Schwedischer Wahlkampf im Zeichen von Migration und Kriminalität
Energiekrise oder geopolitische Neuausrichtung durch Nato-Beitrittsantrag spielten kaum eine Rolle
Nicht der angestrebte Nato-Beitritt, der mehr als 200 Jahre Neutralität beenden soll, hat den Wahlkampf in Schweden dominiert; auch nicht eine in der EU ungewöhnliche Anti-Covid-Strategie, die explodierenden Energiekosten oder gar der Klimawandel. Den Wettstreit um die Mehrheit im Schwedischen Reichstag prägten zwei Themen, die Politikerinnen und Politiker des gesamten Spektrums im selben Atemzug erwähnen – Migration und Kriminalität.
Diese Themen waren es auch, die den rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) in Umfragen deutliche Zugewinne verschafften. Zuletzt erreichte die Partei bei einer Befragung vor der Wahl am Sonntag mehr als 20 Prozent und rückte auf den zweiten Platz nach den seit acht Jahren regierenden Sozialdemokraten (SAP). Sie überholte damit die Moderaten, die bis dahin die größte Oppositionspartei waren.
Bei ihrem Einzug ins Parlament 2010 standen die Schwedendemokraten mit ihrer Antimigrationshaltung und ihrem Kurs von Recht und Ordnung noch alleine da. Keine der sieben anderen Reichstagsparteien wollte mit der Partei kooperieren, die Wurzeln in rechtsnationalen und rassistischen Bewegungen hat.
Salonfähige Rechte
„Die Schwedendemokraten hatten lange ein Monopol auf die Einwanderungsfrage“, erklärt Nicholas Aylott, Politologe an der SödertörnHochschule südlich von Stockholm. „Alle anderen etablierten Parteien konkurrierten lieber miteinander, wer die Schwedendemokraten am meisten verteufelte“, sagte Aylott dem STANDARD. Doch nach und nach näherten sich die Parteien des Mitte-rechts-Blocks, darunter die Moderaten, den Schwedendemokraten an. Diese wurden unter dem Vorsitz von Jimmie Åkesson salonfähig.
Auch die regierende SAP hat ihre Aussagen in Sachen Migration stark verändert.
Bei einer Wahlkampfver- anstaltung erklärte Minis- terpräsidentin Magdalena Andersson: „Zu viel Migra- tion und zu wenig Inte- gration haben zu Parallel- gesellschaften geführt, in denen kriminelle Banden Fuß fassen und wachsen konnten.“Einen Tag später sorgte ihr Kollege, Integrationsminister Anders Ygeman, für Schlagzeilen, als er vorschlug, dass kein Gebiet in Schweden mehr als 50 Prozent „nichtnordische“Bevölkerung haben sollte.
Aylott verweist in diesem Kontext auf die zunehmende Waffengewalt in Schweden. In der EU ist es eines der Länder mit den meisten Tötungsdelikten durch Waffen pro Einwohner. Viele Fälle hängen laut dem Politikexperten mit Bandengewalt in sogenannten segregierten oder abgeschotteten Nachbarschaften zusammen. Er verstehe den Schock in der Bevölkerung durch die aufsehenerregenden Schießereien. „Wenn Sie mir vor 20 Jahren gesagt hätten, dass Schweden in Sachen Waffengewalt so hoch oben stehen würde, hätte ich es nicht glauben können.“
Laut Ministerpräsidentin Andersson wurde verabsäumt, die große Zahl an Einwanderern zu integrieren. Das habe zu Parallelgesellschaften und Bandengewalt geführt. Zudem sei Drogenkriminalität ein Grund für steigende Gewalt.
Andersson, die seit vergangenem November im Amt ist, will die Polizeipräsenz ausbauen und hat zuletzt ein Paket mit längeren Strafen für Bandenkriminalität vorgestellt. Allerdings erwähnt die SAP-Vorsitzende – anders als die Schwedendemokraten – immer auch den Ausbau von sozialen Hilfestellungen in gefährdeten Gebieten. Ob Andersson den Schwedendemokraten mit ihren eher vagen Vorstößen Stimmen abringen kann, wird sich am Sonntag herausstellen.