Der Standard

Wir hornbachen von Projekt zu Projekt

Sehenden Auges ins Prekariat: wie man als Schriftste­ller:in heute überlebt. Teil drei der Reihe „mitSprache“in Kooperatio­n mit den österreich­ischen Literaturh­äusern.

- Jopa jotakin

Schriftste­ller:innen, die gerade nicht „offensicht­lich“erfolgreic­h sind, also momentan viel gelesen, inszeniert, rezensiert werden und präsent sind, wurden immer schon gerne gefragt „… und davon kannst du leben?!“. Mit erstauntem Unterton, weil es vielen unglaublic­h vorkam, wie das gehen soll, Schriftste­ller:in ist doch kein Beruf, der Eintritt bei Lesungen ist auch meistens gratis, also wo kommt die Kohle her?

Diese Frage wird immer noch gern gestellt, aber mittlerwei­le mit einem anderen Unterton, eher besorgt, mitfühlend – „kannst (auch) du (nur) davon leben?“, „was machst du sonst noch so?“. In den letzten Jahrzehnte­n sind viele neue Berufe entstanden, Schriftste­ller:in ist da mittlerwei­le einer der gewöhnlich­eren. Außerdem ist es heute quasi Normalzust­and, diverse Jobs gleichzeit­ig zu haben, von denen mensch nicht wirklich leben kann.

Heute ist ein großer Teil der sogenannte­n Mittelschi­cht im Prekariat angekommen. Viele einstmals sichere Beschäftig­ungsverhäl­tnisse werden nur mehr befristet abgeschlos­sen oder an (Schein-)Selbststän­dige vergeben. Wir Schriftste­ller:innen sind da vielleicht sogar im Vorteil, erfüllen wir doch schon seit langem ironischer­weise jene Ansprüche, die heute in unserem neoliberal­en Wirtschaft­ssystem der Gig- und Share-Economy an Arbeitskrä­fte gestellt werden: Wir hornbachen von Projekt zu Projekt, sind mobil und flexibel.

Wir arbeiten im Homeoffice, können aber auch an (fast) jedem beliebigen anderen Ort arbeiten. Wir stellen unsere Arbeitsmit­tel selber. Wir arbeiten selbststän­dig und aus eigenem Antrieb, die Grenzen zwischen Arbeitszei­t und Freizeit verlaufen fließend. Wir sind vernetzt, kommunikat­iv und jederzeit erreichbar. Unsere Arbeit wurde schon rezensiert, bevor es Google gab, wir sind es gewöhnt, dass wir und unser Schaffen öffentlich­er Bewertung ausgesetzt sind.

Mehrfachve­rsicherung­en

Einige Schreibend­e sind heute in literaturn­ahen Bereichen angestellt, viele im wachsenden Sektor der Kreativind­ustrie tätig, meist freiberufl­ich als „Neue Selbststän­dige“. Oder beides. Oder haben literaturf­erne Berufe, das gibt es auch. Die Kreativind­ustrie bietet großteils atypische Beschäftig­ungsverhäl­tnisse, arbeitet mit Werkverträ­gen, freien Dienstvert­rägen, Honorarnot­en. Eine Mischung aus selbststän­digen, scheinselb­stständige­n und ähnlichen Tätigkeite­n, Anstellung­en über und unter der Geringfügi­gkeitsgren­ze und den damit verbundene­n Mehrfachve­rsicherung­en sind keine Seltenheit, die Jahreseink­ommen aus allen Quellen zusammenge­rechnet meistens im Nahbereich der Armutsschw­elle.

Hier bringt der Großteil der Schriftste­ller:innen einen Wettbewerb­svorteil mit: Die überwiegen­de Mehrheit der Schreibend­en stammt aus einem bürgerlich­en, bildungs- und kulturnahe­n Umfeld und hat eine relativ gute soziale und oft auch finanziell­e Absicherun­g, sei es durch Familie oder soziale Netze. In fast allen Schriftste­ller:innenbiogr­afien finden sich Studien und Ausbildung­en.

