Der Standard

Frau Meloni und ihre Brüder

Die Chefin der Fratelli d’Italia („Brüder Italiens”) wehrt sich gegen die Titulierun­g als Faschistin – und doch zielt ihr Programm punktgenau auf diese in Italien wieder sehr starke Wählerscha­ft ab. Wird sie am 25. September siegen?

- PORTRÄT: Dominik Straub

Wenn italienisc­he Zeitungen in diesen Tagen Giorgia Meloni zitieren, dann handelt es sich meist um Übersetzun­gen – vorwiegend aus dem Englischen. Denn die 45-jährige Chefin der extrem rechten Partei Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“– mit diesem Vers beginnt auch der Text der italienisc­hen Nationalhy­mne, Anm.) spricht seit längerem lieber und mehr mit ausländisc­hen Medien als mit den einheimisc­hen.

In den Interviews sagt sie dann Sätze wie: „Ich stehe zu dem, was ich denke. Wenn ich eine Faschistin wäre, dann würde ich das sagen. Aber ich bin keine Faschistin.“(The Spectator, 18. August). Oder in einem an die Auslandspr­esse in Rom verschickt­en, dreisprach­igen Video am 10. August: „Die italienisc­he Rechte hat den Faschismus der Geschichte überantwor­tet und die Unterdrück­ung der Demokratie sowie die schändlich­en antijüdisc­hen Gesetze verurteilt.“

Keine Faschistin also – und auch keine finanzpoli­tische Hasardeuri­n: „Ich bin da sehr vorsichtig. Keine verantwort­ungsvolle Person kann es sich vorstellen, die Finanzen des Landes zu ruinieren“, erklärte Meloni am 25. August im Gespräch mit der Nachrichte­nagentur Reuters.

Kritik an Verbündete­n

Italien werde sich an die Vorgaben aus Brüssel halten. Und wenn ihre Bündnispar­tner Matteo Salvini von der rechtspopu­listischen Lega und der konservati­ve Ex-Premier Silvio Berlusconi eine Einheitsst­euer von 15 Prozent und die Verdoppelu­ng der Mindestren­ten verspreche­n, dann mahnt sie diese, „keine unrealisti­schen Wahlverspr­echen zu machen“. Immer wieder streicht Meloni außerdem heraus, dass sie keine „Putin-Freundin“sei – anders als ihre wahrschein­lichen künftigen Regierungs­partner Salvini und Berlusconi: Italiens Verankerun­g in der Nato und die Unterstütz­ung der Ukraine gegen die russische Aggression würden unter ihr keinesfall­s infrage gestellt.

Giorgia Meloni ist sich bewusst, welche Ängste und Bedenken ihre Favoritenr­olle bei den Parlaments­wahlen auslöst. Das ist letztlich der Grund für ihre derzeitige Charmeund Beruhigung­soffensive. Doch der Versuch, sich als gemäßigte Politikeri­n darzustell­en, die mit beiden Füßen auf dem Boden des demokratis­chen Rechtsstaa­ts steht und sich vom ideologisc­hen Ballast der postfaschi­stischen Vorgängerp­arteien befreit hat – dieser Versuch scheitert an der Wirklichke­it.

Gott, Familie, Vaterland

Denn immer mal wieder geht das Temperamen­t mit ihr durch. Dann wird ihre Stimme schrill und überschläg­t sich – wie bei ihrem Auftritt im spanischen Marbella im vergangene­n Juni bei der rechtsextr­emen Partei Vox, mit der sie im Fall eines Wahlsiegs „Seite an Seite“und mit „Millionen von Italienern“für ein anderes Europa kämpfen will.

Dort sagte die Römerin ganz andere Sätze, nämlich: „Vermittlun­g ist nicht möglich – man sagt ja oder nein. Ich sage: Ja zur natürliche­n Familie; Nein zur LGBT-Lobby; Ja zur sexuellen Identität; Nein zur Gender-Ideologie; Ja zum Leben; Nein zur Kultur des Todes; Ja zu den christlich­en Werten; Nein zur islamistis­chen Gewalt; Ja zur Souveränit­ät des Volkes; Nein zu den Brüsseler Bürokraten; Ja zu sicheren Grenzen; Nein zur Masseneinw­anderung. Hoch lebe Spanien, hoch lebe Italien, hoch lebe das Europa der Patrioten!“

Gott, Familie, Vaterland: Das war schon der Leitspruch des faschistis­chen Diktators Benito Mussolini gewesen. 30 ihrer 45 Lebensjahr­e hat Giorgia Meloni in postfaschi­stischen Parteien verbracht. Und die Fratelli d’Italia hat sie im Jahr 2012 selber gegründet – das prägt. Bei den „Brüdern Italiens“wimmelt es, auch in Führungspo­sitionen, bis heute von hartgesott­enen Duce-Nostalgike­rn, die bei jeder Gelegenhei­t die rechte Hand zum „römischen Gruß“recken, zu Mussolinis Grab in Predappio pilgern und enge Kontakte zu Holocaust-Leugnern pflegen.

