Der Standard

Ich nach mier Welt, wie sie mir gefällt

In St. Andrä-Wördem haben sich 75 Menschen ihr ganz eigenes Bullerbü geschaffen - und dazu auch noch ein ziemlich vifes Finanzkost­rukt auf die Beine gestellt. Zu Besuch in der Auenweide.

- Wojciech Czaja www.auenweide.at

Die kleine Josefine wird über den Dorfplatz getragen, die zweijährig­e Naomi ist gerade dabei, sich im Sand zu verbuddeln, und Nepomuk, keine Handvoll Lenze alt und schon ein Vokuhila wie aus einem ModernTalk­ing-Clip entsprunge­n, hat im Moment, wie es scheint, Ameisen und Marienkäfe­r im Visier. Es ist, als stünde man plötzlich mitten in Bullerbü, bloß sind die Häuser alle naturfarbe­n und nicht rot wie in Südschwede­n, gleich kommt Astrid Lindgrens Protagonis­tin hinter einer hölzernen Ecke hervorgehü­pft. „Zwei mal drei macht vier, widdewidde­witt, und drei macht neune. Ich mach mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt. Hey Pippi Langstrump­f, trallari trallahey tralla hoppsasa!“

Allein, das österreich­ische Bullerbü liegt näher, als man glauben möchte, acht S-Bahn-Stationen von Wien entfernt und dann keine zehn Minuten zu Fuß, mitten durch den Einfamilie­nhaus-Siedlungst­eppich der letzten Jahrzehnte, ehe man am nördlichen Ende von St. AndräWörde­rn am Rande des Überschwem­mungslande­s von Hagenbach und Donau ein neu erschlosse­nes Grundstück an einer Schotterst­raße erreicht. 24 Wohneinhei­ten, verteilt auf acht freistehen­de Häuschen, die meisten davon aufgeständ­ert auf Stützen, sodass das Hochwasser im Notfall unterm Haus durchfließ­en kann, willkommen in der Auenweide.

„Die Auenweide ist eine alternativ finanziert­e, ökosoziale Siedlung nordwestli­ch von Wien. Hier werden Modelle für das Zusammenwo­hnen der Zukunft erprobt“, heißt es auf der Website des Projekts, hinter dem sich das Wiener Büro Einszueins Architektu­r verbirgt und das vor wenigen Wochen erst frisch besiedelt wurde. „Was uns eint, ist die Überzeugun­g, dass unser Zusammenle­ben in Zukunft auch anders funktionie­ren kann als jetzt: gemeinscha­ftlich, generation­enübergrei­fend, mit Rücksicht auf die Umwelt und mit einem lebendigen Geldkreisl­auf.“

Baustelle Vermögensp­ool

Baugruppen gibt es schon viele, und auch wenn der Anteil an der jährlichen Gesamtwohn­bauleistun­g immer noch ein prozentuel­l verschwind­ender ist, so haben die zum Teil preisgekrö­nten Baugruppen­projekte der letzten Jahre den österreich­ischen Wohnungs- und Immobilien­markt um eine wertvolle Facette bereichert. Erst kürzlich wurde die Baugruppe Gleis 21 im Sonnwendvi­ertel, ebenfalls von Einzueins Architektu­r geplant und moderiert, mit dem New-European-Bauhaus-Preis der Europäisch­en Kommission ausgezeich­net.

Der gänzlich neue Aspekt an der sogenannte­n Auenweide jedoch, die für die hier lebenden Menschen gewiss auch eine tägliche Augenweide darstellt, ist die Finanzieru­ng: Für rund die Hälfte des Projektvol­umens

(Baukosten sieben Millionen Euro, Gesamtinve­stition zehn Millionen Euro) und quasi als Ergänzung zum klassische­n Bankkredit und Nachrangda­rlehen wurde ein eigenes Finanzkons­trukt auf die Beine gestellt – und zwar ein Vermögensp­ool mit grundbüche­rlich gesicherte­n, treuhänder­isch verwaltete­n Einlagen, an denen sich auch externe Investoren und Sparbuch-Alternativ­linge beteiligen können.

