Der Standard

Der ungeliebte Kandidat

Ian „Nepo“Nepomniach­tchi gewinnt das Kandidaten­turnier in Madrid überlegen. Stellt sich Carlsen nochmals der Herausford­erung?

- Von ruf & ehn

Es ist ein seltsames Turnier: Es gibt es einen Gewinner und sieben Verlierer. Beim Kandidaten­turnier wird jeweils der nächste Herausford­erer des Weltmeiste­rs ermittelt, die ganz große Ehre und das ganz große Geld winken dem Sieger. Heuer siegte der alte neue Kandidat, Ian „Nepo“Nepomniach­tchi.

Wenn es denn einen ungeliebte­n Kandidaten im Feld der acht Auserwählt­en in Madrid gegeben hat, dann war es Nepo. Der 31-jährige Großmeiste­r aus Russland war schon im Vorjahr Herausford­erer von Carlsen gewesen und hat das WM-Match gegen ihn klar verloren. Aber Nepo spielte großartig in Madrid, risikofreu­dig, kreativ und sehr flott. Er nützte alle Chancen und gewann zu Recht.

Ding Liren, Numero zwei der Weltrangli­ste, sicherte sich den zweiten Rang durch einen coolen Schlussrun­densieg gegen Hikaru Nakamura; er scheint von seinem Stil her allerdings nicht in der Lage, ein adäquates Score für den Gewinn eines solchen Turniers zu erzielen. Fabiano Caruana, Mitfavorit in Madrid, presste und presste Runde für Runde, aber es muss für ihn wie ein Albtraum gewesen sein. Während Nepo leichtfüßi­g dahineilte, kam er trotz aller Anstrengun­gen kaum vom Fleck, remisierte und konnte den frühen Vorsprung nicht egalisiere­n. Schlicht überforder­t war der jugendlich­e Alireza Firouzja; der erst 19-jährige, höchstbega­bte Großmeiste­r aus dem Iran verlor fast 20 Ratingpunk­te und beendete das Turnier nur auf dem sechsten Platz.

Fraglich ist die Zukunft, Carlsen hält sich bedeckt, ob er sich nochmals ein Match gegen den Russen, bei dem es für ihn nicht mehr viel zu gewinnen gibt, antun wird oder ob er nach fast zehn Jahren Regentscha­ft und fünf erfolgreic­hen WM-Matches den Titel zurücklegt. Im Raum steht nach dem Verzicht auf den Titel ein Duell gegen den amerikanis­chen Social-Media-Star Nakamura.

Die Partie des Turniers spielte Nepo gegen Jungspund Firouzja, Neoromanti­k im Zeitalter des Computers auf allerhöchs­tem Niveau: hochriskan­t, messerscha­rf, raubtierha­ft unbefangen.

Firouzja – Nepomniach­tchi Madrid 2022

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 Die solide russische Verteidigu­ng.

3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.c4 Eine Ausgrabung! Die Wiener Meister Arthur Kaufmann und Georg Marco erfanden dieses Abspiel Ende des 19. Jahrhunder­ts. 5… Sc6 6.d3 Sf6 7.d4 Le7 Weiter auf ruhigen Pfaden. Das aktive 7... Lg4 8.Le2 d5 9.c5 Le7 10.0–0 0–0 11.Le3 Se4 ergibt gleiches Spiel. 8.d5 Prescht sofort vor.

8... Se5 9.Sd4 Nichts bringt 9.Sxe5, aber rasche Entwicklun­g mit 9.Le2 0–0 10.0-0 war zu überlegen. 9... 0–0 10.Sc3 Lg4 Nach dem energische­n 10... c5! 11.bxc6 Te8 12.Le2 bxc6 13.0-0 Db6 steht Schwarz sehr bequem. 11.f3 Natürliche­r sieht 11.Le2 Lxe2 12.Dxe2 Te8 aus, obwohl kein Vorteil mehr damit zu erzielen ist.

11... Ld7 12.Le2 c6! Ein wichtiger Hebel, der die c-Linie öffnet, den Bd5 isoliert oder im Fall von 13.dxc6 bxc6 das schwarze Zentrum stärkt.

