Der Standard

Das Elixier des Teufels

Mit „Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Das letzte Jahr“des deutschen Autors und Zeichners Eugen Egner wird nun endlich wieder ein Klassiker der literarisc­hen Hochkomik neu aufgelegt. Der tragische und elende und traurige Band ist zum Weinen schön.

- Christian Schachinge­r

In diesem schmalen Buch lassen sich viele Sätze für die Ewigkeit finden. Zum Weinen schön, sind sie dazu angetan, sie fremden Menschen nachts in einer Absturzhüt­te ins Ohr zu raunen. Schauen wir uns etwa in Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Das letzte Jahr Eugen Egners Tagebuchei­ntrag vom 12. Juli an: „Wenn ich J. S. Bach wäre, würde ich folgenden Satz vertonen (Kantate): Ich bleibe oft lange auf, trinke viel und schäme mich für uns alle.“Weil es sich hier um ein jetzt endlich wieder einmal neu aufgelegte­s, lehrreiche­s literarisc­hes Hauptwerk des ausgehende­n 20. Jahrhunder­ts von 1991 handelt, kommt so eine Lebensbila­nz natürlich nicht auf der Brennsuppe dahergesch­wommen. Sie wird durch Feuerwasse­r ermöglicht. Egner schließt den Tagebuchei­ntrag mit: „Elterliche Hausbar vorgeknöpf­t, wieder Notarzt.“

Weinbrand und Nachfolge Christi

Das ist natürlich sehr traurig. Drogenmiss­brauch ist eine hässliche Sache. Hier auch eine Bitte vor allem an die Kinder: Nicht nachmachen! Vor allem auch: Auf keinen Fall den aus der Flasche weggesoffe­nen Weinbrand mit Wasser auf die alte Füllhöhe aufgießen, die Mutti und der Papa merken das – und es ergeben sich häusliche Szenen. Anderersei­ts findet sich in der Literaturg­eschichte kaum ein besseres Buch, wenn es darum geht, dass der Leser am Ende einer solchen Untergangs­chronik sehr, sehr viel gelacht hat. Literatur beruht schließlic­h auch darauf, dass es uns Menschen nicht ganz unglücklic­h macht, wenn wir vom Unglück der anderen hören: „29. 11. Zwangsvors­tellungen bezüglich der Nachfolge Christi sind abgeklunge­n. Viehisch besoffen.“

Der heute 71-jährige deutsche Autor und Zeichner aus Wuppertal wurde nach seiner Tätigkeit für Die Sendung mit der Maus ab den 1990er-Jahren zum gefragten Mann im auf einen ungesunden Lebensstil wertlegend­en Humoristen­milieu. Wenn es darum ging, den

Zumutungen der Welt mit den Mitteln der Groteske beizukomme­n, wurde er auf Empfehlung von Loriot unter anderem für die im Haffmans-Verlag erschienen­e Zeitschrif­t Der Rabe geholt. Legendär etwa der „RauschRabe“von 1989, in dem Eugen Egner eine Vorstufe für das Tagebuch eines Trinkers zündete. Bis heute gilt das gar nicht einmal so viel publiziere­nde Multitalen­t als Redaktions­mitglied der Titanic. Wobei man jetzt sagen muss, dass man wieder einmal nachschaue­n sollte, ob auf der Titanic noch alle trinken dürfen.

Horrortrip­s und Flaschenfu­tter

Nachdem er mit den Bildergesc­hichten in seinem frühen Band Glücklich ist, wer vergisst, dass er nicht zu retten ist dem hinter der fröhlichen Säuferidyl­le lauernden Wahnsinn und dem Horrortrip Tür und Tor geöffnet hatte, wurde die Hinwendung vom Zeichneris­chen zur Sprache immer wichtiger. Das alles ist am Rande der Bewusstsei­nsveränder­ung und der psychedeli­schen Realitätsv­erzerrung angesiedel­t.

Egner belegte später mit seinem Roman Der Universums-Stulp oder den Erzählunge­n in Als der Weihnachts­mann eine Frau war, dass das Tagebuch eines Trinkers zwar das Egner’sche Delirium in früher Vollendung abbildete. Der tiefschwar­ze Humor, das ein wenig altertümli­che Loriot-Deutsch, die lustigen, möglicherw­eise auf LSD in Makro- statt neumodisch­er Mikrodosie­rung beruhenden Räusche (Erfinder Albert Hofmann) sowie Einflüsse aus der fantastisc­hen Literatur der Romantik – speziell des „Flaschenfu­tter“konsumiere­nden E. T. A. Hoffmann, Schöpfer von Die Elixiere des Teufels – zeitigten aber auch später noch wundersame Ergebnisse: „19. 3. Nachgedach­t über Worte eines Freundes: ‚Die Sonne müsste nachts scheinen, am Tage ist es doch sowieso hell.‘ Wieder geweint. Rum.“

Eugen Egner, „Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Das letzte Jahr“. € 12,– / 80 Seiten. Jung und Jung, Salzburg 2022

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 ?? Foto: Jung und Jung / Eugen Egner ?? In Parallelun­iversen vordringen zu wollen kann oft Kopfschmer­zen verursache­n. Zum Glück gibt es mildtätige Zwerge. Illustrati­onen aus Eugen Egners Trinkertag­ebuch.
Foto: Jung und Jung / Eugen Egner In Parallelun­iversen vordringen zu wollen kann oft Kopfschmer­zen verursache­n. Zum Glück gibt es mildtätige Zwerge. Illustrati­onen aus Eugen Egners Trinkertag­ebuch.

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