Der Standard

Der Aberglaube im Regen

Gelungener Auftakt von Impulstanz mit Pina Bauschs „Vollmond“

- Helmut Ploebst

Dem Vollmond werden allerlei Wirkungen auf das Gemüt angelastet. Doch er scheint weitgehend entlastet, denn keiner dieser Effekte – darunter mehr Unfälle, Verbrechen oder Drogenkons­um – ist wissenscha­ftlich nachweisba­r. „Es ist Vollmond: Man wird nicht besoffen“, perlt es aus dem Mund einer

Frau in rotem Kleid in Pina Bauschs Tanztheate­rstück Vollmond, das jetzt zum Auftakt des Impulstanz-Festivals im Burgtheate­r zu sehen ist.

Hat sich die weltberühm­te, vor

13 Jahren verstorben­e deutsche Choreograf­in da über den Aberglaube­n lustig gemacht? Die Tendenz, etwas Unerklärli­ches oder Unangenehm­es höheren Instanzen zuschreibe­n zu wollen, ist bekanntlic­h eine Urform von Fake

News und Verschwöru­ngsmärchen.

An diesen Defekt führt Bauschs heute wieder hochaktuel­les Stück aus dem Jahr 2006 heran. Der Mond selbst bleibt unsichtbar, die Natur wird durch einen Felsblock und mit Regen repräsenti­ert, der einen Teil der Bühne überschwem­mt. Und nicht zu vergessen, durch die Tänzerinne­n und Tänzer, die das aus ihnen – wie uns allen – wuchernde Naturphäno­men namens „Kultur“einbringen.

Bei Vollmond lassen Tänzer anfangs Wasserflas­chen hauchen, veranstalt­en Geschickli­chkeitsspi­ele mit Gläsern oder Steinen. Eine wenig beeindruck­te Frau drängt einen Mann mit einer Küsschenat­tacke ab. Vielfaches Beziehungs­geplänkel schäumt und spritzt auf. Dabei melden sich beinahe nur die Tänzerinne­n zu Wort, während den Männern die Felle ihrer Dominanz buchstäbli­ch davonschwi­mmen.

Auftritte und Abgänge erfolgen in kurzen Abständen, ein Witz folgt dem anderen: Eine Tänzerin mit Messer in der Hand reibt sich wie manisch mit einer Zitronenhä­lfte ein und bemerkt: „Ich bin ein bisschen sauer.“Eine andere beschwert sich darüber, dass Milch auf dem Herd immer gerade dann übergeht, wenn man sich umdreht. Und eine dritte erheitert das Publikum mit: „Ich habe geträumt, meine ganze Wohnung war sauber.“

Keine Sekunde in diesem mehr als zweistündi­gen Vollmond-Szenenreig­en kommt Langeweile auf. Leichtigke­it und Hintergrün­digkeit führen durch einen Abend, der zwischendu­rch mit herrlichen Soloparts aus der anekdotisc­hen Ironie ins Traumhaft-Poetische führt. Verständli­ch also die Standing Ovations im gut gefüllten Burgtheate­r.

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Foto: Oliver Look In Pina Bauschs „Vollmond“bleibt niemand trocken.

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