13.0–0 cxd5 14.cxd5 Db6 15.Kh1 Tac8 16.g4?! Wie ein wilder Stier stürmt Firouzja los. 16… h6 Zwingt Weiß sich noch mehr zu schwächen oder den Angriffspl­an aufzugeben. 17.h4? Konsequent, aber verfehlt. Mit 17.a4 konnte Weiß noch glimpflich­er davonkomme­n.

17... Tfe8! Ruhig und stark. Nepo erkennt, dass der weiße Angriff nur ein Strohfeuer ist.

18.g5 hxg5 19.hxg5 Sh5 20.Kg2 Auch auf 20.Se4 folgt 20… Sg6! und Weiß kann nicht 21.f4 spielen: 21… Txc1! 22.Txc1 Shxf4 mit überlegene­r schwarzer Stellung. 20... Sg6! Kontrollie­rt den wichtigen Punkt f4. Weiß bleibt nur

21.f4 21… Shxf4+!! Mit taktischem Scharfblic­k geht Nepo ans Werk. Die weiße Stellung liegt bereits in Trümmern. 22.Lxf4 Dxb2 Alles hängt bei Weiß. Der Rückgewinn der Figur ist nur eine Frage der Zeit. 23.Se4 Deckt alles, aber nur für einen Moment.

Nach 23.Ld2 Txc3! 24.Tb1 Tg3+! 25.Kxg3 Dxd4 ist die Partie vorbei. 23… Tc4 Komplizier­ter verläuft 23… Ld8! 24.Sxd6 Txe2+! 25.Dxe2 Dxd4 26.Sxc8 Sxf4+ 27.Txf4 Dxf4. 24.Le3 Lxg5! Noch eine kleine Taktik! 25.Tb1 Denn 25.Sxg5 Txe3 oder 25.Lxg5 Txd4 verlieren Haus und Hof. 25… Dxa2 Überkombin­iert wäre 25... Lxe3? 26.Txb2 Txd4 27.Sxd6 Txd1 28.Lxd1 und Weiß steht plötzlich wieder gut. 26.Ta1 26… Txd4! Diese Abwicklung verspricht im Gegensatz zu 26... Lxe3? 27.Txa2 Txd4 28.Ld3 Texe4 29.Lxe4 Txd1 30.Txd1 am meisten. 27.Txa2 Txd1 28.Lxd1 Nach 28.Sxg5 Txf1 29.Lxf1 Txe3 hat Schwarz etliche Bauern mehr. 28… Lxe3 29.Sxd6 Te7 30.Lb3?

Stellt den Läufer ins Abseits. Trotz vieler brillanter schwarzer Züge war die weiße Partie noch immer nicht verloren. Nach 30.Te2 b6 31.Lc2 Sh4+ 32.Kh1 Lg4 33.Txf7 Txf7 34.Txe3 lebt Weiß. 30... Lc5! Das mächtige Läuferpaar nimmt im Verein mit dem Turm den König in die Zange. 31.Sxb7 Lb6 32.Lc4 Der Vormarsch des d-Bauern scheitert an Lc6+. 32… Te3 33.Kh1 Lh3 34.Tc1? Weiß bricht in schwierige­r Stellung ein. Nach 34.Tb1 Lg4 35.Lf1 muss sich Schwarz noch anstrengen. 34... Lf5 35.Lf1 Nach 35.Sd6 gewinnt 35... Th3+ 36.Th2 Txh2+ 37.Kxh2 Lc7. 35... Le4+ Da 36.Lg2 wegen 36… Th3# nicht geht verliert Weiß nach 36.Kh2 Lxd5 eine Figur. 0–1

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Weiß zieht und setzt in zwei Zügen matt. Ganz schön schwer 3439
Ganz schön 3438 Weiß zieht und setzt in zwei Zügen matt. Ganz schön schwer 3439
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Ganz leicht 3437
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 ?? ?? Sieger von Madrid: Ian Nepomniach­tchi. Aber wird der amtsmüde Carlsen gegen ihn nochmals zum WM-Duell antreten?
Sieger von Madrid: Ian Nepomniach­tchi. Aber wird der amtsmüde Carlsen gegen ihn nochmals zum WM-Duell antreten?
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Weiß zieht und setzt in drei Zügen matt.

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