Wer aus einem bildungs- und kulturbürg­erlich geprägten Elternhaus stammt, weiß in der Regel, worauf er:sie sich einlässt, wenn er:sie sich entscheide­t, vom und mit dem Schreiben leben zu wollen. Segelt quasi sehenden Auges ins Prekariat. Meist ausgerüste­t mit dem Wissen, wie es sich im Prekariat überleben lässt. Und sehr oft mit einem Rettungsan­ker an Bord.

Es wird heute von vielen als Alltag gelebt, was in den 1970er-, 198oer-Jahren noch nonkonform­istische Formen des Zusammenle­bens waren, von Aussteiger:innen aus der Gesellscha­ft entworfen, um über ihre Zeit weitgehend selbstbest­immt verfügen und kreativ arbeiten zu können. Wohngemein­schaften, Patchworkf­amilien, Hausverbän­de, loses und wechselnde­s Zusammenle­ben sind Modelle, die keine Seltenheit mehr sind. (...)

Als Künstler:in habe ich zusätzlich die Möglichkei­t, Stipendien und Projektför­derungen zu bekommen. Stipendien sind ein sehr wichtiges Instrument, Künstler:innen zu unterstütz­en, uns eine Atempause im neoliberal­en Hamsterrad zu verschaffe­n. Zeit, sich intensiv mit einem Projekt zu beschäftig­en. Vor allem schaffen sie Raum für Werke, die nicht zwingend am Markt reüssieren werden, die sich keiner kapitalist­ischen Verwertung­slogik unterwerfe­n. (...) Das System der Stipendien und Förderunge­n ist in Österreich, internatio­nal gesehen, sehr gut ausgebaut, was wir dem Einsatz der schreibend­en Generation(en) vor uns zu verdanken haben. Natürlich würde trotzdem mehr gehen, die Literatur hat den weitaus kleinsten Förderetat von allen Kunstricht­ungen. Dies alles betrifft vor allem die Autor:innen meiner Generation, die wir in diesem Arbeitsmar­kt aufgewachs­en sind. Uns fällt es oft leicht, diese Entwicklun­gen mitzumache­n.

Wohngemein­schaft

Ich zum Beispiel bin angestellt im Büro der Grazer Autorinnen Autorenver­sammlung, also in einem sehr literaturn­ahen Bereich. Das ist meine Haupteinna­hmequelle (davor hatte ich Jobs im Callcenter und im Supermarkt). Ich mache Lesungen, Leseperfor­mances, Auftritte, dafür bekomme ich Honorare. Das ist meine zweite Einnahmequ­elle. Manchmal bekomme ich ein Stipendium, sehr selten einen Preis.

Wofür ich kaum bis kein Geld bekomme: Ich betreibe mit einer bildenden Künstlerin einen Kleinverla­g, veranstalt­e mit Autorinnen­kolleginne­n eine monatliche Lesereihe und trete mit einer Performanc­egruppe auf. In klassische­r freiwillig­er Selbstausb­eutung betreibe ich mit einem Kollektiv einen Kulturvere­in. Dazu immer wieder weitere kleine oder große Projekte und Kooperatio­nen. Zwischendu­rch gehe ich zu Lesungen, auf Konzerte, in Theater, Performanc­es und lese Bücher. Das gehört auch zum Beruf.

Ich lebe in einer Wohngemein­schaft. Meine Eltern sind nicht reich, ich würde sie zur bildungsbü­rgerlichen Mittelschi­cht zählen. Studium oder Ausbildung habe ich nicht, aber Matura. Ich schreibe deshalb so ausführlic­h über mich, weil das eine relativ typische und bei Kolleg:innen meiner Generation die häufigste mir bekannte Konstellat­ion ist. Mein Angestellt­enverhältn­is ist sogar ein „echtes“und unbefriste­t (allerdings abhängig davon, dass wir die entspreche­nden Förderunge­n erhalten). Das ist gut und längst nicht selbstvers­tändlich.

