Der Standard

Merit-Order abschaffen – aber wie?

Zwei Vorschläge liegen in Brüssel auf dem Tisch

- Joseph Gepp

Eigentlich ist es auf Rohstoffmä­rkten ein ganz normales Prinzip: Wenn zwei Hersteller ein und dasselbe Gut unterschie­dlich teuer produziere­n, zum Beispiel Kupfer, wird sich am Ende der teurere Preis auf dem Markt durchsetze­n. Denn der Produzent mit den höheren Herstellun­gskosten kann nicht billiger werden, sonst schreibt er Verluste. Umgekehrt weiß jener mit den niedrigere­n Produktion­skosten, dass er sein Kupfer auch teurer verkaufen kann – warum also günstiger anbieten?

Am Elektrizit­ätsmarkt wird dieses Prinzip „Merit-Order“genannt – und sorgt gerade für gehörig Ärger. Die teuerste Art, Strom zu erzeugen, ist derzeit nämlich meist die Verbrennun­g von Gas. Dieses hat sich wegen des Ukraine-Krieges immens verteuert. Infolgedes­sen wird Strom insgesamt teurer. Das gilt auch für jenen, der viel billiger produziert wurde, zum Beispiel aus Wasserkraf­t. Wie die Merit-Order reformiert werden könnte, darüber wird in Brüssel verhandelt. Zwei Modelle liegen auf dem Tisch.

Das iberische Modell gibt es in Spanien und Portugal bereits seit drei Monaten. Funktionsw­eise: Der Gaspreis wird temporär gedeckelt, also mit einer Obergrenze versehen. Dadurch wird Elektrizit­ät im Ganzen billiger, weil das teuerste Kraftwerk, meist ein Gaswerk, ja auf dem Strommarkt den Preis bestimmt. Das billigere Gas drückt den Gesamtprei­s. Erste Erfahrunge­n zeigen, dass der Strom dadurch tatsächlic­h deutlich billiger wird. Allerdings gibt es den unerwünsch­ten Nebeneffek­t, dass mehr Gas verbraucht wird – immerhin ist es dank Subvention­en verbilligt worden. Die Merit-Order bleibt im iberischen Fall also bestehen – nur wird ihr die Spitze abgeschnit­ten.

Weitreiche­nder ist ein griechisch­er Vorschlag vom Juli, der bislang nur auf dem Papier existiert. Er sieht eine Zweiteilun­g des Strommarkt­es vor: Eine gewisse Menge wird abseits der MeritOrder ungefähr zu Herstellun­gskosten gehandelt. Für den Rest an Strom würde weiterhin die MeritOrder gelten. Letztlich würden Stromkunde­n einen Durchschni­ttspreis bezahlen: zusammenge­setzt aus billigem Strom zu Herstellun­gspreisen und teurem aus der Merit-Order. Gegen die griechisch­e Idee gibt es viele Einwände, etwa dass erneuerbar­er Strom im billigen Sektor landen würde – und demnach weniger Anreiz bestünde, die Wirtschaft auf erneuerbar­e Versorgung umzubauen. Der deutsche Energieöko­nom Lion Hirth jedenfalls nennt den Vorschlag „die fundamenta­lste Reform des Elektrizit­ätsmarktes seit der Liberalisi­erung“.

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