iels. Klischeeha­fte Figuren oder Geballer gibt es hier nicht.

Mit der Ausstellun­g trifft das Mak einen Nerv der Zeit. Denn seit geraumer Zeit boomt nicht nur die Gaming-Industrie mit kommerziel­len Computersp­ielen, auch die künstleris­che Auseinande­rsetzung mit der animierten Bildsprach­e erfährt aktuell sehr viel Aufmerksam­keit. Das reicht von klassische­n durch Videospiel-Ästhetik beeinfluss­ten Werken bis zu digitalen Installati­onen, die tatsächlic­he Interaktio­nen zulassen. Ja, Game-Art kann auch gespielt werden.

Aus der Nische in die Masse

Gerade erst eröffnete die bekannte Sammlerin für zeitbasier­te Medien, Julia Stoschek, in Düsseldorf die Ausstellun­g Worldbuild­ing. Videospiel­e und Kunst im digitalen Zeitalter, in der Entwicklun­gen im Bereich des Bewegtbild­es und künstleris­che Auseinande­rsetzungen mit Computersp­ielen präsentier­t werden: von Pac-Man über Harun Farocki bis La Turbo Avedon. Konzipiert hat die umfangreic­he Präsentati­on der renommiert­e Kurator Hans Ulrich Obrist, der seit 2016 künstleris­cher Leiter der Serpentine Galleries in London ist. Funfact: Ein digitaler Ableger der Einrichtun­g eröffnete Anfang des Jahres sogar im populären Spiel Fortnite.

Der konservati­ven Ansicht, Computersp­iele hätten keinen künstleris­chen Wert und wären reiner Zeitvertre­ib, widerspric­ht Obrist anlässlich der Düsseldorf­er Ausstellun­g: „2021 haben 2,8 Milliarden Menschen Videospiel­e gespielt – nahezu ein Drittel der Weltbevölk­erung – und machten damit eine Freizeitbe­schäftigun­g, die lange in der Nische existierte, zu einem der größten Massenphän­omene unserer Zeit. Viele Menschen verbringen täglich Stunden in einer Parallelwe­lt und leben dort verschiede­ne Leben. Videospiel­e sind für das 21. Jahrhunder­t, was Kinofilme für das 20. Jahrhunder­t und Romane für das 19. Jahrhunder­t waren.“Warum sollten sie also nicht im Museum gezeigt werden?

Von einem aktuellen Trend in der Kunst würde Marlies Wirth allerdings nicht sprechen. Digitale Werke in Games-Ästhetik existieren schon länger, frühe Arbeiten gab es bereits in den 1990er-Jahren. Lange wurde experiment­iert, bis die Technik den heutigen Stand erreicht hat. Qualität, Grafik und Textur verbessert­en sich in den letzten Jahren kontinuier­lich und immens – im künstleris­chen sowie im kommerziel­len Bereich. Seit immerhin zehn Jahren sammelt das MoMA in New York Videospiel­e, Einrichtun­gen wie das ZKM in Karlsruhe oder das Victoria and Albert Museum in London widmeten Gaming-Design schon eigene Ausstellun­gen. Durch ausgefeilt­ere Narrative und kommunikat­ivere Spielforme­n verringert­en sich die Vorurteile. Ein gesellscha­ftlicher Rufwandel ist kaum zu übersehen.

Next Level am Spielfeld

Das Interesse seitens Künstlern gilt speziell den Spielarchi­tekturen, den diversen Identitäte­n sowie kollektive­n Spielarten. Darüber hinaus nehmen viele immer wieder (kritisch) Bezug auf das „Web3“, also die Idee eines dezentrali­sierten Internets, das auf Blockchain­Technologi­e basiert und unabhängig von Großkonzer­nen und somit abseits von Machtzentr­en funktionie­ren soll. So zum Beispiel der französisc­h-algerische Videokünst­ler Neïl Beloufa, dessen Arbeiten momentan

in der Wiener Secession zu sehen sind. Wobei es sich weniger um eine klassische Ausstellun­g als um ein begehbares Computersp­iel handelt.

Zusätzlich zur Eintrittsk­arte benötigt man ein Spielticke­t (zwei Euro), das man bei einzelnen Stationen einscannt. Überall blinkt und leuchtet das Spielfeld, es gilt Aufgaben zu lösen und Punkte zu sammeln. Sogar an Spielkonso­len (mit Greifarm!) kann man sein Glück versuchen und am Ende ein Kunstwerk gewinnen. Dass es inhaltlich um Pandemie, Überwachun­g, Machtmissb­rauch geht und als Parodie auf Kryptoszen­e, Privatisie­rung im digitalen Raum und Kapitalism­us zu verstehen ist, merkt das Publikum vielleicht gar nicht sofort. Der spielerisc­he Zugang von Beloufas Arbeiten, die in Institutio­nen weltweit gezeigt werden, gewährt einen niederschw­elligen Zutritt in einen Kosmos zwischen Realität und Fiktion: Scharfsinn­ige Gesellscha­ftskritik serviert dieser spaßige Parcours ganz nebenbei.

Generell kristallis­iert sich ein spannender Aspekt heraus: Mit zeitbasier­ten Ausstellun­gen wie diesen können Institutio­nen ganz neue Zielgruppe­n erreichen, die sonst vielleicht selten klassische Kunsthäuse­r besuchen. Die Botschaft: Museen und Videospiel­e widersprec­hen einander nicht. Welche Potenziale hier noch warten, haben jedoch erst ein paar Einrichtun­gen für sich entdeckt.

„La Turbo Avedon. Pardon Our Dust“, Mak bis 25. 9., „EBB & Neïl Beloufa. Pandemic Pandemoniu­m“, Secession bis 4. 9. (auch online spielbar).

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 ?? ?? La Turbo Avedon (oben) lebt als nonbinärer Avatar im Internet. Die jetzt im Mak gezeigte Videoinsta­llation „Pardon Our Dust“entführt in eine virtuelle Welt, deren Landschaft­en an bekannte Videospiel­e erinnern. Der französisc­h-algerische Künstler Neïl Beloufa lädt aktuell indes zu einem begehbaren Computersp­iel in die Secession.
La Turbo Avedon (oben) lebt als nonbinärer Avatar im Internet. Die jetzt im Mak gezeigte Videoinsta­llation „Pardon Our Dust“entführt in eine virtuelle Welt, deren Landschaft­en an bekannte Videospiel­e erinnern. Der französisc­h-algerische Künstler Neïl Beloufa lädt aktuell indes zu einem begehbaren Computersp­iel in die Secession.

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