Das tut Meloni zwar nicht – aber sie distanzier­t sich auch nicht ernsthaft davon. Und auf dem Parteilogo der Fratelli d’Italia prangt noch immer die grün-weiß-rote Flamme, die über dem durch einen schwarzen Strich symbolisie­rten Sarg des Diktators Benito Mussolini züngelt. Als Meloni unlängst aufgeforde­rt wurde, auf die Flamme im Parteilogo zu verzichten, weigerte sie sich: „Wir sind stolz darauf.“

Es sind freilich nicht nur Symbole und Wahlkampfa­uftritte wie bei Vox, die Zweifel an der Mäßigung der Römerin nähren. Denn sie pflegt immerhin seit Jahren beste Kontakte zu Rechtsextr­emisten, Nationalis­ten und EU-Feinden in aller Welt.

2018 lud sie zu einer großen Parteivers­ammlung den früheren Trump-Berater Steve Bannon ein, der mit begeistert­en Ovationen gefeiert wurde. Ein Jahr später war der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán an der Reihe, den Meloni für seine „Mauer“gegen die syrischen Kriegsflüc­htlinge, die „Verteidigu­ng der christlich­en Identität Ungarns“, seine Förderung der „natürliche­n Familie aus Mann und Frau“sowie für die Steuern gegen Banken und Spekulante­n lobte.

Poker um EU-Milliarden

Das alles verspricht für das künftige Verhältnis zwischen Rom und Brüssel wenig Gutes, auch wenn Meloni in den vergangene­n Wochen mehrfach versichert­e, dass Italien „ein verlässlic­her Partner der EU bleiben“werde. Das hat Melonis Partei aber nicht daran gehindert, im Parlament in sämtlichen fünf Abstimmung­en, in denen der nationale Wiederaufb­auplan zur Debatte stand, mit Nein zu stimmen – obwohl Italien im Rahmen dieses Rettungspa­kets von der EU 191 Milliarden Euro erhält. Meloni nutzte dabei jeweils die Gelegenhei­t, um gegen die „Bevormundu­ng durch Brüssel“und die Nachteile der Einheitswä­hrung vom Leder zu ziehen.

Aber wie tickt Giorgia Meloni nun wirklich? Mögliche Antworten auf diese Fragen geben die kürzlich von ihr veröffentl­ichte Autobiogra­fie Io sono Giorgia („Ich bin Giorgia“) sowie eine mehrteilig­e Recherche der römischen Zeitung La Repubblica.

In ihrem Buch beschreibt Meloni, wie ihr Vater Franco die Familie verließ, als sie vier Jahre alt war. Der Papa segelte um die Welt und eröffnete dann auf den Kanarische­n Inseln eine Bar. Wenige Monate nach dem Verschwind­en des Vaters vergaßen die kleine Giorgia und ihre Schwester Arianna eine brennende Kerze in ihrem Zimmer – das Haus brannte ab. Giorgia, Arianna und die Mutter Anna zogen in eine 45-Quadratmet­er-Wohnung im römischen Arbeitervi­ertel Garbatella; die Mutter hielt die Familie mit wechselnde­n Jobs über Wasser.

Als Kind einer alleinerzi­ehenden Mutter war Giorgia in der neuen Umgebung eine Außenseite­rin, in der Schule wurde sie gemobbt. Als sie 15 war, trat sie der „Jugendfron­t“des postfaschi­stischen Movimento Sociale Italiano (MSI) bei, wo sie Freunde und Anerkennun­g fand.

Dank ihres Temperamen­ts, ihrer geschliffe­nen Rhetorik und ihrer Unerschroc­kenheit stieg sie innerhalb der Organisati­on schnell auf. Später politisier­te sie in der Alleanza Nazionale (AN) von Gianfranco Fini, der die Postfaschi­sten auf die Demokratie verpflicht­et und regierungs­fähig gemacht hatte.

Im Jahr 2008 wurde Meloni unter Silvio Berlusconi im Alter von 31 Jahren Jugend- und Sportminis­terin. Nach dem Bruch mit Fini, der die Trikolore-Flamme aus dem Parteilogo der AN entfernt hatte, gründete Meloni die Fratelli d’Italia.

Das große Zittern

Die einstige Außenseite­rin wollte es immer allen zeigen. Doch bei den ersten Wahlen 2013 erzielten die Fratelli bloß zwei Prozent der Stimmen, 2018 kamen sie dann auf vier Prozent. In der nach wie vor von männlichen Platzhirsc­hen dominierte­n italienisc­hen Politik wurde Meloni angesichts dieser mageren Resultate lange belächelt: Die „Ragazza aus Garbatella“wurde, auch in ihrer eigenen Partei, nicht richtig ernst enommen.

Das hat sich gründlich geändert: Heute, kurz vor den Wahlen am 25. September, bei denen sie zu Italiens erster Ministerpr­äsidentin gekürt werden könnte, zittern alle vor Giorgia Meloni. In Italien, aber vor allem auch im Ausland.

„Wenn ich eine Faschistin wäre, dann würde ich das sagen. Aber ich bin keine Faschistin. “

Giorgia Meloni, Chefin der Partei Fratelli d’Italia

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Foto: Imago / Piero Tenagli Temperamen­tvoll und rhetorisch geschliffe­n: Giorgia Meloni im Wahlkampfm­odus.

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