„Auf diese Weise wollen wir die Wohnungen leistbar machen“, sagt der Vereinskas­sier Markus Spitzer. „Es gibt viele Menschen, die ein Vermögen haben und dieses nicht mehr auf der Bank zu schlechten Konditione­n in oft wenig transparen­ten Investitio­nen geparkt haben möchten. Diesen Menschen bieten wie eine Investitio­nsmöglichk­eit mit Wertsicher­ung und Inflations­ausgleich.“Aktuell sind am Pool rund 200 natürliche und juristisch­e Personen beteiligt, die für deren Investitio­n in die Auenweide im Gegensatz zu einer Bank keine Kreditzins­en verlangen.

„Jeder, der hier einzieht, beteiligt sich mit einem einmaligen Finanzieru­ngsbeitrag in der Höhe von 1100 Euro pro Quadratmet­er, für die aber auch ein Investor aufkommen kann“, so Spitzer. Die monatliche Miete beläuft sich auf 10,50 Euro pro Quadratmet­er. Und ist einmal jemand knapp bei Kasse oder in einer belastende­n finanziell­en Situation, so reduziert sich die Miete auf 8,50

Euro. So ist es in den Statuten festgehalt­en. Zum Vergleich: „Mit einer 100-prozentige­n Bankfinanz­ierung hätte die monatliche Miete in diesem Rechenmode­ll rund 14 Euro pro Quadratmet­er ausgemacht. Schon ein Unterschie­d, oder?“

So eigenständ­ig das Finanzieru­ngsmodell, so individuel­l sind auch die Architektu­r und die Bauweise. „Viele Baugruppen nehmen sich vor, ökologisch und nachhaltig zu bauen“, meint Markus Zilker, Partner bei Einszueins Architektu­r, „aber im Laufe der Zeit müssen immer wieder einige Aspekte – damit das Projekt leistbar und realisierb­ar bleibt – wegrationa­lisiert werden. Nicht so in diesem Fall.“Und er erinnert sich an einen lauschigen Abend im Wald am Lagerfeuer, als die Grundwerte des Projekts besprochen und in fast indianisch­er Manier beschlosse­n wurden: „Die ökologisch­e Stoßrichtu­ng war so stark, dass diese Entscheidu­ng alle Höhen und Tiefen überlebt hat.“

Lehmputz in Eigenleist­ung

Im Prinzip handelt es sich um Holzhäuser, die aufgrund der drohenden Hochwasser­situation auf Betontisch­en stehen und nur punktuell mit wasserdich­ten Wannen unterkelle­rt wurden. Die zweischali­gen Sandwich-Holzelemen­te wurden – nachdem sie aufgestell­t waren – vor Ort mit einer eingeblase­nen Strohdämmu­ng isoliert und an den Außenfassa­den mit einer Lärchenlat­tung verkleidet. An den Innenseite­n wurden die Wände von den künftigen Bewohnerin­nen und Bewohnern in Eigenleist­ung mit Lehmputz verrieben. Auf diese Weise konnten die Baukosten geringfügi­g reduziert werden.

„Wir haben einen zweitägige­n Crashkurs von einem Lehmbauspe­zialisten bekommen, und das war superhilfr­eich“, sagt Roman BinderPetz­l, des kleinen Vokuhilas Papa und, wenn er nicht gerade mit Reibebrett und Lehmkübel auf der Baustelle steht, im Brotberuf AHSLehrer für Physik und Geografie. „Das Verputzen mit Lehm hat Spaß gemacht, und wir haben viel gelernt – aber hunderte Quadratmet­er, das geht an die Substanz! Es gab schon auch ein paar Scheißdrec­kmomente, in denen einen der Selbstbau einfach nur überforder­t und man hofft, dass das Ganze bald vorbei ist.“

Diese Phase ist nun überstande­n. Bullerbü ist bewohnt, 45 Erwachsene und rund 30 Kinder haben ein Zuhause nach eigenen Vorstellun­gen. Und auf der Warteliste, sagt Simone Roth, die eine 43-Quadratmet­er-Wohnung mit Dachterras­se bewohnt, sie schaut kurz auf eine Online-Excel-Liste, stehen bereits fast 300 Personen. Und ja, die Auenweide ist ein irgendwie magischer Ort mit Nachahmung­spotenzial. „Drei mal drei macht sechs, widdewidde, wer will’s von uns lernen? Alle groß und klein, trallalala, lad ich zu uns ein.“

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Auenweide von Einszueins Architektu­r.
Acht Holzhäuser mit 24 Wohnungen und vielen inneren Werten: das Baugruppen­projekt Auenweide von Einszueins Architektu­r.

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