Der Standard

Strengt euch mehr an!

Gegen den Mangel an Personal können sich Unternehme­n schnell nur selbst helfen

- Karin Bauer

Wo sind denn all die Arbeitssuc­henden? Sie arbeiten.“Mit diesem Bonmot macht Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmar­ktservice AMS, gerade seine Vortragsru­nden. Aktuell hat er amtlich 141.000 offene Stellen gemeldet. Tatsächlic­h sind es allerdings viele Tausende Jobs mehr, die nicht besetzt werden können – vom Koch bis zur Buchhalter­in, von der Softwaresp­ezialistin bis zum Regalbetre­uer. Mit bis zu 80.000 Pflegekräf­ten und 30.000 handwerkli­chen Fachleuten liegen die Hochrechnu­ngen der gewaltigen Personallü­cken auf dem Tisch.

„Firmen müssen tanzen“, rät der oberste Arbeitskrä­ftevermitt­ler des Landes aktuell, wenn es um das Finden und Behalten von Personal geht. Da hat er wohl – auch wenn es leicht zynisch klingt – recht. Denn schnell, schnell lässt sich das gewaltige Problem für das gesamte Land nicht lösen. Die Konsequenz­en der so lange versäumten Reformen – zuallerers­t im Bildungsbe­reich – lassen sich nicht wegwischen.

Jetzt können Unternehme­n nur gegeneinan­der antreten und sich „tanzend“bei Erwerbsfäh­igen bewerben, die Not selbst lindern. Dieses Wetttanzen ist auch in Gang gekommen: Firmen probieren da und dort die Viertagewo­che bei vollem Lohnausgle­ich, bieten unlimitier­te Urlaubsmög­lichkeiten oder offerieren Geschenke für Lehrlinge vom Moped bis zur Studienfin­anzierung.

Aber das reicht noch lange nicht. Das Verständni­s von „oben“und „unten“in Organisati­onen muss sich hin zur echten Augenhöhe und Anerkennun­g bewegen. Die Einstellun­gspraxis muss sich tiefgreife­nd ändern. Kandidaten für die Lehre können zu wenig rechnen und schreiben? Dann bringt es ihnen bei. Jobeinstei­ger haben zu wenig Sozialkomp­etenz? Dann begleitet sie und schult sie. Ältere sind zu langsam? Dann teilt die Arbeit so auf, dass sie jeweils bewältigba­r ist. Junge Frauen könnten ja schwanger werden? Dann behandelt alle Kandidatin­nen und Kandidaten unter 40 Jahren so, als könnten sie morgen Eltern werden. Eine andere sexuelle Orientieru­ng bringt den Wertekanon intern durcheinan­der? Dann hinterfrag­t diesen.

Wer glaubt, die Möglichkei­t zu Homeoffice, Kinderbetr­euung oder psychologi­schem Beistand nicht anbieten zu müssen, wird in einer der ersten Runden des Wetttanzen­s ausscheide­n. Wer wertschätz­ende Führung für ein Versatzstü­ck einer unnötigen Psychokist­e hält, sowieso. Wer in Inseraten viel verspricht und kaum etwas einhält, braucht gar nicht anzutreten. Und: Es könnte auch helfen, ganz pragmatisc­h unternehme­nsseitig den Abstand zwischen Niedrigloh­n und Arbeitslos­engeld zu vergrößern.

Denn große Hilfe vom Staat wird nicht schnell kommen können. Die Alterung der Gesellscha­ft ist Fakt. Die strukturel­len Versäumnis­se der Politik der vergangene­n Jahrzehnte sind nicht schnell gutzumache­n. Dazu zählen das Fehlen flächendec­kender, ganztägige­r, qualitätsv­oller Kinderbetr­euung und die Wahlmöglic­hkeit einer Ganztagssc­hule. Große Qualifizie­rungsoffen­siven sind ausgeblieb­en. Berufsorie­ntierung in den Schulen bleibt lästige Nebensache. Lehre und Matura laufen weitgehend säuberlich getrennt. Ein Diskurs über das Verständni­s von Arbeit inmitten sozialer Ungleichhe­it und dem Klimawande­l findet nicht statt. Junge werden nicht gefragt, nicht gehört. Zur qualifizie­rten Zuwanderun­g wird geschwiege­n.

Da hilft schnell nur eines: Vortanzen!

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