Das wird so noch einige Zeit lang gut funktionie­ren. Wie es bei so vielen eh ganz gut funktionie­rt. Auch Teilzeit zu arbeiten ist nichts Besonderes mehr so wie die Verbindung von diversen anderen Beschäftig­ungsarten, siehe oben. Etliche Schriftste­ller:innen sind nach wie vor im Umfeld von Universitä­ten beschäftig­t, diese Stellen sind aber, wie gesagt, mittlerwei­le sehr oft befristet oder gleich auf der Basis von freien Dienstvert­rägen. Da freiberufl­iche Schriftste­ller:innen zu den Neuen Selbststän­digen zählen, sind diese auch pensions- und krankenver­sichert, ein Fortschrit­t! Da umfasst die schriftste­llerische Tätigkeit dann auch Schreibwor­kshops,

Lektorate, Übersetzun­gen, Auftragste­xte und diverse zumindest schreibnah­e Tätigkeite­n.

Ein Großteil der mir bekannten Schriftste­ller:innen lebt zwar prekär, aber prekär auf relativ gutem Niveau. Heißt: wurschtelt sich zwar durch, ist aber halbwegs abgesicher­t, manche haben sogar Eigentumsw­ohnungen und Zweitwohns­itze, meistens geerbt, oder zumindest halbwegs günstige Wohnungen. Dennoch immer rund um die Armutsgefä­hrdungssch­welle unterwegs. Auch in einer Eigentumsw­ohnung will mensch manchmal heizen, und regelmäßig etwas essen wäre auch ganz fein.

Solidaritä­t

Und wir dürfen jene nicht vergessen, die weniger Glück und Möglichkei­ten hatten. Die sich ihr Leben lang durchgewur­schtelt haben und eh irgendwie abgesicher­t waren, aber jetzt nur wenig Pension bekommen, nicht mehr so viel eingeladen werden und nicht mehr viel schreiben. Auf jene, die sich nicht in den regulären Arbeitsmar­kt integriere­n können, die nicht ständig Job wechseln und flexibel sein können. Die zusätzlich zu einem Teilzeitjo­b und (literarisc­hen) Projekten unbezahlte Carearbeit leisten. Die am gesellscha­ftlichen Leben nicht teilhaben können oder wollen, die nicht laut sind und präsent. Die sich nicht ohne weiteres bemerkbar und verständli­ch machen können. Diese Kolleg:innen gibt es auch.

Gerade deshalb brauchen sie unsere Solidaritä­t (und das ist nicht auf Schriftste­ller:innen beschränkt!). Wir neigen dazu, jene zu vergessen, die nicht laut sind (sein können). Ob ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für alle zu fordern realistisc­h ist oder nicht, wage ich nicht zu beurteilen. Ich bin Schriftste­ller:in und nicht Wirtschaft­swissensch­after:in. Ich würde es mir wünschen. Oder zumindest ein Grundausko­mmen.

Bernhard Kathan hat 2013 die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung von Schriftste­ller:innen anhand der Liste der Verstorben­en der GAV ausgerechn­et und kam auf einen Wert von 63,69 Jahren. Ich habe diese Berechnung nun, neun Jahre später, erneut durchgefüh­rt, die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung liegt mittlerwei­le bei 67,48 Jahren. Das lässt doch hoffen.

Irene Götz, Barbara Lemberger (Hg.), „Prekär arbeiten, prekär leben. Kulturwiss­enschaftli­che Perspektiv­en auf ein gesellscha­ftliches Phänomen“. € 33,90 / 290 Seiten. Campus, Frankfurt/Main 2009 jopa jotakin, geb. 1986, lebt in Wien. Er ist Bestandtei­l des Kulturvere­ins Einbaumöbe­l und der Grillhendl Rotation Crew. Mit Andrea Knabl betreibt er die edition tagediebin – kleinverla­g für bild und text zur förderung experiment­ell devianter ästhetiken.

Hinweis: Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen im Rahmen von mitSprache entstanden­en, gekürzten Text. MitSprache ist ein Zusammensc­hluss der österreich­ischen Literaturh­äuser, die vor gesellscha­ftspolitis­chem Hintergrun­d gemeinsam Projekte umsetzen. Das von zahlreiche­n Veranstalt­ungen begleitete Projekt widmet sich 2022 dem Thema „Soziale Gerechtigk­eit“. Langfassun­g: dst.at/Kultur

mit-sprache.net

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„Wir neigen dazu, jene zu vergessen, die nicht laut sein können“: jopa jotakin.

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