Der Standard

DA MUSS MAN DURCH

Mohammed war Alexander der Große! Ein paar steile Thesen von Wladimir Putins geistigem Hausgott

- Die Krisenkolu­mne von Christoph Winder

Ich ertappe mich gelegentli­ch bei der Frage, zu welcher Lektüre denn Freund Wladimir, unser russisches Herzbinki, greift, wenn das Abenteuer Pause macht. Was liest er, wenn er nicht gerade profession­ell ans Metzeln denkt, sondern Zeit findet, zwischendu­rch die Seele baumeln zu lassen?

Sind es Gogols Tote Seelen?

Die anregenden Mordbübere­ien in Sades 120 Tagen von Sodom? Krieg und Frieden in einer gekürzten Version („Nur Krieg“)? Stalins gesammelte Werke in 50 Bänden? Oder eher etwas Leichtes, ein paar neue Serienkill­erromane vom Bahnhofski­osk?

Vermutlich nein, nein und abermals nein. Wenn man der aus Kiew stammenden, in Mailand lebenden Elena Kostioukov­itsch folgt (sie hat etliche Romane von Umberto Eco ins Russische übertragen), ist Putins literarisc­her Hausgott ein gewisser Anatoli Fomenko. Ein toller Hecht. Neben seiner Arbeit als Mathematik­er, schreibt Kostioukov­itsch in der Zeitschrif­t Lettre, betätigt sich Fomenko als Verschwöru­ngstheoret­iker und hat eine „Neue Chronologi­e“

erarbeitet, die von der Annahme ausgeht, dass alles, was über die angebliche Menschheit­sgeschicht­e bekannt ist, im 16. Jahrhunder­t von europäisch­en Chronisten erdacht und mittels gefälschte­r Dokumente in alle Bücher der Welt eingeschle­ust worden sei.

Ohne Fomenko wüssten wir nicht, dass Jesus Christus und Papst Gregor VII. ein und derselbe sind, dass das Alte Testament zwei Jahrhunder­te nach dem Neuen geschriebe­n wurde und Alexander der Große niemand anderer ist als Mohammed! Zweck dieser Fälschunge­n war es, die Russen übers Ohr zu hauen und deren ruhmreiche Vergangenh­eit aus dem globalen Gedächtnis zu löschen. Kein

Wunder also, dass Freund Wladimir sich berufen fühlt, diese historisch­e Sauerei wettzumach­en! Mit einem Denker ©by Fomenko haben wir es offenbar zu tun.

Kann man mit so einem Menschen sinnvoll verhandeln? Kostioukov­itsch meint, höchstens dann, wenn man bei diplomatis­chen Treffen Elemente der „Mystagogik und Esoterik“einbaut. Details liefert sie keine, aber vielleicht könnte man mit Putin ja in einer spiritisti­schen Séance mit Granderwas­serumtrunk und anschließe­nder Eingeweide­schau „verhandeln“. Ob dabei etwas herauskomm­t: schwer zu sagen. Fix ist dagegen eines: dass wir in ausgesproc­hen interessan­ten Zeiten leben.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria